16.01.2018
Macht spätes Essen wirklich dick?
Bei der Ernährung kommt es nicht nur darauf an, was man isst. Auch der Zeitpunkt des Essens scheint mitverantwortlich dafür zu sein, wie die Nahrung vom Körper verwertet wird.
„Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettelmann.“ Dieses bekannte Sprichwort hat mit Sicherheit jeder schon einmal gehört. Ursprünglich stammt es aus einer Zeit, in der die Menschen auf dem Feld harte Arbeit verrichten mussten und dafür ausreichend Energie benötigten. Doch auch heute raten manche Ernährungsexperten dazu, bei Diäten zum leichteren Abnehmen das Abendessen wegzulassen. Was ist dran an diesem Ernährungsmythos?
Steigende Übergewichtsrate als Gesundheitsrisiko
Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) stellen heutzutage eines der größten gesundheitlichen Probleme auf unserem Planeten dar. Die Übergewichtsrate hat sich seit 1975 fast verdreifacht – die WHO spricht von weltweit 1,9 Milliarden übergewichtigen Erwachsenen [1]. Auch der Österreichische Ernährungsbericht 2017 fällt eindeutig aus: 41% der Erwachsenen in der österreichischen Bevölkerung sind übergewichtig oder adipös, wobei verstärkt höhere Altersklassen und eher Männer davon betroffen sind [2]. Da Übergewicht und Adipositas verschiedene Folgeerkrankungen des Stoffwechsels wie Diabetes Typ II, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit sich bringen kann, beschäftigt sich die Wissenschaft von heute intensiv mit diesem Thema [3].
Zusammenhang zwischen verändertem Lebensrhythmus und Übergewicht
Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass nicht nur das, was wir essen, sondern auch die Tageszeit – also wann wir essen – ausschlaggebend für eine Zunahme des Körpergewichts ist. Der Anstieg der Übergewichtsraten in den letzten Jahrzehnten geht Hand in Hand mit einer radikalen Veränderung des Lebenswandels der westlichen Bevölkerung[5]: Der Zeitpunkt der letzten Mahlzeit des Tages hat sich durch die Arbeitszeiten immer weiter nach hinten verschoben. Bei der Hypothese, dass ein Zusammenhang zwischen unserem heutigen Lebensrhythmus und der Übergewichts-Epidemie besteht, kommt die so genannte Chronobiologie ins Spiel.
Abstimmung der Essenszeiten auf den Tag-Nacht-Rhythmus
Steuerung durch innere Uhr
Die Chronobiologie beschäftigt sich mit der zeitlichen Organisation und Regulation aller Prozesse von Lebewesen. Aus der Chronobiologie weiß man heute, dass die innere Uhr nicht nur unseren Tag-Nacht-Rhythmus bestimmt, sondern auch alle unsere wichtigen Stoffwechselvorgänge lenkt [6]: Das Tageslicht wird von speziellen Zellen der Retina im Auge wahrgenommen und das Signal an die innere Uhr, die in einer bestimmte Region des Hypothalamus im Gehirn sitzt, weitergegeben. Von dort aus werden in weiterer Folge die inneren Uhren der einzelnen Gewebe synchronisiert, darunter auch jene in Leber, Fettgewebe und anderen Organen, welche an der Nahrungsaufnahme und -weiterverarbeitung beteiligt sind.
Während sich der Hauptzeitgeber, die innere Uhr im Hypothalamus, nach dem Licht-Dunkel-Zyklus richtet, werden die Uhren in den am Stoffwechsel beteiligten Geweben zusätzlich an den Rhythmus der Mahlzeiten angepasst. Ist der Essensrhythmus nicht im Einklang mit dem Tag-Nacht-Rhythmus, kann es zu einem „Misalignment“, also einer fehlerhaften Ausrichtung zwischen den Rhythmen, kommen – so die Hypothese in der Chronobiologie. Die Uhren in Leber, Fettgewebe und Co erhalten dabei dann gegenteilige Signale vom Hauptzeitgeber im Gehirn und vom externen Zeitgeber „Nahrung“.
Störung der inneren Uhr macht krank
Studien konnten bereits demonstrieren, dass dies einer der Haupt-Risikofaktoren für Übergewicht und assoziierte Erkrankungen ist [3]. „Falsche“ Essenszeiten können die innere Uhr stören und somit den Stoffwechsel beeinträchtigen. Dies wiederum beeinflusst die innere Uhr, was zu Folgeerkrankungen führen kann. Die Idee, dass die Essenzeiten im Einklang mit dem Tag-Nacht-Rhythmus stehen sollten, scheint also naheliegend.
Spätes Essen begünstigt Gewichtszunahme
Die Wissenschaft beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit dem Zusammenhang vom Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme und damit einhergehender Gewichtszunahme [7]. Franz Halberg, einer der entscheidenden Begründer der Chronobiologie, konnte in den 1970er und 1980er Jahren zeigen, dass nicht nur das, was wir essen, sondern auch wann wir essen, eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Übergewicht spielt [8].
Kalorien am Abend schlecht
Zahlreiche Ernährungsexperten bezeichnen das Weglassen des Frühstücks als absolutes No-Go und raten aber dazu, das Abendessen auch einmal ausfallen zu lassen. Studien belegen, dass die gleiche Mahlzeit, abends statt morgens eingenommen, eher Übergewicht hervorruft. So resultierte beispielsweise eine einzige 2000 kcal Mahlzeit pro Tag in einer Gewichtszunahme bei den Probanden, die diese am Abend zu sich nahmen. Auch Personen, die mehrere Mahlzeiten pro Tag aßen und mehr als ein Drittel der Kalorien abends zu sich nahmen, waren eher anfällig für Übergewicht als diejenigen, die mittags mehr aßen [9]. Das spricht beides dafür, dass bei der Zufuhr der gleichen Kalorienmenge spätes Essen Übergewicht begünstigt. Allerdings wird an diesen Studien auch Kritik geübt: Die verwendeten Teilnehmerzahlen waren meist sehr gering und die Tests wurden jeweils innerhalb einer Ethnie durchgeführt, so dass keine allgemein gültige Aussage getroffen werden kann [7].
Ein Forschungsteam aus Italien konnte allerdings in einer groß angelegten Studie die oben angeführte Hypothese ebenfalls bestätigen: Erwachsene, die den Großteil ihrer Kalorien abends zu sich nahmen, neigten zur Entwicklung von Übergewicht und assoziierten Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes Typ II und Bluthochdruck im Vergleich zu Testpersonen, die ihre Kalorien auf den gesamten Tag verteilten [10].
Guter Sättigungseffekt von Frühstück
Auch bei einigen Diäten wurde gezeigt, dass ein und dieselbe Mahlzeit eher zu Gewichtsverlust führt, wenn sie morgens statt abends konsumiert wird [7]. Bemerkenswert dabei ist, dass auch die Verschiebung des Mittagessens auf einen späteren Zeitpunkt des Tages das Abnehmen erschwert, selbst wenn dieselbe Menge an Kalorien zugeführt wird [3].
Worin sich die meisten Studien trotz teilweise abweichender Meinungen auf jeden Fall einig sind: Der Sättigungseffekt eines Frühstücks scheint insgesamt größer zu sein als der eines Abendessens mit gleicher Kalorienzahl [7]. Dies verleitet in Folge dazu, abends mehr Nahrung zu sich zu nehmen, was langfristig wiederum eine Gewichtszunahme begünstigt. Essen wir also später, so müssen wir mehr Nahrung aufnehmen, um uns wirklich satt zu fühlen.
Mit vollem Magen schläft sich’s schlecht
Im Zusammenhang mit Essen am Abend wird auch häufig darüber diskutiert, wann zum letzten Mal vor dem Schlafengehen gegessen werden sollte. Vielen Menschen fällt es schwer, mit vollem Magen zu Bett zu gehen und Ruhe zu finden, und manche klagen auch über Sodbrennen und andere Verdauungsprobleme.
Nicht zu spät Abendessen
Und ist es auch nur eine kleine Nascherei am Abend, die keine Verdauungsprobleme verursacht, so hat sie es dennoch in sich: Da der tägliche Kalorienbedarf zuvor meist schon durch die Mahlzeiten des Tages gedeckt wurde, sind Extra-Leckereien eine zusätzliche Kalorienmenge, die im Rahmen des Energiebedarfs eigentlich nicht benötigt und somit „deponiert“ wird.
Night Eating Syndrome
Interessant dabei ist, dass diese ungesunde Gewohnheit in besonders ausgeprägter Form sogar als Essstörung auftreten kann. Beim „Night Eating Syndrom“ (NES), also nächtlichem Essen, nehmen die Erkrankten den Großteil ihrer Nahrung abends oder nachts zu sich. Sie weisen ein besonders stark zeitversetztes Essensmuster im Vergleich zu ihrem Schlafrhythmus auf. NES korreliert signifikant mit einem erhöhten Body Mass Index [3].
Fazit
Wie so oft im Bereich der Ernährung gehen die Meinungen und Studienergebnisse auch bei der Frage auseinander, ob spätes Essen dick macht oder nicht. Etliche auch hier zitierte Studien zeigen, dass spät eingenommene Mahlzeiten Übergewicht begünstigen. Ob die Studien allerdings korrekt durchgeführt wurden, beispielsweise in Hinblick auf die Stichprobengröße, wird teilweise angezweifelt. Eines darf man generell bei dieser Thematik nicht außer Acht lassen: Auch die genetische Veranlagung bestimmt, wie gut der eigene Stoffwechsel Nahrung verwerten kann und wie stark ein Individuum zu Übergewicht neigt [11, 12].
In Zeiten, in denen alles jederzeit und überall verfügbar ist und wir unseren Rhythmus nicht mehr ans Tageslicht anpassen müssen, sollten wir auch bedenken: Unser „natürlicher“ Stoffwechsel steht prinzipiell im Einklang mit dem Wechsel von Tag und Nacht. Wenn hier auch keine endgültige Aussage getroffen werden kann, so steht zumindest fest: Geht es um die Therapie von Übergewicht und Fettleibigkeit und die Wirksamkeit von verschiedenen Diäten, dann raten Ernährungsexperten generell von zu spätem Essen ab. Und: „Frühstücken wie ein Kaiser“ scheint außerdem wichtig zu sein, da der Sättigungseffekt insgesamt größer ist als der eines Abendessens mit gleicher Kalorienzahl. Natürlich sollte generell immer die aufgenommene Gesamtenergiemenge berücksichtigt werden.
Referenzen
[1] World Health Organisation. Obesity and and overweight. Fact sheet (Updated October 2017). Abgerufen am 10.Jänner 2018
[2] Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien im Auftrag vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen. Österreichischer Ernährungsbericht 2017. Abgerufen am 20. Juni 2018
[4] Campbell NA, Reece JB, Urry LA et al.: Biologie Gebundene Ausgabe, Deutsch (8., aktualisierte Auflage, 1. Juni 2009). Pearson