ForscherInnen aus Wien haben ein Protein im Stallstaub identifiziert, welches gegen Milchallergie und Birkenpollenallergie schützt.
Die Zahl von Allergie-Erkrankungen hat in den vergangenen Jahren weltweit stetig zugenommen, und Allergien haben sich zu einer Volkskrankheit entwickelt. In Österreich sind rund zwei Millionen Menschen von Allergien betroffen. Laut der Österreichischen Gesundheitsbefragung 2019 stellen allergische Erkrankungen wie Heuschnupfen, Nahrungsmittel-, Hausstaubmilben- oder Insektengiftallergien nach Rückenschmerzen bei uns die zweithäufigsten chronischen Krankheiten dar.
Warum es zu einem Anstieg von Allergien kommt, wird aktuell intensiv erforscht. Es sind mehrere Komponenten und Faktoren dafür verantwortlich, dass jemand an einer Allergie erkrankt. Dazu zählen neben der vererbten Veranlagung vermutlich auch die zunehmende Umweltverschmutzung, der Klimawandel und die damit einhergehende Veränderung der Pflanzenwelt sowie die Globalisierung des Lebensmittelmarktes. Auch übermäßige Hygienemaßnahmen werden oft als Ursachen für die Zunahme von Allergien diskutiert. Die so genannte Hygienehypothese besagt, dass unser Immunsystem früher durch die Notwendigkeit, unterschiedlichste Pathogene abzuwehren, viel mehr gefordert war. Aufgrund der verbesserten und teilweise übertriebenen Hygienebedingungen ist unser Immunsystem heutzutage unterfordert, kommt aus der Übung und reagiert dann auf an sich harmlose Stoffe.
Hand in Hand damit geht die Beobachtung, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, zu einem hohen Prozentsatz von Asthma, Allergien und Neurodermitis verschont bleiben. Grund dafür sind ihre Kontakte zu unterschiedlichen Mikroben und deren Bestandteilen in Stallluft, Heu, Staub und Einstreu im bäuerlichen Umfeld. Wie Studien gezeigt haben, sind nicht alle Bauernhöfe gleich gut gegen Allergien, als besonders gut wirken sich Rinder- und Kuhställe aus. Ihre speziellen Bakterien und deren Bestandteile bilden quasi eine Art riesiger Allergie-Schutzglocke mit einem Radius von bis zu 300 Metern. sind wichtige Schutzfaktoren. Wie man heute weiß, senkt der Konsum von unverarbeiteter, natürlicher Rohmilch auch das Allergierisiko.
WissenschaftlerInnen vom Messerli Forschungsinstitut, einer gemeinsamen Einrichtung der Vetmeduni, der MedUni Wien sowie der Universität Wien, machten sich nun auf die Suche nach der molekularen Ursache dieses Allergieschutzes. Erika Jensen-Jarolim und ihr Team stellten sich die Frage, ob es einen Schlüsselfaktor beim Bauernhofschutz gegen Allergien gibt, der sowohl im Umfeld von Kühen als auch in deren Milch vorkommt.
Bei ihrer „Spurensuche im Heuhaufen“ fanden die WissenschaftlerInnen in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Arbeitsgruppen ein Protein, das beim Schutz vor Allergien eine entscheidende Rolle spielt: Das Milchprotein Beta-Lactoglobulin (BLG). Dieses macht einen Großteil vom Eiweiß der Molke aus und besitzt eine Trägerfunktion für Mikronährstoffe wie Eisen, Vitamine und Fettsäuren. Wie die ForscherInnen um Jensen-Jarolim zeigen konnten, hat BLG eine beruhigende Wirkung auf das Immunsystems, sobald es mit Mikronährstoffen Komplexe bildet, ansonsten kann es jedoch Allergien auslösen.
Die ForscherInnen konnten BLG in großer Menge im Stallstaub von Rinderställen nachweisen, wo es durch Einatmen in den Körper gelangt. Die Untersuchungen zeigten, dass BLG im Stallstaub an Zink gebunden ist – ein Element, welches im Immunsystem einige wichtige Rolle spielt. Jensen-Jarolim und ihr Team konnten außerdem zeigen, dass BLG vom Stall bis in die Betten der BewohnerInnen getragen wurde.
„Wir vermuteten, dass die Verteilung von BLG dem Schutzglocken-Muster folgt“, so Isabella Pali-Schöll aus Jensen-Jarolims Arbeitsgruppe zu dieser Entdeckung. „Daher haben wir an verschiedenen Standorten um einen Kuhstall herum Luft über Filter angesaugt, und die gesammelten Proben auf das Protein untersucht. Tatsächlich konnten wir es in abfallender Konzentration bis fast 300 Meter um den Stall herum messen“.
Den ForscherInnen drängte sich in weiterer Folge die Frage auf, wie das Milchprotein in den Stallstaub gelangen konnte. Die Antwort darauf fanden die WissenschaftlerInnen bei der Analyse von Urinproben von Rindern: BLG im konnte im Urin von weiblichen und männlichen Tieren nachgewiesen werden.
Nach dieser Entdeckung untersuchte Jensen-Jarolim mit ihrem Team dann den antiallergischen Effekt von Beta-Lactoglobulin auch im Mausexperiment: Mäuse bekamen Kuhstallstaub in Form von Nasentropfen verabreicht. Enthielt der Staub BLG, wurde die Allergieantwort der Mäuse unterdrückt. BLG-freier Staub hingegen vermittelte keinen Schutz gegen eine allergische Immunantwort.
Interessanterweise vermittelte BLG nicht nur einen Schutzeffekt gegenüber dem Milchallergen, sondern auch gegenüber einem Allergen aus der Birke. Somit handelt es sich dabei vermutlich um einen allgemeinen Schutzeffekt.
Die Arbeit der Wiener ForscherInnen stellt einen wichtigen Meilenstein dar, um den Bauernhof-Schutzeffekt bei Allergien besser zu verstehen. Die neuen Erkenntnisse könnten in Zukunft auch AllergikerInnen helfen.
In einem weiteren Schritt will Jensen-Jarolim mit ihren KollegInnen nun die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf den Schutz vor Allergien und Asthma durch BLG untersuchen. Möglicherweise spielen hier die Haltungsbedingungen, der Stress- und Gesundheitszustand sowie die Fütterung der Rinder eine Rolle.
as, 18.03.2022
Originalpublikation:
Pali-Schöll I., Bianchini R., Afify SM et al.: Secretory protein beta-lactoglobulin in cattle stable dust may contribute to the allergy-protective farm effect (2022). Clin Transl Allergy. 2022 Feb 12;12(2):e12125. doi: 10.1002/clt2.12125. PMID: 35169442; PMCID: PMC8840802.
Quelle: