Die Gentechnik-Gesetzgebung in der EU soll reformiert werden. Seit Monaten ringen das EU-Parlament und der EU-Rat um einen Reformvorschlag der EU-Kommission, der die Zulassung von Pflanzen erleichtern soll, die mit neuen genomischen Techniken (NGT) wie der Gen-Schere CRISPR/Cas gezüchtet wurden. Welche Vorschläge sind konkret in der Diskussion und welche Position vertritt Österreich? Wir geben einen Überblick über den aktuellen Stand der politischen Debatte.
Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat sich die Gentechnik aufgrund der Entwicklung so genannter neuer genomischer Techniken (NGT) rasant weiterentwickelt. NGT ermöglichen es heute unter anderem, Nutzpflanzen durch einfache, präzise und schnelle Eingriffe in das Genom gezielt zu verändern. Innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit können so neue Kultursorten von Pflanzen geschaffen werden, die produktiver und klima-angepasster sind als jene, die durch herkömmliche Züchtung oder frühere gentechnische Verfahren entstanden. Mithilfe neuer Präzisions-Werkzeuge wie etwa der Gen-Schere CRISPR/Cas können DNA-Abschnitte an einer vorher bestimmten Stelle des Genoms entfernt oder eingefügt werden.
Im Juli 2018 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die rechtlichen Regelungen für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) auch für diese neu entwickelten Techniken gelten. Seitdem ist die Regulierung der Grünen Gentechnik auch wieder zurück auf der politischen Agenda. Aktuell wird intensiv über eine Neuregelung zu GVO diskutiert, deren DNA mithilfe von NGT so verändert wurde, dass diese auch in der Natur vorkommen bzw. durch herkömmliche Züchtungsmethoden erzielt werden könnten. So hergestellte Pflanzen können nicht mehr von Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung unterschieden werden, während dies bei anderen etablierten Gentechnik-Verfahren bisher immer möglich war.
In der EU gelten für alle GV-Pflanzen derzeit dieselben gesetzliche Regelungen, egal ob die genetische Veränderung auch durch herkömmliche Pflanzenzucht hätte erreicht werden können oder nicht. Die bis dato geltende EU-Gesetzgebung wurde 2001 verabschiedet [1]. Eine Zulassung eines GVO – das betrifft sowohl den Anbau einer GV-Pflanze als auch deren Import sowie ihrer Produkte – ist seitdem in der EU nur dann gestattet, wenn es nachweislich genau so sicher wie ein konventionelles Vergleichsprodukt ist. In In der EU dürfen nur GV-Pflanzen angebaut und importiert werden, die hier auch zugelassen sind, andere unter keinen Umständen (Nulltoleranz). Daneben hat die europäische Bevölkerung einen Rechtsanspruch auf Produkte ohne Gentechnik, und GVO-Produkte müssen in allen Mitgliedsstaaten gekennzeichnet sein. Von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen sind Produkte, die von Tieren stammen, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden und auch Lebensmittel, die zufällige oder technisch unvermeidbare Spuren von GVO oder daraus hergestelltem Material bis zu einem Anteil von höchstens 0,9 Prozent enthalten.
Nachdem die EU-Richtlinien in Kraft traten, übernahmen die Mitgliedsstaaten diese in nationale Gesetze. Für die EU-Mitgliedsstaaten gibt es bei der Umsetzung in nationales Recht allerdings seit 2015 eine Ausstiegsklausel (Möglichkeit zum „Opt out“). Diese ermöglicht es jedem Land, den Anbau von in der EU zugelassenen GV-Pflanzen national zu regeln und somit auch zu verbieten. So etwa legt das nationale österreichische Gentechnikgesetz fest [2], ob GV-Pflanzen in Österreich angebaut und vermarktet werden dürfen und bestimmt auch die dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren.
EU-weit ist nur der Anbau für eine einzige gentechnisch veränderte Maissorte namens „MON 810“ erlaubt, die einen Wirkstoff des Bakteriums Bacillus thuringiensis (Bt-Toxin) in ihren Pflanzenzellen produziert und die Pflanze somit widerstandsfähiger gegen den Pflanzenschädling Maiszünsler macht. Österreich hat hier von der Ausstiegsklausel Gebrauch gemacht und – wie viele andere EU-Mitgliedsstaaten – den Anbau dieser GV-Maissorte aufgrund der Risikobewertung (§ 60 Gentechnikgesetz) verboten.
Für den Import in die EU sind momentan 98 GV-Pflanzen zugelassen, wie z.B. Soja, Mais und Raps. Auch in Österreich ist der Import von GV-Pflanzen und deren Produkten grundsätzlich erlaubt. Hauptsächlich werden Futtermittel für Tiere importiert – auch der gentechnisch veränderte Mais MON 810, dessen Anbau in Österreich verboten ist. Produkte von Tieren, die mit GV-Futtermitteln gefüttert wurden, wie zum Beispiel Eier, Milch oder Fleisch fallen dann allerdings nicht mehr unter die bestehende Kennzeichnungspflicht.
Nach einem langwierigen Beratungsprozess machte die EU-Kommission im Sommer 2023 den Vorschlag, den Umgang von Neuen Genomischen Techniken (NGT) wie der Gen-Schere CRISPR/Cas in der Landwirtschaft zu lockern. Das EU-Parlament stimmte dieser Vorlage zu einer neuen EU-Verordnung im Februar 2024 im Wesentlichen zu. Für Pflanzen, die mithilfe neuer genomischer Verfahren so verändert wurden, dass sie kein artfremdes Genmaterial enthalten, soll es zukünftig zwar eine Anmeldepflicht geben, sonst aber praktisch keine Sonderregelungen mehr. EU-Kommission und EU-Parlament erhoffen sich so eine maßgebliche Vereinfachung von aufwändigen und langwierigen Zulassungsverfahren sowie Freilandversuchen von NGT-Pflanzen, da sie künftig nur noch bei der zuständigen nationalen Behörde anzumelden wären. Dann werde geprüft, ob die jeweilige Pflanze tatsächlich den NGT-Kriterien entspricht, so der Plan. Wäre das der Fall, erließe die EU-Kommission eine EU-weite Zulassung als NGT-Pflanze, und der Anbau könnte ohne weitere Auflagen durchgeführt werden. Die anerkannten NGT-Pflanzen würden (zusammen mit Dokumenten des Zulassungsverfahrens) in ein öffentliches Register eingetragen werden. Gleichzeitig fordert das Parlament ein Patentierungsverbot für NGT-Pflanzen. Anders als bei herkömmlichen gentechnisch veränderten Pflanzen könnten bei Inkrafttreten der neuen Regelungen einzelne EU-Mitgliedsstaaten weder den Anbau dieser neu editierten Pflanzen für ihr Territorium verbieten noch Freilandversuche grundsätzlich untersagen.
Auch die Regeln für die Kennzeichnungspflicht sollten sich ursprünglich ändern: So schlug die EU-Kommission vor, dass nur das NGT-Saatgut, nicht aber die Produkte kennzeichnungspflichtig bleiben. Doch die EU-Parlamentarier:innen diskutierten diese Vorschläge und kamen zu dem Schluss, dass die Kennzeichnungspflicht für GV-Produkte erhalten bleiben sollte. Lebensmittel, die selbst NGT-Pflanzen darstellen, oder deren direkte Produkte sollen in Zukunft mit dem Etikett „Neuartige Genomische Verfahren (NGV)“ gekennzeichnet bleiben. Die Apfelsorte Gala, auf die ein Resistenzgen gegen die Pilzerkrankung Apfelschorf aus Wildäpfeln erfolgreich übertragen wurde, wäre beispielsweise mit Etikett im Supermarkt zu finden [3].
Die EU-Kommission und das EU-Parlament sind sich jedoch darin einig, in Zukunft zwischen klassischen und neuen genomischen Techniken zu unterscheiden und genetisch veränderte Pflanzen in zwei Kategorien, nämlich in NGT1- und NGT2-Pflanzen, einzuteilen. Für NGT1-Pflanzen und deren Produkte sollen demnach die oben beschriebenen Lockerungen gelten, wenn sie nach dem Eingriff in ihre Gene nur arteigene Gene besitzen. Sie könnten auch herkömmlich gezüchtet werden oder durch zufällige Mutation unter natürlichen Bedingungen entstehen, so die Begründung. Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise eine genetisch veränderte Kartoffelsorte, die gegen die Kraut- und Knollenfäule resistent ist, indem Resistenzgene aus Wildkartoffeln mithilfe der Genschere in die Kultursorte übertragen wurden.
Es gibt klare Definitionen für NGT1-Pflanzen: Gegenüber der Ausgangspflanze dürfen Forschende höchstens 20 Basenpaare der DNA (Nukleotide) in deren Genom einfügen oder verändern; allerdings dürfen DNA-Sequenzen unabhängig von ihrer Länge umgedreht oder entfernt werden. Die Einschränkung auf 20 Nukleoide (die nicht aufeinanderfolgend sein müssen, sondern an unterschiedlichen Orten im Genom liegen können) beruht vermutlich auf einer statistischen Bewertung, die im Bericht der EU-Kommission erwähnt wird, wonach ab 20 modifizierten Nukleotiden statistisch gesehen keine natürliche Mutation mehr vorliegen kann. Forschende dürfen außerdem externe DNA nur dann einfügen, wenn diese bei dieser Pflanzenart auch natürlich vorkommt, und zwar in deren „Züchterisch nutzbarem Genpool“. Wie dieser allerdings definiert wird, fehlt noch in den aktuellen Vorschlägen. Eindeutig ist aber, dass NGT1-Pflanzen keine Gene von artfremden Organismen wie etwa Bakterien enthalten dürfen.
Unter die Kategorie NGT2 fallen Pflanzen, bei denen größere DNA-Abschnitte verändert oder artfremde Gene eingefügt wurden. Diese NGT2-Pflanzen unterliegen vergleichbaren Auflagen wie mit herkömmlichen gentechnischen Methoden veränderte Pflanzen. Neu ist, dass dabei das geänderte oder neu hinzugefügte Merkmal genannt werden muss. Der Regulierungsentwurf der Kommission sieht allerdings auch vor, dass NGT-Pflanzen, die nicht in die Kategorie 1 fallen, vereinfacht zugelassen werden können, wenn sie bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, die den Zielen des „European Green Deal“ dienen [4]. Dazu zählen Stresstoleranz gegenüber abiotischem Stress (zum Beispiel Trockenheit oder Hitze) und biotischem Stress (zum Beispiel Resistenzen gegen Krankheitserreger von Nutzpflanzen) sowie höherer Ertrag oder auch eine verbesserte Nährstoffzusammensetzung. NGT-Pflanzen, die nur tolerant gegen Herbizide sind, sind jedoch von dieser Ausnahmeregelung kategorisch ausgeschlossen und würden weiterhin wie klassische genveränderte Organismen das Prüfverfahren für NGT2-Pflanze durchlaufen.
In der EU werden Verordnungen erst dann rechtskräftig, wenn Parlament und Rat die Gesetzesinitiative der Kommission annehmen oder einen Kompromiss aushandeln. Nachdem die EU-Parlamentarier:innen Änderungsvorschläge beschlossen haben, liegt es nun bei den zuständigen EU-Landwirtschaftsminister:innen im Rat der EU, über den vorgelegten Entwurf des Parlaments abzustimmen. Akzeptiert der Rat die Änderungen des Parlaments nicht, muss er mit qualifizierter Mehrheit einen eigenen Entwurf beschließen. Dieser geht dann wieder zurück an das EU-Parlament, das über die Vorschläge des Rates berät und abstimmt (2. Lesung). Auch die Kommission nimmt dann erneut Stellung und der Abstimmungsprozess zwischen den drei Institutionen beginnt erneut.
Bislang konnten sich die Mitgliedsstaaten noch auf keinen gemeinsamen Standpunkt des Rates einigen. Einige Länder lehnen die Reform der Gentechnik-Gesetzgebung grundsätzlich ab, andere wie Deutschland enthalten sich. Österreich hat den Plänen der Kommission bereits eine Absage erteilt.
Der politische Entscheidungsprozess wird vermutlich erst gegen Ende 2025 weitergehen - mit einem neu gewählten EU-Parlament und einer neu zusammengestellten EU-Kommission. Was das für die NGT-Verordnung bedeutet, ist ungewiss. Sollten sich Kommission, Parlament und Rat nach den Wahlen einigen, wird die NGT-Verordnung unmittelbar in der EU gelten und Österreich wird sein restriktives Gentechnik-Gesetz novellieren müssen.
Welche Möglichkeiten die (Grüne) Gentechnik grundlegend für Forschung, Entwicklung, Landwirtschaft und Medizin eröffnet hat, können Sie in unserem Beitrag "Grüne Gentechnik – Definition und Anwendungen" nachlesen.
ip, 22.05.2024
Referenzen:
[1] Aktuelle GVO-Gesetzgebung in der EU: 1. Gentechnisch veränderte Pflanzen: Die EU-Richtlinie 2001/18/EG (Überarbeitung der EU-Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG) regelt den Anbau und die Vermarktung von genetisch veränderten Pflanzen sowie alle weiteren Formen der absichtlichen Freisetzung von GVO-Pflanzen in die Umwelt. Behördliche Anmelde- und Zulassungsverfahren sind beschrieben und der Verwendungszweck der GVOs als Saatgut, Futtermittel oder Lebensmittel wird festgelegt. 2. Gentechnisch veränderte Lebensmittel: Die Novel Food Verordnung (EG) Nr. 258/1997 regelt die Zulassung, das Inverkehrbringen und die Kennzeichnung von neuartigen Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten (Novel Food). Darunter fallen auch genetisch veränderte Lebensmittel. Mit den EU-Verordnungen (EG) 1829/2003 und 1830/2003 wurden die Kennzeichnung und die Rückverfolgbarkeit von GVOs und GVO-Lebensmitteln sowie GVO-Futtermitteln rechtlich neu geordnet. Diese neuen Bestimmungen traten am 7. November 2003 in Kraft; die Kennzeichnungsbestimmungen sind seit 19. April 2004 anzuwenden; abgefragt am 20.5.2024
[3] Transparenz Gentechnik, Apfel; abgefragt am 22.5.2024
[4] Europäische Kommission: Der europäische Grüne Deal. Erster klimaneutraler Kontinent werden; abgefragt am 22.5.2024