Arme-Leute-Essen und Luxusspeisen, Teil II

Maiskolben auf Maispflanze

Bild: Pixabay, CCO

Was ist für Sie ein Arme-Leute-Essen? Kartoffeln? Brotsuppe? Oder ein Big Mac? Und welchen Luxus können Sie sich nur selten in Ihrer Küche erlauben? Die bESSERwisser haben einen Streifzug durch die Geschichte der mitteleuropäischen Ernährung unternommen und die Entwicklung einiger Nahrungsmittel verfolgt. Die Ergebnisse der Recherche sind in zwei Blogbeiträgen zusammengefasst, hier der zweite Teil.

Gemüse und Obst: vom Oben und Unten

Hätten Sie gedacht, dass es einen großen Unterschied machen kann, ob die essbaren Teile einer Pflanze ober- oder unterirdisch wachsen? Im Mittelalter galt jedenfalls: unterirdische Knollen und Wurzeln wie Zwiebeln, Pastinaken oder Rüben waren nur als Viehfutter oder für die niedrigen Stände geeignet, keinesfalls für Adelige und den Klerus. Kräuter und Sträucher standen dazwischen, die Früchte von Bäumen waren (mit Ausnahme von Kastanien) nur der Elite zugedacht. Frisches Obst war ein reines Luxusgut, getrocknetes (gedörrtes) Obst wurde für den Winter konserviert. Ebenso galten alle schwerverdaulichen Pflanzen wie Kohl oder Bohnen als nur geeignet für hart arbeitende Landleute.

Wurde im Mittelalter vorerst noch wenig Obst und Gemüse gegessen, so kam in der Neuzeit feines Gemüse beim Adel groß in Mode. Junge Erbsen oder Radieschen genauso wie Erdbeeren wurden zum neuen Statussymbol. Ein Jahrhundert später wurde es zudem immer wichtiger, diese Genüsse auch jederzeit, also außerhalb der Saison, verspeisen zu können. Die Zeit der großen Glashäuser brach an – hier wurden auch die beliebten Zitrusfrüchte gezogen. Während außersaisonale oder exotische Früchte lange Zeit ein Privileg der Reichsten blieben, können wir seit den letzten Jahrzehnten Erdbeeren oder Mangos, Avocados oder Zucchini das ganze Jahr über kaufen.

Nahrungsmittel aus Amerika: Kartoffeln und Mais

Mit der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 durch Christoph Kolumbus ging auch die Einfuhr von Obst, Gemüse und Fleisch aus der Neuen Welt nach Europa einher. Es kam zu einer ersten Globalisierung des Essens. So etwa brachte der Entdecker Kartoffel, Tomaten, Kakaobohnen und Mais vom neuen Kontinent mit, um nur ein paar Beispiele des neuen Reichtums zu nennen. Das Misstrauen gegenüber Mais und Kartoffeln war anfangs groß, was auch damit zusammenhing, dass man daraus kein Brot machen konnte.

Mais, das „amerikanische Korn“

Mit den Entdeckungsreisen von Kolumbus fanden die Kulturpflanzen Amerikas den Weg nach Europa und in den Orient. Mais wurde in Spanien und Italien bald auf Feldern angebaut, und binnen weniger Jahrzehnte gelangte das „amerikanische Korn“ von ganz Südeuropa bis in die Türkei. In Gegenden mit mildem Klima (Ungarn, Norditalien, Rheintal) wurde er schon im 16. und 17. Jahrhundert angebaut, da er mehr als zehnmal so hohe Erträge wie Getreide lieferte. Im 18. Jahrhundert gab es dann schon Sorten, die auch in kälteren Gefilden wuchsen. Erst als die Grundherren die Pflanze in Monokultur anbauen ließen, führte das zu einer furchtbaren Fehlernährung der Armen (Pellagra), die von Mais als alleinigem Nahrungsmittel hervorgerufen wird.

Kartoffelanbau nach Hungersnöten

Der Kartoffelanbau setzte sich erst nach mehreren Hungersnöten im 18. Jahrhundert durch, vor allem in den weniger fruchtbaren Regionen und bei den ganz Armen, den Kleinhäuslern und Tagelöhnern. Im heutigen Österreich wurde die ertragreiche Kartoffel erst während der Hungersnot nach den Napoleonischen Kriegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirklich populär. Trotzdem blieben die reichen und fruchtbaren Regionen überwiegend beim Getreide, zum Beispiel Ungarn, Bayern oder Teile Böhmens, Nieder- und Oberösterreichs. Dort wurden Kartoffeln als Schweinefutter angebaut, was Schweinefleisch billiger und wieder beliebter machte. Wie schon früher Rüben oder Hülsenfrüchte, so galten auch Kartoffeln als ungesund und nur für die Armen geeignet. In den Städten setzten sie sich erst spät durch, was man auch gut an der Entwicklung der Wiener Küche sieht.

Generell ersetzten Mais und Kartoffeln bald andere Nahrungsmittel wie Gerste, Buchweizen, Rüben, Pastinaken und andere Wurzelfrüchte.

Zucker: Von der Apothekerware zur Volksdroge

Zucker als Medizin

Der Zuckeranbau in Europa wurde von den Arabern in Sizilien und Spanien eingeführt. In der arabischen und mittelalterlichen Medizin galt Zucker als Heilmittel, weshalb er in Apotheken verkauft wurde – auch zu entsprechenden Preisen. Ab dem späten Mittelalter verlangte der europäische Adel immer mehr nach Zucker, weshalb er unter Einsatz von afrikanischen Sklaven in Plantagen in den soeben kolonialisierten Gebieten in der Karibik und Südamerika angebaut wurde. Der Hochadel schwelgte geradezu im neuen Luxusgut. Zucker wurde nicht nur gegessen oder zum Süßen der neuen kolonialen Getränke wie heiße Schokolade verwendet, sondern vor allem auch als Tischdekoration eingesetzt. Aus Zucker bzw. Marzipan wurden große Kunstwerke wie Landschaften, Schlösser und Figuren gefertigt, die den Status des Hausherrn demonstrieren sollten. Der Zuckerkonsum war so exzessiv, dass der europäische Hochadel bald an schwarzen oder fehlenden Zähnen litt.

Zucker als Massenware

Rasch verbreitete sich der Zuckerkonsum auch beim wohlhabenden Bürgertum. Nicht nur Torten, Marzipan und süßes Gebäck, sondern auch Fisch oder Fleisch in Zuckersoßen wurden gegessen. Das neue bürgerliche Modegetränk Kaffee wurde ebenfalls damit gesüßt.

Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden in der Donaumonarchie die ersten Zuckerfabriken, die den „Kolonialzucker“ verarbeiteten. Zur Massenware wurde Zucker erst durch seine Gewinnung aus Rüben zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Böhmen war ein Hauptzentrum der Zuckerindustrie und exportierte das weiße Gut nach ganz Europa. In den Städten wuchs der Zuckerkonsum rasant an, während der Verbrauch auf dem Land gering war.

Besonders in der Hauptstadt Wien war der Zuckerverbrauch um das 4- bis 8-fache höher als im Rest der Monarchie, das „süße“ Wiener Mädel wurde zum Begriff. Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts fand sich Zucker in städtischen Arbeiterhaushalten, verstärkt ab dem frühen 20. Jahrhundert. Zucker galt anfangs vor allem als Droge der Arbeiterinnen in den Fabriken, bald auch als deren Fleischsubstitut, da er wesentlich billiger als tierische Kalorien war. Erst durch den Preisverfall und die Verbreitung des Zuckers etablierte sich die Böhmische und Wiener Mehlspeisküche mit Gerichten wie Milchrahmstrudel, Buchteln, Germknödeln usw. Übrigens war in den 1920er-Jahren der Zuckerverbrauch fast gleich hoch wie später wieder in den 1960er-Jahren.

Wurde bis vor wenigen Jahrzehnten der weiße Zucker noch als besonders rein geschätzt, so wird heute wieder brauner Zucker bevorzugt. Während dereinst der „unreine“ Honig zunehmend zu Gunsten von weißem Zucker abgelehnt wurde, gilt ersterer heute wieder als „natürlicher“ und besser als der „chemische“ Zucker.

Junkfood für die Armen?

Und wie ist das mit dem Arme-Leute-Essen heutzutage? Süßes ist immer noch sehr billig, auch wenn heute meist Glukose-Fructose-Sirup aus Mais anstelle von Zucker zum Einsatz kommt. Obst und Gemüse, egal ob saisonal oder nicht, sind für den durchschnittlichen Geldbeutel ebenso erschwinglich wie Fleisch und Fisch. Wo es allerding heutzutage richtig teuer werden kann: Bio-Produkte – egal welcher Kategorie – frischer Fisch und Superfood sind meist nur für finanziell besser Gestellte erschwinglich. Junk Food ist im Gegensatz dazu extrem billig und für jeden leistbar.

Fazit: Eine gesunde und ausgewogene Ernährung sollte heute für jeden Geldbeutel möglich sein, die gesunde Bio-Variante bleibt aber vorerst (noch) den Besserverdienern vorbehalten.

 

Quellen:

Montanari, Massimo: Der Hunger und der Überfluß. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa. München 1999 (Beck’scheReihe)

Schwendter, Rolf: Arme Essen – Reiche speisen. Neuere Sozialgeschichte der zentraleuropäischen Gastronomie. Wien 1995

Sandgruber, Roman: Bittersüße Genüsse. Kulturgeschichte der Genußmittel. Wien 1986

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