15.01.2019
Gene und Ernährung: Essen, was den Genen „schmeckt“?
Das Bewusstsein von Konsumenten für gesunde Ernährung hat im Laufe der letzten Jahrzehnte zugenommen. Im Zusammenhang damit setzt sich schön langsam ein neuer Trend durch: Menschen lassen ihre DNA analysieren, um Aufschluss über genetisch bedingte Verarbeitung von Nährstoffen zu erhalten. Gemeinsam mit anderen Lifestyle-Gentests ist die Personalisierte Ernährung im Kommen, Gene und Ernährung werden abgestimmt – die bESSERwisser haben dazu recherchiert.
Gene und Ernährung
Menschen können sich von Individuum zu Individuum stark darin unterscheiden, wie Nahrung von ihrem Körper aufgenommen und verwertet wird. So etwa kann die gleiche Kost bei einer Person zur Gewichtszunahme führen, während eine andere Person damit ihr Gewicht hält. Außerdem kann jemand, der sich hauptsächlich von Schnitzel und Pommes ernährt, durchaus einen niedrigeren BMI (Body Mass Index oder Körpermasseindex) aufweisen als jemand, der auf ausgewogene Kost achtet. Ebenso kann Kaffee bei verschiedenen Personen den Blutdruck völlig unterschiedlich beeinflussen. Somit funktioniert es nicht, eine Generalaussage über die Wirkung von Inhaltsstoffen von Nahrungsmitteln zu treffen. Zu einem gewissen Maß spielt hier unsere genetische Veranlagung eine wichtige Rolle, Wissenschaft aber auch kommerzielle Anbieter widmen sich in letzter Zeit verstärkt dieser Thematik.
Genanalysen von Anfang an?
In unserer Gesellschaft wird bereits früh versucht, das Bewusstsein für gesunde Ernährung zu schaffen. Schon unsere Kinder lernen die Ernährungspyramide [1] kennen und wissen, was gut und was schlecht für sie ist. Zahlreiche Programme unseres Gesundheitssystems setzen beim Thema Ernährung und Gesundheit früh an. Initiativen wie beispielsweise „Richtig Essen von Anfang an“ [2] vermitteln grundlegendes Wissen für Schwangere und Stillende zu ihrer Ernährung und der von Babys und Kleinkindern. Trotz solcher Maßnahmen ist Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen heute weit verbreitet. Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) können verschiedene Ursachen haben und entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel genetischer, verhaltens- wie auch verhältnisbezogener Faktoren [3]. Als verhaltensbezogen bezeichnet man personenbezogene Faktoren, während die externen Faktoren im Lebensumfeld einer Person als verhältnisbezogen beschrieben werden.
Die gezielte Aufklärungsarbeit im Bildungsbereich bewirkt in vielen Fällen eine gewisse Sensibilität für gesunde Ernährung. Was jedoch kaum beachtet wird ist die Tatsache, dass auch genetische Einflüsse Auswirkungen darauf haben, wie die Nahrung von einem Individuum aufgenommen und verwertet wird. Projekte wie Food4Me [4] versuchen systematisch Daten zum Zusammenspiel von Genen und Ernährung zu sammeln. Immer mehr Menschen nehmen aber die Analysen auch selbst in die Hand: der Markt für genetische Tests aus dem Internet blüht [5], und hier gibt es auch ein großes Angebot an Ernährungs-Gentests. Einige dieser Gentests haben auch Kinder als Zielgruppe und untersuchen beispielsweise Gene für Fettleibigkeit [6,7].
Die Nutrigenomik
Der Forschungszweig der Nutrigenomik befasst sich mit dem Zusammenspiel von unseren Genen und Ernährung. Jeder von uns hat ein individuelles Genprofil, das mitbestimmt, welche Nahrungsmittel der Körper gut oder auch schlecht verarbeiten kann. Nicht nur die DNA ist relevant, auch die daraus entstehenden Proteine (Proteomics) und Stoffwechselprodukte (Metabolomics) finden hier Berücksichtigung. Die Nutrigenetik ist ein Teilbereich der Nutrigenomik und beschäftigt sich mit genetischen Abweichungen, die sich auf den Stoffwechsel und den Nährstoffbedarf auswirken. In der Nutri-Epigenetik wiederum wird die Regulation von ernährungsrelevanten Genen und die Wirkung von Ernährungsweisen auf die DNA und Genregulation untersucht [8].
Heute weiß man, dass je nach genetischer Ausstattung eines Menschen Nährstoffe unterschiedlich auf ihn wirken können. Obwohl wir Menschen genetisch zu 99,9 % ident sind, machen die restlichen 0,1% den Unterschied von Individuum zu Individuum aus [9]. Konkret können minimale Abweichungen in der Buchstabenreihenfolge der DNA – den Basen Adenin, Cytosin, Guanin, und Thymin – große Auswirkungen haben, denn sie sind die Bauanleitung für Eiweiße (Proteine). Proteine haben bei allen Vorgängen in unserem Körper wichtige Aufgaben, so auch bei der Aufnahme und Verwertung von Nahrung. Veränderungen in der DNA-Sequenz können somit zu Unterschieden bei der Nahrungsverwertung führen. Eine bestimmte Basenabfolge in der DNA kann etwa bewirken, dass Fruktosetransporter falsch gebaut werden und somit keine Fruktose mehr in die Zelle aufgenommen werden kann. Allerdings stellt eine Variantion der DNA-Basensequenz eine Mutationen dar, man spricht hier von einem sogenannten Polymorphismus. Polymorphismen sind Abweichungen der Basenabfolge der DNA, die in der Bevölkerung häufig vorkommen und bei denen oft nicht mehr definiert ist, was die „normale“ Variante ist. Molekularbiologen sprechen hier von einem häufigeren und einem weniger häufigen Allel (Ausprägungsform eines Gens).
Die Laktoseintoleranz – ein prominentes Beispiel der Nutrigenetik
Für Gene und Ernährung gibt es ein Beispiel, das wohl vielen bekannt ist: Die Verträglichkeit von Milchzucker – auch als Laktosetoleranz bekannt – hat sich in Europa nach jahrtausendelanger Milchviehzucht als genetische Variante durchgesetzt. Ihr verdanken wir es, dass hierzulande auch die meisten Erwachsenen Milchzucker (Laktose) verdauen können. Die Laktoseintoleranz ist eine Nahrungsmittelunverträglichkeit (also keine Allergie), die etwa 75 % der Weltbevölkerung betrifft [10].
Dass der Mensch im Erwachsenenalter keine Milch verträgt, ist also global gesehen der Normalfall. Die Österreicher haben, ähnlich wie andere Europäer, historisch bedingt eine um ein Vielfaches höhere Laktosetoleranz von etwa 80 %. [11,12]
Neugeborene besitzen die Fähigkeit, dank des Enzyms Laktase-Phlorizin-Hydrolase (LPH, Genname LCT) die in der Muttermilch vorhandene Laktose (Milchzucker) abzubauen. Die Fähigkeit, größere Mengen an Laktose aus Milchprodukten und Milch zu verarbeiten, bleibt aber nach dem Abstillen nicht unbedingt bei allen Menschen erhalten. Die resultierende primäre Laktoseintoleranz des Erwachsenen ist eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, die mit unangenehmen Symptomen einhergeht. Verantwortlich dafür, ob man Milchzucker verarbeiten kann oder nicht, sind Polymorphismen im MCM6-Gen, das in der Nähe des LCT-Gens gelegen ist. Der Polymorphismus LCT-13910C>T (Cytosin/Thymin Variation) ist im Kontext der Laktosetoleranz besonders wichtig: Die genetische Variante ist über 90 % mit dem Auftreten der Laktosetoleranz assoziiert und für die europäische und amerikanische Form der Laktoseverträglichkeit verantwortlich. [13]
Als sekundäre Laktoseintoleranz bezeichnet man eine Milchzuckerunverträglichkeit, die als Folgeerscheinung einer anderen Erkrankung auftritt. Hierzu zählt beispielsweise die Zöliakie (Glutenunverträglichkeit). Bei dieser Erkrankung wird die Schleimhaut des Darms verändert und damit die Laktaseproduktion beeinträchtigt. [14]
Lifestyle-Gentests und medizinische Tests: Angebote und Grenzen
Generell kann man bei Gentests aus dem Internet zwischen medizinischen und nicht-medizinischen Tests unterscheiden. Medizinische Gentests sind all jene, bei denen der Gesetzgeber die Vorschreibungen des Tests durch einen Arzt vorsieht. Alle anderen – sogenannte Lifestyle-Gentests – dürfen auch von Heilpraktikern, Ernährungsberatern, Fitnesstrainern oder Privatpersonen bestellt werden. Der Test auf Laktoseintoleranz fällt in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter die Regelung für medizinische Tests [15,16,17], da es sich zwar nicht klassischerweise um eine Erkrankung handelt, die Genanalyse aber einem medizinischen Zweck dient. Ähnliches gilt für Tests, die beispielweise das Diabetes- oder Bluthochdruckrisiko aufgrund genetischer Markergene bestimmen.
Die Bandbreite an Lifestyle-Tests, die man ohne ärztliche Beratung beziehen kann und die lediglich einer selbst abgenommenen Speichelprobe bedürfen, ist mittlerweile sehr groß. Neben ernährungsrelevanten Genen können auch Gene, die mit Abnehmen oder sportlicher Leistung assoziiert sind, analysiert werden. Der Kunde erhält nach der Auswertung ein genetisches Profil und einen an seine Gene angepassten Ernährungs-, Trainings- oder Abnehmplan. Ein solches Profil kann dabei helfen herauszufinden, wie der Körper beispielsweise Eisen, Vitamine oder Coenzyme verwertet und wieviel man demnach zu sich nehmen muss, um den Bedarf zu decken. Dabei wird oft auch für Kunden designtes Functional Food angeboten, um eine optimale „Gen-Diät“ zu gewährleisten.
Mit dem zunehmendem Angebot ist bei Lifestyle-Gentests die Grenze zum medizinischen Nutzen immer schwieriger zu ziehen. Schlussendlich wirken viele Interventionen, die nach „nicht-medizinischen“ Genanalysen erfolgen, in den medizinischen Bereich hinein. Dies ist also ein Prozess, der von Experten begleitet werden sollte.
Fazit
Der Einfluss der Gene darauf, wie der Mensch unterschiedlich Nahrungsmittel verwerten kann, ist schon länger bekannt. Heute werden Test und Ernährungspläne auf Basis genetischer Analysen als „Personalisierte Ernährung“ betitelt, sie sollen eine individuell gesündere Lebensweise fördern. Die erhöhte Nachfrage an genetischen Analysen wirft viele Fragen zur ethischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Dimension, auch oder sogar im speziellen von „nicht-medizinischen“ Tests auf. Eine breite Diskussion über Lifestyle-Genanalysen sollte dazu führen, dass die Anbieter der Tests auch umfassendere Informationen zur Bedeutung der Ergebnisse für Konsumenten zur Verfügung stellen. Darüber hinaus kann eine gute naturwissenschaftliche Grundbildung (Scientific Literacy) und Know-how im Bereich der Genetik dazu beitragen, als Konsument oder Konsumentin den Wert solcher Tests adäquat einschätzen zu können – und zwar da, wo die gesetzliche Regelung medizinischer Tests endet und die Beratung durch einen Mediziner nicht mehr obligat ist.
Referenzen:
[1] Gesundheit.gv.at. Öffentliche Gesundheitsportal Österreichs. Die Österreichische Ernährungspyramide. Abgerufen am 07.11.18
[2] Richtig Essen von Anfang an. abgerufen am 07.11. 18
[3] Gesundheit Österreich und Bundesministerium für Gesundheit. Österreichischer Kinder- und Jugendgesundheitsbericht (2016). Abgerufen am 07.11.18
[4] Food4me Projekt. Abgerufen am 07.11.18
[5] Centers for Disease Control and Prevention. Genomics and Health Impact Blog. Consumer Genetic Testing Is Booming: But What are the Benefits and Harms to Individuals and Populations? Abgerufen am 22.11.18
[8] Doreen Gille, Nutri-Epigenetik – Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Genetik (2016) Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin. Abgerufen am 22.11.18
[9] National Human Genome Institute, FAQ Genetic and Genomic Science. Abgerufen am 07.11.18
[10] Silanikove N.,* Leitner G. und Merin U.: The Interrelationships between Lactose Intolerance and the Modern Dairy Industry: Global Perspectives in Evolutional and Historical Backgrounds (2015). Nutrients, Aug 31; 7(9): 7312–7331. doi: [10.3390/nu7095340]
[11] Verband der Diaetologen Österreichs, Milchzuckerunverträglichkeit. Abgerufen am 07.11.18
[12] Obermayer-Pietsch B. Osteoporose und Laktoseintoleranz (2008). Journal für Mineralstoffwechsel; 15 (1):22-25. Abegrufen am 07.11.18
[13] Daniel H., Klein U., Nutrigenetik: Genetische Varianz und Effekte der
Ernährung, In: D. Haller (Hrsg.), Biofunktionalität der Lebensmittelinhaltsstoffe,
DOI 10.1007/978-3-642-29374-0_2, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013, Kapitel 2, Seite 9-10
[14] Mein Allergie Portal, Sekundäre Laktoseintoleranz – wann kann es dazu kommen? Abgerufen am 22.11.18
[15] Deutscher Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz; Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen. Aberufen am 07.11.18
[16] Rechtsinformationssystem des Bundes Österreich, Bundesrecht konsolidiert: Gesamte Rechtsvorschrift für Gentechnikgesetz. Abgerufen am 07.11.2018
[17] Schweizer Eidgenossenschaft – Der Bundesrat, Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen. Abgerufen am 07.11.18