Soziale Medien und KI: neue Strategien gegen Lebensmittelverschwendung

Lebensmittel im Müll

Zu viele Lebensmittel landen heute im Müll. Bild: Pixabay, CCO

Bei gezielten Kampagnen gegen Lebensmittelverschwendung spielen sowohl Social Media als auch KI eine wichtige Rolle. Die bESSERwisser haben dazu recherchiert.

Mehr als ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel landen heute im Müll, was einem jährlichen Verlust von etwa 1,3 Milliarden Tonnen an Essen entspricht [1]. Nicht nur beim Anbau und Vertrieb geht wertvolle Nahrung verloren, sondern auch beim persönlichen Konsum. Hier sind die einkommensstarken Länder Spitzenreiter – unter anderem, da hier oft zu hohe Qualitätsansprüche an das Aussehen von Obst und Gemüse herrschen und noch einwandfreie Lebensmittel aufgrund ihres Ablaufdatums weggeworfen werden [2]. Allein in Österreich landet jährlich über eine Million Tonnen an vermeidbaren Lebensmittelabfällen im Müll [3].

Die enorme Lebensmittelverschwendung stellt ein großes ethisches Problem dar: Während weltweit jedes Jahr mehr als 800 Millionen Menschen hungern, wird in anderen Teilen der Welt das Essen nicht genügend wertgeschätzt [4]. Außerdem wird dadurch die Umwelt extrem belastet, da Herstellung und Transport der nicht genutzten Lebensmittel unnötig Energie, Wasser, Flächen sowie Dünge- und Pflanzenschutzmittel benötigen – und das in ohnehin schon schwierigen Zeiten des Klimawandels und dem Verlust der Biodiversität. Daher hat es sich die UN zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Menge an Lebensmittelabfällen zu halbieren. Dementsprechend wurden bereits zahlreiche globale und lokale Kampagnen gestartet, um der Lebensmittelverschwendung den Kampf anzusagen.

Mit Apps gegen die Lebensmittelverschwendung im Handel

Beim Kampf gegen Lebensmittelverschwendung in Handel, Gastro und Vertrieb sind heute Internet & Co nicht mehr wegzudenken, und Apps wie beispielsweise Too good to go liegen hoch im Kurs. Dieser in 17 Ländern aktive „Marktplatz für überschüssige Lebensmittel“ bietet übriges Essen von Bäckereien, Supermärkten und Gastronomiebetrieben zum reduzierten Preis für die Kundschaft und erfreut sich großer Beliebtheit. Auch in Österreich ist Too good to go seit mittlerweile mehr als vier Jahren aktiv und konnte bereits mehr als 9 Millionen Überraschungssackerl mit Überbleibseln retten.

Eine derartige Win-Win-Win-Situation bietet auch die App ResQ. Diese funktioniert ähnlich wie Too good to go, bietet zusätzlich aber auch noch Privatpersonen die Möglichkeit, ihre überschüssigen Lebensmittel zu verkaufen. ResQ ist aktuell in Österreich noch nicht aktiv und kann somit von Österreicher:innen nur im Ausland genutzt werden.

Auch Regionalität ist ein Weg aus der Essenswegwerf-Falle, da regionale Lebensmittel besonders frisch gekauft und verwerten werden können. In Österreich haben sich zahlreiche Apps, wie beispielsweise Direkt Regional, AbHof oder VomLand, darauf spezialisiert.

KI zur Vermeidung von Food Waste

Wie viele andere Bereiche wird aktuell auch der Lebensmittelsektor von der Künstlichen Intelligenz (KI) erobert und soll unter anderem dabei helfen, in der Produktions- und Lieferkette sowie der Gastronomie Verluste gering zu halten [5,6].

Wie Lebensmittelverschwendung mithilfe von KI verhindert werden kann, ist beispielsweise Thema des Projekts REIF, das die Hochschule Augsburg gemeinsam mit Partner:innen durchführt [12]. REIF hat eine Reduzierung der Lebensmittelverluste in den Branchen Molkerei, Fleisch und Backwaren um bis zu 90 Prozent als Ziel. KI-unterstützt sollen Überproduktion minimiert und Ausschuss vermieden werden, indem die Nachfrage der Konsument:innen genauer prognostiziert und die Produktion kurzfristig an Änderungen der Gegebenheiten angepasst wird [6].

Auch in der Gastronomie hilft die KI mittlerweile schon bei der Müllvermeidung. So etwa hat das 2013 in London gegründete Unternehmen Winnow Vision ein smartes System entwickelt, das mit Kamera und Waage die weggeworfenen Lebensmittel erfasst und deren Gewicht ermittelt. Eine Auswertung dieser Daten liefert den Gastronom:innen KI-unterstützt dann unterschiedlichste Informationen, wie etwa welche Gerichte mit vielen Resten auf dem Teller zurückkommen. So können dann beispielsweise Menüs angepasst werden, um Abfälle zu vermeiden. Auch das Schweizer Start-up KITRO hat sich auf KI-gestützte Abfallvermeidung in Großküchen spezialisiert.

In Österreich startete im Jahr 2022 das Projekt „Appetite“, welches mithilfe von KI Filialen im Lebensmittelhandel bei der bedarfsgerechten Bestückung unterstützen soll. Ziel ist die Entwicklung eines Prognose-Tools, das schon im Vorfeld Lebensmittelverschwendung verhindern und Produkte nicht erst dann retten soll, wenn es fast schon zu spät ist.

Abfälle aus Haushalten: Kampagnen nicht zielführend

Bei der Lebensmittelverschwendung in Österreich fällt das Konsumverhalten der Endverbraucher:innen besonders stark ins Gewicht: Rund die Hälfte davon stammt aus privaten Haushalten [4]. Dabei gibt es einen klaren Unterschied zwischen den verschiedenen Altersgruppen: Die Generation 50+ lebt besonders nachhaltig und plant und verwertet Lebensmitteleinkäufe umsichtiger als Jüngere [7]. Von den älteren, vor 1945 geborenen Menschen gaben rund ein Drittel sogar an, nie Lebensmittel in den Müll zu werfen [8]. Die Lebensmittelverschwendung der Jüngeren resultiert vor allem aus falschem Einkaufsverhalten und Fehlern beim Aufbewahren sowie fehlender Praxis beim Verwerten von Essensresten [9]. Des Weiteren werfen Haushalte mit Kindern besonders viele Lebensmittel weg, wobei hier gilt: Je mehr Kinder, umso mehr weggeworfenes Essen [10].

Damit private Haushalte langfristig weniger Lebensmittel wegwerfen und das Ziel der UN für nachhaltigen Konsum und Produktion im Jahr 2030 greifbar wird, müssen dementsprechende Kampagnen auch ihre Zielgruppen erreichen. Dies scheint aktuell jedoch nicht der Fall zu sein, wie eine britische Studie zeigte. Diese kam zu dem Schluss, dass die meist sehr allgemein gehaltenen Kampagnen zum Umgang mit Lebensmitteln private Haushalte zu wenig spezifisch ansprechen und bei der Zielgruppe nicht ankommen. Dementsprechend ist die Menge an verschwendeten Lebensmitteln in Haushalten trotz zahlreicher Kampagnen immer noch hoch [11].

Der Wille zur Veränderung ist jedenfalls da: Wie eine Umfrage zeigte, wollen Menschen in Österreich etwas gegen die Lebensmittelverschwendung tun [12].  58 Prozent der Österreicher*innen ist bewusst, dass Lebensmittelabfall schlecht fürs Klima ist, und mehr als Dreiviertel von ihnen versucht, möglichst alles Essen zu verwerten. Mehr als die Hälfte der Befragten glaubt außerdem, dass die aktuelle Teuerung zu weniger Lebensmittelabfall beiträgt.

Mit Social Media und Online-Plattformen gegen Essen im Müll

Beim Kampf gegen die Essensverschwendung in den Haushalten spielen heutzutage Soziale Medien und Online-Plattformen eine wichtige Rolle. So kommen beispielsweise weltweit Social Media-Kampagnen zum Einsatz, um bei den Konsument:innen überhaupt einmal das Bewusstsein dafür zu schaffen bzw. dieses zu stärken, dass Lebensmittelverschwendung ein ernstes Problem darstellt. Je nach verwendetem Kanal können online unterschiedliche Alters- und Zielgruppen erreicht werden.

Wie eine Studie zeigte, werden in den Sozialen Medien mit emotionalen Botschaften die besten Ergebnisse erzielt, um eine langfristige Auswirkung zu erreichen [13]. Obwohl es viel Online-Kampagnen schafften, bei den Konsument:innen ein Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung zu schaffen, kam es dadurch meist zu keinen langfristigen Änderungen derer Gewohnheiten. Daher werden zusätzlich noch andere Strategien gegen das Wegwerfen von Essen empfohlen [6].

Generell zeigen Social Media-Kampagnen dann die besten Effekte, wenn sie mit anderen Intervention-Tools kombiniert werden. Dies können gedruckte Informationen, Spiele-Apps, Websites, E-Mail-Benachrichtigungen, Rezeptkarten oder Ähnliches sein [11].

Beim Online-Kampf gegen Lebensmittelverschwendung spielen heute auch Influencer:innen eine wichtige Rolle: Die Dänin Selina Juul machte es mit ihrer 2008 gegründeten Bewegung „Stoppt die Essensverschwendung“ auf diversen Social Media- und Online-Plattformen vor, wie das Engagement einer einzigen Person Großes bewirken kann. Die von ihr ins Leben gerufene Initiative arbeitet mittlerweile auch mit EU- und UNO-Initiativen zusammen. Für ihr öffentliches Engagement gegen die Essensverschwendung wurde Juul 2014 zur „Dänin des Jahres“ gewählt und hat zahlreiche Preise erhalten. Sie ist aber bei weitem nicht die Einzige, die sich hier engagiert. Immer mehr junge Leuten setzen sich für die Umwelt und gegen Essensverschwendung ein und nutzen das Internet, um mit ihren Botschaften Gleichgesinnte zu erreichen.

Die Österreicherin Madeleine Alizadeh, besser bekannt als dariadaria, ist mit ihrer Nachhaltigkeitsbewegung ebenfalls auf reges Interesse gestoßen und wurde mit ihrem Nachhaltigkeitsblog auch über die Grenzen Österreichs bekannt. Ihr folgen alleine auf Instagram, wo sie sich klar gegen Lebensmittelverschwendung ausspricht, heute rund 200.000 Menschen.

Was bringt die Zukunft für die Haushalte?

Beim Kampf gegen die Essensverschwendung in den Haushalten soll auch die KI zukünftig eine wichtige Rolle spielen und die Konsument:innen beim Ernährungsmanagement unterstützen. So etwa soll der smarte Kühlschrank bald auch von unterwegs eine Übersicht über die Vorräte im Kühlschrank ermöglichen. Dadurch kann der Einkauf von den Konsument:innen besser geplant werden, oder noch besser – diese Aufgabe kann überhaupt gleich vom integrierten Einkaufsassistenten übernommen werden. Auch Informationen zu Lebensmitteln, die bald ablaufen, sollen die Verbraucher:innen damit erhalten. Diese Neuerungen werden jedoch durchaus auch skeptisch gesehen, da der Einbau von Kameras im Kühlschrank auch die Problematik des Datenschutzes mit sich bringt [14].

Woran aktuell auch an verschiedensten Stellen getüftelt wird, sind „intelligente Verpackungen“ mit Sensoren, die die Frische von Nahrungsmitteln detektieren können. Eine integrierte Sensorfunktion zur Anzeige der mikrobiologischen Qualität von Lebensmitteln soll Verkäufer:innen sowie Konsument:innen zukünftig über den Frischegrad ihres Produktes informieren [15, 16]. Schätzungen gehen davon aus, dass mit dieser Innovation die Lebensmittelverschwendung entscheidend eingedämmt werden könnte. Auch von Frische-Erkennung mit dem Smartphone und künstlichen Nasen, die Abgelaufenes „erschnüffeln“, sind schon in der Safe Food-Pipeline.

Bis all diese High-Tech-Lösungen jedoch fertig entwickelt und ausgereift sind und standardmäßig eingesetzt werden können, wird noch Zeit vergehen. Bis dahin können Konsument:innen aber schon einmal auf einfache Tricks zum Vermeiden von Lebensmittelabfällen zurückgreifen: Lebensmittel einfrieren, um sie länger haltbar zu machen, Einkaufsliste schreiben, nur das Notwendige kaufen, zu länger haltbaren Produkten greifen, „abgelaufene“ Produkte nicht einfach wegschmeißen sowie häufigere, dafür aber kleinere Einkäufe tätigen. Was auch möglich ist: Über die App HipMeal überschüssige Lebensmittel an Leute aus der Umgebung verschenken oder sie zum gemeinsamen Kochen einladen.

Quellen:

[1] Gustavsson J., Cederberg C., Sonesson U. et al.: Global food losses and food waste – extent, causes and prevention (2011),Food and Agriculture Organization of the United Nations , Global food losses and food waste (fao.org)

[2] FAO, IFAD, UNICEF, WFP and WHO: In Brief to The State of Food Security and Nutrition in the World 2021. Transforming food systems for food security, improved nutrition and affordable healthy diets for all (2020). Rome, FAO; https://doi.org/10.4060/cb5409en

[3] Obersteiner, G. & Luck, S., Wien: Institut für Abfallwirtschaft (ABF-BOKU): Teller statt Tonne, Lebensmittelabfälle in Österreichischen Haushalten: Status Quo (2020), . Studie im Auftrag des WWF ÖsterreichLebensmittelverschwendung in Österreich I WWF

[4] Food and Agriculture Organization of the United Nations:  UN Report: Global hunger numbers rose to as many as 828 million in 2021.

[5] Onyeaka H., Tamasiga P., Nwauzoma UM, Miri T., Juliet UC, Nwaiwu, O, and Akinsemolu AA: Using Artificial Intelligence to Tackle Food Waste and Enhance the Circular Economy: Maximising Resource Efficiency and Minimising Environmental Impact: A Review (2023). Sustainability, 15(13), 10482. https://doi.org/10.3390/su151310482

[6] RESET – Digital for Good: Mit Künstlicher Intelligenz gegen Food Waste (2019).

[7] TeamBank: TeamBank-Liquiditätsbarometer Österreich 2022.

[8] Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Theresa Eyerund und Adriana Neligan: Verschwenderische Generationen X und Y (2017).

IW-_Kurzbericht_56_2017_Lebensmittelverschwendung.pdf (iwkoeln.de)

[9] Karunasena GG, Ananda J. and Pearson D.: Generational differences in food management skills and their impact on food waste in households (2021). Resources, Conservation and Recycling, Volume 175, 2021,105890, https://doi.org/10.1016/j.resconrec.2021.105890.

[10] Visschers VHM, Wickli N. and Siegrist M.: Sorting out food waste behaviour: A survey on the motivators and barriers of self-reported amounts of food waste in households (2016). Journal of Environmental Psychology, Volume 45, 2016, Pages 66-78, https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2015.11.007.

[11] Ridgway AI: Exploring the interaction between online practices and offline domestic food practices in family homes: Implications for food waste reduction campaigns (2023). UEW Bristol, thesis.

[12] Too good to go: Impact report. Umfrage: Teuerungen verändern Einkaufsverhalten bei Lebensmitteln (2023).

[13] Zhengye HJ, Lotz A., Greg H. and Kelly L.: Social Media: The Real Impact on Food Waste Reduction Beyond the Swipe or the Click (Project summary report, 2022). Fight Food Waste CRC, NSW Environment Production Authority, and Queensland University of Technology (QUT). Brisbane, Australia. DOI: https://doi.org/10.5204/rep.eprints.228653

[14] ForeSight: KI ja. Kamera nein. Smarte Ernährungsmanager stoßen auf geteilte Akzeptanz (2022). Abgerufen am 27.09.2023

[15] Barandun G., Soprani M., Naficy S., Grell M., Kasimatis M., Lun Chiu K., Ponzoni A. and Güder F.: Cellulose Fibers Enable Near-Zero-Cost Electrical Sensing of Water-Soluble Gases (2019). ACS Sensors 2019 4 (6), 1662-1669. DOI: 10.1021/acssensors.9b0055

[16] Fraunhofer EMFT: Mehr Lebensmittelsicherheit durch Sensorik

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