Mensch beeinflusst Evolution stärker als gedacht

Fruchtfliege auf Blatt

Das Erbgut der Fruchtfliege hat sich im Laufe der Zeit massiv verändert, schuld daran ist vermutlich der Mensch, Bild: Pixabay, CCO

Forscher:innen der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmeduni) Wien konnten zeigen, dass sich das Erbgut der Fruchtfliege im Laufe der Zeit massiv verändert hat. Schuld daran ist vermutlich der Mensch.

Fliegen werden oft als lästig abgestempelt. Sie sind aber in der Grundlagenforschung ein beliebter Modellorganismus, da sie viele Vorteile für die Wissenschaft in sich vereint: Sie vermehrt sich innerhalb weniger Tage, ihr Genom – also die Gesamtheit aller ihrer Gene – ist bekannt, und im Vergleich zu anderen Organismen ist sie billig zu halten. Die Fruchtfliege Drosophila melongaster zähltz heute zu den am besten untersuchten Organismen der Welt.

„Cold case“ Fliege

Einem Team von Wissenschaftler:innen aus den USA und Schweden gelang es 2023, das Erbgut von 200 Jahre alten Fruchtfliegen zu entschlüsseln. Dies wurde durch eine Zusammenarbeit mit Museen in Schweden und Dänemark ermöglicht, bei denen die Fliegen gelagert waren. 

Diesen „Cold case“ nutzte nun auch ein Wissenschaftsteam der Vetmeduni Wien und untersuchte das Erbgut der Fliegen aus den Museen. Ein Vergleich mit der heutigen Fliege zeigte, dass sich die DNA der Fruchtfliege innerhalb von 200 Jahren massiv verändert hatte: Das Erbgut der Fliege hatte sich in dieser Zeit um 1,2 Prozent vergrößert. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichten die Wissenschaftler:innen rund um Robert Kofler im Fachmagazin PNAS.

Springende Gene vergrößern Genom

Wie die Forscher:innen herausfanden, trug vor allem die Ausbreitung von so genannten transponierbaren Elementen (TEs) zur Vergrößerung des Fliegen-Genoms bei. Bei TEs handelt es sich um DNA-Abschnitte, die ihre Position innerhalb des Genoms verändern können und die auch als „genomische Parasiten“ oder „springende Gene“ bezeichnet werden. Bei der Fruchtfliege hatten sich im Laufe der Zeit sieben davon stark ausgebreitet.

Mensch hat stärkeren Einfluss auf Evolution als angenommen

Das Einfügen springender Gene hat einen massiven Einfluss auf die Evolution und treibt diese voran – im Fall der Fliegen unerwartet schnell. Die Wissenschaftler:innen nehmen an, dass  der Grund dafür der Mensch ist. „Unsere Arbeit zeigt einen ganz neuen Aspekt von menschlicher Aktivität und seines Einflusses auf die Umwelt. Bisher waren alle besorgt, dass der Mensch das Klima erwärmt. Wir haben nun erste Hinweise, dass der Mensch womöglich auch dafür verantwortlich ist, dass sich das Insektenerbgut massiv verändert. Und zwar in kurzer Zeit, durch die massive Ausbreitung von parasitischer DNA“, so Studien-Letztautor Kofler.

Laut den Wiener Forscher:innen sind für die Anhäufung der springenden Gene in der Fliegen-DNA invasive Arten verantwortlich. So werden Arten bezeichnet, die sich aufgrund der Existenz des Menschen außerhalb ihrer ursprünglichen Verbreitungsgebiete ansiedeln.

Wiener Forscher:innen schreiben „Invasionsgeschichte“

Das Team von der Vetmeduni Wien analysierte in weiterer Folge verschiedene Fliegen-Stämme und Proben, die zu verschiedenen Zeitpunkten entnommen wurden. So konnten die Wissenschaftler:innen im Detail herausfinden, wann die Invasionen der mobilen DNA-Elemente erfolgten und einen entsprechenden Zeitplan erstellen. „Das macht Drosophila melanogaster zum ersten Organismus, bei dem die Invasionsgeschichte von TEs über zwei Jahrhunderte hinweg abgeleitet werden konnte“, so Almorò Scarpa, Erstautor der Studie.

Die Forscher:innen nehmen an, dass die Invasion der mobilen DNA-Elemente  in zwei Wellen stattfand. Als Ausgangspunkt wurde Drosophila simulans, ein naher Verwandter der Fruchtfliege, identifiziert.

Untersuchung mobiler Elemente auch in anderen Insekten

Die Forschungsgruppe rund um Kofler will in Zukunft auch in anderen Insekten TE-Invasionen untersuchen und dafür mit Museen, wie etwa dem Naturhistorischen Museum Wien, zusammenarbeiten. Die Die Wissenschaftler:innen möchten auch herausfinden, ob sie die TE-Invasions-Rate über die Jahrhunderte hinweg durch unterschiedliche Einflüsse – wie etwa der Zunahme des menschlichen Frachtverkehrs–  gesteigert hat. Für dieses Vorhaben benötigten sie allerdings Bohrkerne, um noch weiter als 200 Jahre in die Vergangenheit schauen zu können.

as, 17.04.2024


Quellenangaben

Quelle:

Presseaussendung der Vetmeduni Wien vom 3.4.2024

Originalpublikation:

Scarpa A., Pianezza R., Wierzbicki F. and Kofler R.: Genomes of historical specimens reveal multiple invasions of LTR retrotransposons in Drosophila melanogaster populations during the 19 th century (2024); PNAS, April 2, 121 (15), doi.org/10.1073/pnas.231386612