Essen am Boden: Die Drei-Sekunden-Regel

Kekse am Boden

Bild: Open Science - Lebenswissenschaften im Dialog (CC BY-NC-ND 4.0)

Kennen Sie sie auch, die berühmte Drei-Sekunden-Regel, manchmal auch als Fünf-Sekunden-Regel bekannt? Vielleicht waren Sie schon in einer ähnlichen Situation und haben dabei selbst auf diese alte Weisheit der Lebensmittelhygiene zurückgegriffen.

Am Esstisch oder im Freien fällt das Brot oder ein Keks zu Boden. Es wird nicht lange überlegt, und das Essen wird rasch wieder aufgehoben und danach bedenkenlos gegessen. Schließlich hat die Speise den Boden nicht länger als fünf Sekunden berührt und kann somit noch nicht von Bakterien besiedelt sein. Oder? Klingt zumindest irgendwie logisch. Aber so ganz sicher waren sich auch die bESSERwisser nicht, was es mit dieser Regel nun wirklich auf sich hat.

Daher haben recherchiert: Hat der Zeitfaktor tatsächlich einen Einfluss darauf, ob und wie viele Mikroorganismen vom Boden auf ein Lebensmittel übertragen werden? Und darf man alles bedenkenlos essen? Hier die Ergebnisse der Nachforschungen der bESSERwisser.

Umgeben von Mikroorganismen

Eines ist klar: Egal, wo wir uns bewegen, wir sind immer und überall von Mikroorganismen umgeben. Der Boden, auf dem wir gehen, der Sitz, auf dem wir in der U-Bahn Platz nehmen. Das Geld, das wir täglich in unserer Hand halten oder der Einkaufswagen, den wir im Supermarkt vor uns herschieben – all das ist voll mit Kleinstlebewesen.

Mikroben haften sich somit täglich an unsere Kleidung und Schuhe. Sie setzen sich aber auch auf unseren Fingern fest und können über diesen Weg in unseren Mund wandern, wenn wir uns nicht die Hände waschen. Bakterien, Viren und Pilze  finden in verschiedenen Umgebungen unterschiedlich gute Lebensbedingungen vor. Sie vermehren sich dementsprechend rasch oder langsam. Ist einem das einmal bewusst, dann ist es auch einleuchtend, dass zu Boden gefallene Nahrung ein wahrer Leckerbissen für Mikroben ist, die sich dort so tummeln.

Fünf-Sekunden-Regel widerlegt

Wie beeinflusst der Zeitfaktor jetzt aber die Übertragung von Keimen auf Lebensmittel, die zu Boden gefallen sind? Wissenschaftliche Studien und auch Fernsehsendungen haben die Fünf-Sekunden-Regel bereits hinterfragt. Diese konnten teilweise jedoch nur eine dürftige Beweislage bringen, um diesen Mythos zu untermauern [1].

Studie mit unterschiedlicher Nahrung, Oberfläche, Zeit

Eine groß angelegte zweijährige Studie der Rutgers University in den USA setzte sich ebenfalls mit dieser Fragestellung auseinander. Diese konnte die Fünf-Sekunden-Regel widerlegen [2]. Die Wissenschaftler Donald Schaffner und Robyn Miranda ließen dafür verschiedene Lebensmittel auf unterschiedliche, im Haushalt gängige Oberflächen fallen. Dafür kamen geschnittene Wassermelone, Brot, Butterbrot und Gummibonbons in der Versuchsanordnung auf Edelstahl, Keramikfliesen, Holz und Teppich zu liegen. Die Oberflächen waren zuvor alle mit dem Bakterium Enterobacter aerogenes, einem Verwandten der Salmonellen, versehen worden. Die Forscher verglichen unterschiedliche Kontaktzeiten. Dafür sammelten sie das Essen nach weniger als einer Sekunde, fünf Sekunden, 30 Sekunden und 5 Minuten von den unterschiedlichen Böden wieder auf. Daraus ergaben sich insgesamt 128 mögliche Messkombinationen. Anschließend untersuchten sie die Bakterienzahl auf den Nahrungsmitteln. Schaffner und Miranda führten 20 Wiederholungen dieses Versuches durch, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Insgesamt analysierten die Forscher für die groß angelegte Studie Datensätze von mehr als 2.000 verschiedenen Messungen.

 

Die Auswertung der Daten ergab, dass Lebensmittel, die den Boden weniger als eine Sekunde lang berührten, auch schon von Bakterien besiedelt waren. Die Kontamination erfolgte prompt bei Bodenkontakt und nicht erst nach fünf Sekunden, so die wichtigste Erkenntnis der Untersuchungen. Zumindest bei manchen Speisen war die Bakterienkontamination bei längerem Bodenkontakt tatsächlich höher. Ein Körnchen Wahrheit befindet sich also doch in der fünf-Sekunden-Regel.

Die Forscher fanden auch heraus, dass die Beschaffenheit des Nahrungsmittels und des Bodens die Bakterienzahl stärker beeinflussen als die Zeit am Boden. So etwa übertrug die vermeintliche Dreckschleuder Teppich vergleichsweise wenige Bakterien. Je mehr Wasser ein Lebensmittel enthält und je größer die Oberfläche des Bodenkontaktes ist, umso schneller sammelten sich außerdem Keime an. Die Wassermelone etwa nahm aufgrund ihres hohen Wassergehalts die meisten Bakterien von den Oberflächen auf. Dabei spielte der Zeitfaktor überhaupt keine Rolle mehr. Bereits nach weniger als einer Sekunde wies sie die maximal mögliche Bakterienanzahl auf . Gleich viel wie andere Lebensmittel erst nach fünf Minuten.

Auf den (Nähr)Boden kommt es an

Faktum ist somit, dass sich auf manchen Lebensmitteln bei längerer Verweildauer am Boden tatsächlich mehr Bakterien ansammeln. Die Drei-Sekunden-Regel trägt also ein Körnchen Wahrheit in sich. Trotzdem ist kurzer Bodenkontakt nicht gleichzusetzen mit sicherem Verzehr. Denn manche Mikroben am Boden, können schon in geringer Zahl schwere Erkrankungen, wie  Durchfall mit Fieber, verursachen.

Ein wichtiger Punkt bei der Entscheidung, ob man Hinuntergefallenes noch essen sollte, ist die Beschaffenheit des Bodens. Ebenso hat der Ort, an dem man sich befindet, Einfluss.

Wurden für das Experiment die Böden gezielt mit Bakterien beschmiert, so finden sich in unserer natürlichen Umgebung Oberflächen mit unterschiedlichsten Keimzahlen und -arten.

In der Praxis hat sich erwiesen, dass trockene Fußböden ein ungeeigneter Nährboden für Mikroorganismen sind. Die Kleinstlebewesen bevorzugen vielmehr feuchte Oberflächen. Beispielsweise das Abwasch-Schwämmchen, aber auch die Gemüselade vom Kühlschrank. Das in der Wohnung zu Boden gefallene Brot kann somit meist bedenkenlos noch gegessen werden.

Auch Wiesenböden bieten meist eher sogenannten stimulierenden Schmutz statt krankmachenden Keimen. Auf einer öffentlichen Toilette würde die Besiedelung mit Mikroorganismen natürlich anders aussehen und wäre bedenklich.

Ein bisschen Dreck muss sein

Ein gewisses Maß an Dreck ist übrigens gut für uns, wenn sich darin nicht gerade gefährliche Krankheitserreger befinden. Die Mikroorganismen in unserer Umgebung sind wichtig für unsere Gesundheit, da sie von Kindheit an unser Immunsystem trainieren [3].

Die so genannte „Hygiene-Hypothese“ besagt, dass die oft übertriebene Sauberkeit eine der Ursachen für die häufiger auftretenden Allergien ist. Dies ist auch nachzulesen in unserem Interview mit der Allergieforscherin Ines Swoboda.

Kinder in den Dreck

In diesem Sinne: Kinder, ab in den Dreck! Spielt im Matsch und wühlt den Waldboden so richtig mit euren Fingern auf! Und für alle, die sich nicht gerade auf einer öffentlichen Toilette oder einer anderen stark keimbelasteten Umgebung befinden. Hebt das Stückchen Keks, das euch gerade auf den Boden gefallen ist, auf und genießt es ruhigen Gewissens. Euer Immunsystem wird es euch danken.

 

Referenzen:

[1]: Forschungsergebnisse von Studenten von Prof. Anthony Hilton, auf der Website der Aston University. Researchers prove the five second rule is real. Kein peer review, keine Publikation in wissenschaftlichem Journal.

[2]: Miranda RC and Schaffner DW. Longer Contact Times Increase Cross-Contamination of Enterobacter aerogenes from Surfaces to Food (2016). Appl Environ Microbiol., Oct 14;82(21):6490-6496. doi: 10.1128/AEM.01838-16

[3]: Schuijs MJ, Willart MA, Vergote K et al. Farm dust and endotoxin protect against allergy through A20 induction in lung epithelial cells (2015) Science, Sep 4;349(6252):1106-10 doi: 10.1126/science.aac6623

 

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