PAC-MAN gegen Pandemien: Der Einsatz von CRISPR bei Corona

CRISPR als PAC-MAN, Bild: Adaptiert von Pixaby, CCO durch Open Science - Lebenswissenschaften im Dialog (CC BY-SA-ND 3.0 AT)

Grundlagenforschung, Nachweisverfahren, Therapie – die Genschere CRISPR dringt in immer mehr Bereiche der Medizin vor und stellt sich im Zuge der Pandemie als vielseitig einsetzbares Universalwerkzeug heraus.

Gelegentlich entwickeln sich Technologien, die vielseitig einsetzbar sind. In manchen Fällen geht das so weit, dass mehrere einst getrennte Dinge in einer einzigen neuen Erfindung vereint werden. Ein Beispiel dafür ist das Handy. Ursprünglich als tragbares Telefon entwickelt, kombiniert ein modernes Smartphone heute Telefon, Fotoapparat, Videokamera, Diktiergerät, Gameboy und viele andere Technologien in einem Gerät.

Auch in der Genetik ist derzeit ein Allrounder am Vormarsch, der in immer mehr Bereichen der Molekularbiologie Anwendung findet: Die Genschere CRISPR. Sie wurde vorrangig entwickelt, um Erbinformation schnell, einfach und präzise verändern zu können. In großen Schritten wird die CRISPR-Methode jedoch weiterentwickelt und findet in immer mehr Bereichen der Genetik Anwendung. So entwickelt sich das Werkzeug allmählich zu einem ganzen Werkzeugkasten, der nicht nur für die Forschung interessant ist, sondern auch zusehends für MedizinerInnen und Kranke. Auch im Bereich der Virologie hat die CRISPR-Technologie Einzug gehalten: Mit CRISPR lassen sich Viren mittlerweile nicht nur verändern, sondern auch nachweisen. Und demnächst soll die Genschere Viren vielleicht sogar an der Infektion menschlicher Zellen hindern.

CRISPR als klassische Genschere

CRISPR (gesprochen Krisper) ist die Abkürzung für „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats”. Bei CRISPR handelt es sich um die jüngste Generation von Genscheren, die es erlauben, mit bisher nie dagewesener Leichtigkeit und Präzision gezielte Veränderungen im Erbgut herbeizuführen. Die CRISPR-Technologie entwickelt sich so rasant weiter, dass momentan jede Forschungsarbeit zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Grunde bereits mit altem Werkzeug arbeitet.

Um DNA gezielt zu verändern, verwendet das CRISPR-System zwei Komponenten: eine, die festlegt, an welcher Stelle die DNA verändert werden soll (gRNA), und eine, die an dieser Stelle eine Veränderung durchführt (Cas-Protein). Bei der gRNA (guide RNA) handelt es sich um eine Art Lesezeichen, das nur an einer bestimmten Stelle im Genom binden kann. Sie besteht selbst aus einem kurzen Faden Erbinformation und beinhaltet eine meist 20 Buchstaben lange Sequenz, die man selbst wählen kann und somit festlegt, an welcher Stelle im Genom sie bindet. Mehr als an DNA binden kann die gRNA selber nicht, weshalb es eine zweite Komponente braucht, um die DNA an dieser Stelle zu verändern: ein Enzym der Cas-Familie. Die ursprünglich entwickelte Version von CRISPR arbeitet mit dem Enzym Cas9, doch insgesamt sind über 40 verschiedene Cas-Proteine bekannt [1], welche unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Cas-Proteine hängen sich an die gRNA und werden von ihr an die Stelle der DNA geleitet, die verändert werden soll. Dort angekommen führt das Cas-Protein seine Funktion aus. Cas9 z.B. schneidet den DNA-Faden durch, was die Bezeichnung „Genschere“ erklärt. Indem man eine passende gRNA wählt, kann man auf den Buchstaben genau festlegen, wo im Genom eine Veränderung stattfinden soll.

Neuere Versionen des CRISPR-Systems erlauben es, Gene vorübergehend ein- oder auszuschalten oder einzelne Buchstaben der DNA zu verändern, ohne dafür den Doppelstrang durchschneiden zu müssen. Man könnte sagen, CRISPR hat aus der anspruchsvollen Aufgabe der Genveränderung ein leicht anzuwendendes Bauklotz-System gemacht. Es ist diese gute Anpassbarkeit, die es CRISPR ermöglicht, in immer mehr Bereiche der Forschung und der Medizin vorzudringen. Auch in Zeiten einer Pandemie behauptet sich CRISPR als flexibles Werkzeug.

CRISPR zum Nachweis von SARS-CoV-2

Als wäre die Revolutionierung gezielter Gen-Veränderungen nicht schon genug, dringt CRISPR nun auch immer mehr in den Bereich der medizinischen Diagnostik vor. Seit kurzem lässt sich damit sogar das Coronavirus SARS-CoV-2 nachweisen, welches die Krankheit Covid-19 verursacht. Zwar dauerte es nach dem Auftauchen des neuen Coronavirus nicht lange, bis die ersten zuverlässigen Tests entwickelt wurden, allerdings haben diese beträchtliche Nachteile. Am verbreitetsten sind sogenannte RT-PCR (Reverse-Transcriptase-Polymerase-Chain-Reaction) Tests. Dabei wird die Erbinformation der Viren, die aus RNA besteht, zuerst in DNA umgeschrieben. Von dieser werden dann Millionen Kopien angefertigt, die sich daraufhin nachweisen lassen. Das Verfahren kann winzige Mengen des Virus erkennen, hat jedoch den Nachteil, dass es in etwa 4 Stunden dauert, bis ein Ergebnis vorliegt. Und da die Verarbeitung der Proben spezielle Geräte erfordert, kann sie meist nicht am Ort der Entnahme stattfinden. Das erklärt, warum es in der Praxis oft über 24 Stunden dauert, bis ein Ergebnis feststeht – Zeit, die während einer Pandemie oft fehlt. Schneller funktionieren die derzeitigen Antikörpertests, die in ihrer Anwendung an Schwangerschaftstest erinnern. Dabei wird nicht das Virus selbst nachgewiesen, sondern die Reaktion des Körpers darauf. Antikörpertests sind schnell durchführbar, jedoch etwas unzuverlässiger und erkennen das Virus erst, wenn die Ansteckung bereits Tage zurückliegt.

Hier kann CRISPR nun Abhilfe verschaffen und die beiden Vorzüge, Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit, vereinen. Und das mit simpler Laborausrüstung, die in fast jedem Labor vorhanden ist. Den Kern des neuen Testverfahrens DETECTR (DNA Endonuclease-Targeted CRISPR Trans Reporter) bildet CRISPR [2]. Die ersten Schritte des neuen Verfahrens laufen ähnlich ab wie bei einem PCR Test. Zuerst wird die Erbinformation des Virus in DNA umgeschrieben. Die DNA beinhaltet die gleiche Information, ist jedoch deutlich stabiler als RNA und somit leichter handzuhaben. Im nächsten Schritt werden zahlreiche Kopien der DNA hergestellt. Bei PCR Tests geschieht dies durch sich wiederholende Temperaturänderungen, die viel Zeit benötigen. Der CRISPR Test hingegen nutzt ein moderneres Verfahren namens RT-LAMP [3], welches bei gleichbleibender Temperatur abläuft und innerhalb einer Stunde rund 10 Milliarden DNA-Kopien herstellen kann. Ab diesem Punkt kommt CRISPR ins Spiel.

In den Proben der PatientInnen suchen zwei gRNAs nach passenden Bindungsstellen in der Erbinformation des Virus. Nur wenn die PatientInnen mit Sars-CoV-2 infiziert sind, können beide gRNAs binden und mit ihnen auch die Cas Proteine. Allerdings kommt hier nicht das gewöhnliche Cas9 zum Einsatz, sondern ein spezielles, erst vor kurzem beschriebenes Cas-Protein: Cas12a [4].  Wie andere Cas-Proteine kann auch Cas12a gezielt an doppelsträngige DNA-Moleküle binden und sie zerschneiden. Cas12a hat jedoch eine ganz besondere Eigenschaft: Sobald es sein Ziel gebunden hat, zerschneidet es wahllos auch einzelsträngige DNA-Moleküle in der Nähe. Quasi wie eine außer Kontrolle geratene Schere, die wild in alle Richtungen schnappt. Genau diese Eigenschaft macht sich der Test zunutze. Wenn die Probe SARS-CoV-2 Erbinformation enthält, kann Cas12a mithilfe der beiden gRNAs binden und fängt daraufhin an, einzelsträngige DNA in der Umgebung zu zerstören. Das Nachweisverfahren nutzt deshalb spezielle, einzelsträngige DNA-Moleküle als Reporter. Sobald diese zerschnitten werden, liefern sie ein Farbsignal, das sich mithilfe eines Teststreifens nachweisen lässt. Ein einzelner schwarzer Strich am Teststreifen bedeutet ein negatives Ergebnis. Die Reporter-DNA wurde nicht geschnitten, weil die Probe keine Coronavirus-Erbinformation enthielt. Zwei Streifen bedeuten, dass SARS-CoV-2 Erbinformation vorhanden war, die Person also mit dem Coronavirus infiziert ist. Vergleichbar mit einem Schwangerschaftstest, bei dem ebenfalls ein Streifen ein negatives Ergebnis bedeutet, zwei Streifen jedoch ein Positives. Nur wird dieser Test nicht mit Urin durchgeführt, sondern mit einem Abstrich aus dem Nasen-Rachen-Raum. Insgesamt dauert das Testverfahren weniger als eine Stunde und ist in jedem Labor, ohne die Notwendigkeit außergewöhnlicher Geräte, durchführbar. Das macht den Test nicht nur schneller, sondern auch praktischer als herkömmliche PCR Tests, da er nahezu in jedem Labor einfach vor Ort durchgeführt werden kann. In den USA ist das Testverfahren bereits zugelassen, in Europa dürfte dies demnächst geschehen.

CRISPR als PAC-MAN gegen Covid-19

Die Genschere CRISPR wurde streng genommen nicht erfunden, sondern entdeckt und für verschiedenste Zwecke angepasst. Die wahren Erfinder sind Bakterien, die CRISPR als eine Art primitives Immunsystem entwickelt haben, um die Erbinformation von Bakteriophagen (vergleichbar mit Viren, die jedoch Bakterien befallen) zu zerschneiden. Wenn CRISPR also ursprünglich Bakterien zur Abwehr von Viren dient, ist es naheliegend, dass es auch uns vor Viren schützen könnte. Es ist allerdings schwierig, das CRISPR-System in menschliche Zellen zu bekommen. Einer der Gründe dafür ist, dass die Erbinformation für die Cas-Proteine ziemlich groß ist und sich nicht so leicht in unsere Zellen einschleusen lässt. Es gibt jedoch Unterschiede zwischen den einzelnen Cas-Proteinen. Während das ursprünglich beschriebene Cas9 verhältnismäßig groß ist, ist das unlängst entdeckte Cas13d um einiges kleiner, sehr spezifisch und in menschlichen Zellen besonders aktiv. Im Mai 2020 erschien eine Arbeit, in der mithilfe von Cas13d eine neue Form der antiviralen Therapie mit dem klingenden Namen PAC-MAN (prophylactic antiviral CRISPR in human cells) entwickelt wurde [5]. Diese hat es zum Ziel, menschliche Zellen vor Infektion mit SARS-CoV-2 zu schützen. Die ForscherInnen konnten zeigen, dass es mithilfe dieses CRISPR Systems möglich ist, die Erbinformation von SARS-CoV-2 innerhalb menschlicher Zellen zu zerschneiden. Dazu wurde in Zellkultur mit menschlichen Lungenzellen gearbeitet, die bei einer Covid-19 Erkrankung als größte Problemzone gelten. Ob sich eine Covid-19 Infektion dadurch tatsächlich verhindern lässt, ist jedoch noch nicht untersucht. Dazu hatten die ForscherInnen bisher zu wenig Zeit. Zuallererst gilt es zu klären, wie sich das CRISPR/Cas13d System am besten in die Lungenzellen von PatientInnen transportieren lässt, bzw. wie effektiv und sicher die Methode überhaupt wäre.

SARS-CoV-2 ist eine völlig neue Erscheinung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass neue Technologien zum Nachweis oder gar der Verhinderung der Erkrankung erst am Anfang stehen. In anderen Bereichen konnten sich die neuen Entwicklungen auf Basis von CRISPR jedoch bereits beweisen. Zum Beispiel wurden seit 2018 bereits mehrere Nachweisverfahren für Infektionskrankheiten auf Grundlage von CRISPR entwickelt [6]. Mitunter für Influenzaviren, den Auslösern der Grippe, die zusammen mit Coronaviren die größte Gefahr bezüglich globaler Pandemien darstellen. Und dass sich Influenza-Infektionen mithilfe des PAC-MAN Systems in Zellkultur verhindern lassen, konnten die ForscherInnen ebenfalls bereits zeigen.

Dennoch befindet sich das PAC-MAN System und viele andere der Technologien, die CRISPR unlängst ermöglicht hat, erst im Stadium des grundsätzlichen Machbarkeitsnachweises. Doch genau das macht diese Arbeit so interessant. Dank CRISPR können wir die Entwicklung völlig neuer Therapieansätze beobachten. Sollten sich diese Ansätze als anwendbar herausstellen, ließen sie sich schnell anpassen, um für derzeitige und zukünftige Krankheitserreger gewappnet zu sein. Denn SARS-CoV-2 wird nicht das letzte Virus sein, das eine Pandemie verursacht. Vielleicht sind wir dank CRISPR und der rasant wachsenden Anzahl seiner Einsatzmöglichkeiten auf die nächste besser vorbereitet.

Martin Moder, 26.06.2020


Quellenangaben

[1] Haft DH, Selengut J, Mongodin EF, Nelson KE: A guild of 45 CRISPR-associated (Cas) protein families and multiple CRISPR/Cas subtypes exist in prokaryotic genomes (2005). PLoS Comput Biol. 2005 Nov;1(6):e60. doi: 10.1371/journal.pcbi.0010060. Epub 2005 Nov 11. PMID: 16292354; PMCID: PMC1282333.

[2] Broughton JP, Deng X., Yu G. et al. CRISPR–Cas12-based detection of SARS-CoV-2 (2020). Nat Biotechnol (2020). https://doi.org/10.1038/s41587-020-0513-4

[3] Notomi T., Okayama H., Masubuchi H., et al. Loop-mediated isothermal amplification of DNA (2000). Nucleic Acids Res. 2000;28(12):E63. doi:10.1093/nar/28.12.e63

[4] Chen JS, Ma E., Harrington LB et al.: CRISPR-Cas12a target binding unleashes indiscriminate single-stranded DNase activity (2018). Science 27 Apr 2018: Vol. 360, Issue 6387, pp. 436-439. doi: 10.1126/science.aar6245

[5] Abbott TR, Dhamdhere G., Liu Y. et al.: Development of CRISPR as an Antiviral Strategy to Combat SARS-CoV-2 and Influenza (2020). Cell. 2020 May 14;181(4):865-876.e12. doi: 10.1016/j.cell.2020.04.020. Epub 2020 Apr 29. PMID: 32353252; PMCID: PMC7189862.

[6] Chiu C.: Cutting-Edge Infectious Disease Diagnostics with CRISPR (2018). Cell Host & Microbe, In Translation| Volume 23, Issue 6, P702-704, June 13, 2018