14.02.2018
Gesunde Bitterstoffe in Endiviensalat & Co
Endivie? Zu bitter! Radicchio? Kauf ich nie wieder! Bitter schmeckende Lebensmittel sind nicht nur bei Kindern, sondern auch bei vielen Erwachsenen unbeliebt. Andere wiederum sind unglücklich darüber, dass es Endivie und Zuckerhut kaum noch zu kaufen gibt. Die bESSERwisser haben dazu recherchiert und nicht nur festgestellt, wie gesund Bitterstoffe sind, sondern sie verraten auch Tricks, wie man den bitteren Geschmack verringern kann.
Alle verwandt
Hätten Sie gewusst, dass Endivie, Radicchio, Chicorée, Zuckerhut und Frisée enge Verwandte sind? Es ist erstaunlich, wie viele Zuchtsorten aus einem am Wegrand blühenden „Unkraut“, der Wegwarte oder Zichorie, entstanden sind. Schon die alten Römer haben daraus Gemüse zubereitet. Die Wurzeln der Pflanze dienten lange zur Herstellung von Ersatzkaffee, und nach einem starken Rückgang des Anbaus sind sie derzeit wieder beliebt. Sie liefern den präbiotischen Ballaststoff Inulin, der inzwischen gerne von der Lebensmittelindustrie für sogenannte „gesunde“ Produkte verwendet wird.
Endivie (Winterendivie, Eskariol) ist bei uns schon lange als ein typischer Herbst/Wintersalat verbreitet, da er leichten Frost aushält, bis in den November im Freien bleiben kann und sich relativ gut lagern lässt. Chicorée ist eine belgische Zuchtform, bei der die Zichorienwurzeln im Winter abgedeckt austreiben – die blassen Triebe werden verkauft. Radicchio und Zuckerhut sind italienische Züchtungen, von denen nur der rote Radicchio sehr häufig auch bei uns zu finden ist. Auch Frisée-Salat ist eine Endivien-Art, allerdings kein Wintersalat.
Abgesehen von der Herkunft verbindet all diese Züchtungen eine typisch bittere Geschmacksnote. Grund dafür sind die Bitterstoffe Lactucin und Lactucopikrin (früher auch als Intybin bezeichnet), die vor allem in den Blättern enthalten sind. Diese haben unter anderem eine beruhigende und antientzündliche Wirkung. Besonders interessant könnten für die Forschung positive Effekte gegen neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz sein: In Versuchen haben die Wirkstoffe das Wachstum der Nervenfortsätze gefördert [1].
Bitter gehört zu den Geschmackserlebnissen, an die man sich erst gewöhnen muss. Babys haben eine angeborene Abneigung gegen Bitteres und Saures und einen Abwehrreflex gegen die beiden Geschmacksrichtungen. Dieser wird also gustofazialer Reflex bezeichnet. Kinder lernen erst allmählich, saure oder bittere Speisen und Getränke zu akzeptieren, wenn ihnen diese von ihrer Umgebung vorgesetzt werden. Mit dem Alter steigt oft die Toleranz für Bitteres, vielleicht auch, weil dann die Fähigkeit der Geschmackswahrnehmung abnimmt. Interessant ist, dass es für „süß“ nur einen Rezeptor gibt, während für „bitter“ bereits 25 Rezeptoren gefunden wurden. Das hängt damit zusammen, dass es für unsere Vorfahren wichtig war, oft bittere giftige Substanzen zu erkennen. [2]
Genetische Dispositionen beziehungsweise die Anzahl der Geschmacksrezeptoren spielen ebenfalls eine Rolle, wie sensibel Menschen auf die Wahrnehmung von Geschmacksreizen reagieren. Sogenannte Superschmecker reagieren viel intensiver auf Geschmackserlebnisse als Normalschmecker. Nicht-Schmecker dagegen erleben Geschmäcker viel weniger intensiv. [3]
Allerdings liegt es nicht an den Genen, dass immer häufiger auch Erwachsene bittere Speisen und Getränke ablehnen, sondern an der kulturellen Prägung. In den westlichen Industrienationen wird immer häufiger nur süß und salzig bevorzugt, während sauer und bitter langsam verschwinden. Der Geschmack wird erst nach und nach gebildet, Kinder müssen eine Speise (z.B. eine Gemüsesorte) mindestens zehnmal essen, bis sie den Geschmack wiedererkennen. In diesem Prozess steigt die Akzeptanz für jene Speisen, die häufig gegessen werden. Das nennt sich der „mere exposure effect“. Kommt immer nur Ähnliches auf den Tisch, zum Beispiel nur die Lieblingsspeisen, ist das der Geschmacksentwicklung nicht förderlich. [4]
Viele Bitterstoffe sind sehr gesund. Bereits im Mund lösen die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge bei bitterem Geschmack eine vermehrte Magensaftproduktion aus. Zudem regen bittere Substanzen die Galle an und sorgen damit für die Unterstützung der Leber. Auch Abnehmwillige können profitieren, da Bitterstoffe eine längere Sättigung fördern. [5]
Wegen der Geschmacksvorlieben der Konsumenten sind Pflanzenzüchter ständig bemüht, bei Endivien, Chicorée oder Radicchio-Sorten möglichst die Bitterstoffe wegzuzüchten, um deren Beliebtheit zu steigern. [6] Das ist vom gesundheitlichen Standpunkt aus eigentlich schade. Auch beim Einkauf kann das zu Überraschungen führen, wenn man eine ursprünglichere, besonders bittere Sorte erwischt.
Wie man die Bitterstoffe austricksen kann
Nur wegen der Bitterstoffe sollten die gesunden Salate nicht gemieden werden. Sie sind weniger mit Nitrat belastet als der beliebte Kopfsalat und enthalten zudem viel Vitamin C, B-Vitamine, Kalium und Kalzium. Bei Radicchio sind besonders der Strunk und die Rippen bitter, bei Chicorée der Strunk. Werden sie entfernt, ist der Salat gleich weniger bitter. Bei Endivie hilft das kurze Einlegen der Salatblätter in lauwarmes Wasser, da Lactopikrin und Lactucin zwar wasserlöslich sind, sich aber in kaltem Wasser nur schwer lösen. Nicht zu lange einweichen, damit die wasserlösliche B- und C-Vitamine nicht auch verloren gehen. Leider werden in Supermärkten oft nur die Endivienherzen angeboten. Dabei enthalten die äußeren grünen Blätter der Rosette mehr Vitamine als die gelben inneren.
Auch bei der Zubereitung kann man versuchen, die Bitterstoffe mit einer süßen Geschmacksnote zu kombinieren um ihnen so die Intensität zu nehmen. Endivien harmoniert zum Beispiel mit Bananen- oder Mandarinen- oder Orangenstücken, die man einfach unter den Salat mischt, oder ganz klassisch mit gekochten Erdäpfeln. Chicorée harmoniert sowohl mit Orangen als auch mit Äpfeln, und Radicchio kann entweder mit anderen Salaten gemischt oder durch Joghurt oder andere Milchprodukte gemildert werden. Die Marinade kann ebenfalls dazu beitragen, bittere Inhaltsstoffe abzumildern, indem sie zum Beispiel mit Joghurt oder geriebenen Nüssen verfeinert wird.
Salat als Gemüse
Vielfach ist in Vergessenheit geraten, dass alle Zichorien-Salate auch warm als Gemüse zubereitet werden können. Versuchen Sie einmal kurzgebratenen Endivien mit Sonnenblumenkernen und Reis, Radicchio-Risotto oder Chicorée-Auflauf. Viele dieser Rezepte enthalten zusätzlich Milch, Orangen oder andere Zutaten, die Bitterstoffe abmildern. Das Kochen ist auch eine gute Verwertung für gröbere äußere Blätter, die nicht von allen im Salat geschätzt werden.
Es gibt noch andere Lebensmittel, die reich an Bitterstoffen sind, wie zum Beispiel Artischocken, Brokkoli, Grapefruit, Kohlsprossen, Löwenzahn oder Rucola. Diese enthalten andere Bitterstoffe als Lactucopikrin, sind aber ebenfalls gesund.
Referenzen:
[2] Frings S., Müller F. Schmecken (2014). In: Biologie der Sinne. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg.
Weiterführender Link
Meta-Beschreibung:
Bitter schmeckende Lebensmittel sind bei vielen unbeliebt. Doch wie gesund sind Bitterstoffe? Open Science verrät auch Tricks, um den bitteren Geschmack verringern.
Pingback: Bitterstoffe sind gesund | Gesundheitsratgeber | MEIN TAG®
Vielen Dank fürs Verlinken auf unseren Beitrag von den bESSERwissern!
Pingback: Muss Endiviensalat Bitter Schmecken? | Die Ganze Portion
Danke fürs Zitieren unseres Blogartikels sagen die bESSERwisser!