29.12.2022
Laktosefreie Milch nur bei Laktoseintoleranz?
Viele Menschen leiden heute unter Laktoseintoleranz. Diese stellt genau genommen keine Erkrankung, sondern die normale genetische Variante des menschlichen Metabolismus dar. Für Personen mit Laktoseintoleranz sind laktosefreie Milch und Milchprodukte eine große Erleichterung. Doch ist laktosefreie Milch für alle sinnvoll? Und wieso schmeckt laktosefreie Milch süß? Die bESSERwisser haben recherchiert.
Laktoseintoleranz ist heute weit verbreitet und tritt meist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf [1]. Weltweit sind etwa 65 Prozent der Bevölkerung davon betroffen, wobei es hier große Unterschiede bei verschiedenen Ethnien gibt. Während etwa 85 Prozent der Personen mit afroasiatischer Abstammung unter Laktoseintoleranz leiden, sind es Europa nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung [2, 3]. Die „gefühlte Betroffenheit“ ist jedoch vermutlich größer als das tatsächliche Vorliegen einer solchen Erkrankung. So zeigte eine Umfrage in Österreich im Jahr 2017 unter Personen, die angegeben hatten, an einer Laktoseintoleranz, Allergie oder sonstiger Unverträglichkeit von Milchprodukten zu leiden: Nur etwa die Hälfte von ihnen ließ sich die Erkrankung auch von Fachärztin/-arzt, Allgemeinmediziner*in oder in einem Allergieambulatorium bestätigen, rund 40 Prozent der Betroffenen reichte die Selbstdiagnose [4].
Fehlendes Enzym als Ursache von Laktoseintoleranz
Im Gegensatz zu einer Milchallergie, bei der das Immunsystem eine entscheidende Rolle spielt, erfolgt bei einer Laktoseintoleranz keine immunologische Reaktion des Körpers auf Bestandteile der Milch [5]. Bei der als Laktoseintoleranz bekannten Unverträglichkeit von Milch mangelt es dem Körper an einem bestimmten Enzym, der so genannten Laktase. Diese wird im Dünndarm gebildet und spaltet normalerweise den in der Milch vorhandenen Zweifachzucker Laktose im Darm in die beiden Einfachzucker Glukose (Traubenzucker) und Galaktose (Schleimzucker) auf. Diese können dann zunächst über ein spezielles Transporterprotein in die Zellen der Darmwand aufgenommen und anschließend an die Blutbahn abgegeben werden. Wird der Milchzucker im Dünndarm wegen Laktasemangels nicht oder nicht vollständig aufgespalten, kann er nicht über die Dünndarmschleimhaut ins Blut aufgenommen und vom Körper verwertet werden. Unverdaute Laktose gelangt so weiter in den Dickdarm. Dort wird sie von den Darmbakterien in einem Gärungsprozess zersetzt, und es entstehen vermehrt Gase und andere Abbauprodukte.
Laktoseintoleranz: Weltweit häufigster Enzymmangel
Bei Säugetieren wird die größte Menge an Laktase kurz nach der Geburt im Dünndarm produziert, damit das Neugeborene die Muttermilch verdauen kann. Laktose ist das häufigste Kohlenhydrat in der Muttermilch und eine der Haupt-Energiequellen während der Stillperiode bei Säugetieren. Säugetiere verlieren generell die Fähigkeit, Laktose zu verdauen, wenn sie erwachsen werden. Der Mensch stellt hier eine Ausnahme dar: Beim Großteil der Menschheit sinkt nach dem Abstillen die Mengen dieses Enzyms trotz kontinuierlicher Aufnahme von Milchzucker – ein natürlicher Verlauf und keine Erkrankung. Daher können rund zwei Drittel der Weltbevölkerung Laktose im Erwachsenenalter nicht verdauen [6]. Doch das übrige Drittel der Menschheit behält die Fähigkeit, Laktose zu verwerten. Darunter fallen vor allem Nachkommen von Populationen, die Viehzucht betrieben haben. Beim Menschen tendieren Menschen mit Wurzeln in Südamerika, Asien und Afrika zu Laktoseintoleranz. Personen aus Nordeuropa oder Nordwestindien hingegen behalten normalerweise die Fähigkeit, Laktose zu verdauen [7].
Genetisch bedingte und erworbene Laktoseintoleranz
Bei der Unverträglichkeit von Milchzucker unterscheidet man prinzipiell zwei verschiedene Formen: die primäre und die sekundäre Laktoseintoleranz.
Am häufigsten tritt die primäre adulte Form der Laktoseintoleranz auf, die genetisch bedingt ist. Bei dieser Form des Laktasemangels nimmt die Enzymaktivität langsam kontinuierlich nach dem Säuglingsalter ab. Das Vorliegen der Anlage für diese Laktoseintoleranz stellt genau genommen keine Erkrankung, sondern die normale genetische Variante des menschlichen Metabolismus dar. Am häufigsten liegt hier ein Unterschied in einem bestimmten einzelnen Nukleotid und somit einer einzelnen Base in einer regulatorischen Region des Laktase (LTC)-Gens vor, doch auch andere Stellen können betroffen sein [8]. In Populationen, die intensiv Milchwirtschaft betreiben, kam es vor ca. 7500 Jahren zu Veränderungen des Genmaterials: Es entstanden schützende Mutationen und Genvarianten, die es den Träger*innen sichern, das Enzym ein Leben lang weiter zu produzieren und Milchprodukte weiterhin beschwerdefrei verzehren zu können. Man spricht von Laktasepersistenz.
Bei der sekundären oder erworbenen Laktoseintoleranz handelt es sich um die Folge einer Schädigung des Dünndarms. Sie kann durch verschiedene Darmerkrankungen oder nach Operationen im Magen-Darm-Trakt auftreten. Wird sie als solche erkannt, kann sie therapiert werden. Regeneriert sich die Dünndarmschleimhaut wieder, kann die Produktion von Laktase wieder gesteigert werden, und laktosehaltige Produkte sind wieder besser und in größeren Mengen verträglich.
Bei Beschwerden testen lassen
Der zuvor erwähnte Gärungsprozess im Darm ist für die meisten Symptome bei der Unverträglichkeit von Laktose verantwortlich: Aufgeblähter Bauch, Völlegefühl, Unterbauchschmerzen, starke Blähungen, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und manchmal auch Verstopfung. Treten diese Symptome auf, könnte eine Laktoseintoleranz dahinterstecken. Es kann allerdings auch ein anderes Problem die Ursache sein. Ob wirklich eine Laktoseintoleranz vorliegt, kann allerdings nur durch den Arzt/ die Ärztin festgestellt werden.
Es ist gut zu wissen, dass es hier eine relativ große Toleranzgrenze gibt. Daher muss man bei Laktoseintoleranz meist nicht völlig auf Milch und Milchprodukte verzichten. Laut Europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vertragen die meisten Betroffenen eine Dosis von 12 Gramm Laktose mit wenigen oder gar keinen Symptomen. Bei der Verteilung über den Tag können sogar höhere Dosen (20-24 Gramm) ohne Beschwerden konsumiert werden [5]. In vielen Fällen reicht es, die Laktosemengen um die Hälfte bis ein Drittel zu reduzieren. Nach dem Austesten der individuellen Toleranzgrenze kann man nach zwei laktosefreien Wochen die Laktosemenge langsam steigern.
Die Ernährung sollte bei verringertem bzw. keinem Milchkonsum entsprechend angepasst werden, da es sonst zu Mangelerscheinungen kommen kann. Die Wirkung von Laktase-Tabletten, welche unmittelbar vor dem Verzehr eines milchhaltigen Produkts eingenommen werden und gegen Beschwerden vorbeugen sollen, ist aktuell nicht gut belegt [9].
Unterschied laktosefreie Milch – konventionelle Milch
Laktosefreie Milch wird so wie konventionelle Milch aus frischer Kuhmilch hergestellt und besteht aus denselben Inhaltsstoffen. Allerdings wird bei der Herstellung von laktosefreier Milch der natürliche Zweifachzucker Laktose schon künstlich in seine Bestandteile Glukose und Galaktose aufgespalten. Diese Spaltung wird durch den Zusatz des Enzyms Laktase erreicht und entspricht im Prinzip dem gleichen Vorgang, der im Körper von Personen abläuft, die normale Milch gut vertragen. Laktoseintolerante Personen können die beiden Einfachzucker Glukose und Galaktose aus der Milch dann ohne Beschwerden aufnehmen. Da Glukose und Galaktose süßer als Laktose sind, schmeckt laktosefreie Milch süßlich.
Laktosefreie Produkte: teuer und ohne Unverträglichkeit nicht nötig
Für Personen mit Laktoseintoleranz können laktosefreie Milch und Milchprodukte die Lebensqualität deutlich verbessern. Sie müssen so nicht auf Milchprodukte verzichten und können dem Körper weiterhin die wertvollen in der Milch enthaltenen Inhaltsstoffe zuführen. Laktosefreie Alternativen sind allerdings nicht gesünder als normale Milch und Milchprodukte und haben für Nicht-Betroffene keine gesundheitlichen Vorteile. Für Personen, die Laktose vertragen, lohnt es sich daher nicht, für die deutlich teurere laktosefreie Milch tiefer in die Geldtasche zu greifen. Trotzdem boomt aktuell der Verkauf von laktosefreien Produkten.
Quellen:
[3] Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Laktoseintoleranz. Abgerufen am 28.11.2022
[7] Malik TF, Panuganti KK: Lactose Intolerance (2022). StatPearls Publishing; 2022 Jan
[9] Medizin transparent: Laktoseintoleranz: Besser mit Laktase-Tabletten? Abgerufen am 29.12.2022