Was assoziieren Sie mit den Begriffen „Boden“ oder „Erde“? Einen Acker? Ein Gemüsebeet? Oder gar den Dreck unter Ihren Fingernägeln? Erde ist viel mehr als das: Sie ist der Lebensraum für eine mikroskopisch kleine Welt, in der sich unzählige Mikroorganismen tummeln. Die Kleinstlebewesen im Boden sind nicht nur für dessen Struktur und Fruchtbarkeit verantwortlich, sie spielen auch eine wichtige Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf. Der Wissenschaftszweig der Bodenökologie untersucht das Zusammenspiel von Mikroorganismen mit ihrer Umgebung.
Mikroorganismen, auch als Mikroben bekannt, stellen eine sehr heterogene Gruppe verschiedenster Kleinstlebewesen dar. Diese umfasst Bakterien, Archaea (früher auch Urbakterien genannt), Pilze und Protisten (siehe auch Wissensartikel "Mikrobiom des Menschen" auf unserer Webseite). Auf unserem Planeten gibt es schätzungsweise eine Billion verschiedener Mikrobenarten – das sind mehr als Sterne in der Galaxie. Die dünne Bodenschicht, welche unsere Landoberflächen bedeckt, ist besonders reich an mikroskopisch kleinen Organismen. Jedes Gramm Boden enthält mehrere tausend Arten von Mikroorganismen. Und ein Teelöffel voll Erde beherbergt geschätzte 200 Meter an Pilzfäden und rund eine Milliarde Bakterienzellen [1].
Der große Artenreichtum der Mikroorganismen trägt wesentlich zur Widerstandsfähigkeit der Böden bei Änderungen der Umweltbedingungen bei. Können bestimmte Kleinstlebewesen ihre mikrobiellen Prozesse unter neuen Bedingungen nicht mehr ausführen, so gibt es andere Bodenmikroben, die damit besser umgehen und für sie einspringen können. Wie bei allen anderen Ökosystemen ist es daher auch beim Boden wichtig, die darin vorkommenden Lebewesen zu kennen und sie zu verstehen. Die Artenvielfalt im Boden muss aufrechterhalten werden, um so zum Schutz unserer Umwelt beizutragen.
Aktuell ist unser Wissen über Mikroorganismen in der Umwelt sehr eingeschränkt. Die Kleinstlebewesen kommen in ihrer natürlichen Umgebung in großen Gemeinschaften vor. Um einen bestimmten Organismus zu erforschen, muss dieser zunächst von den anderen abgetrennt werden –ein sehr aufwändiger, teurer und zeitintensiver Prozess. Das erklärt auch, weshalb bisher schätzungsweise nur rund ein Prozent aller existierenden Mikroorganismen im Labor kultiviert und analysiert werden konnte. Das macht es schwierig, genau vorherzusagen, wie sich Umweltveränderungen – wie zum Beispiel durch den Klimawandel – auf die Mikroorganismengemeinschaften in verschiedenen Ökosystemen auswirken werden. Die Wissenschaft hat hier noch ein großes Stück Arbeit vor sich.
Das interdisziplinäre Feld der Bodenökologie, das sich aus den Teilgebieten der Ökologie und der Bodenkunde entwickelt hat, nimmt hier mittlerweile eine wichtige Rolle ein: BodenökologInnen sind an den Wechselwirkungen von Bodenorganismen mit ihrer Umgebung interessiert und untersuchen die Diversität der scheinbar unsichtbaren Lebewesen, die unseren Boden bewohnen [2]. Die WissenschaftlerInnen wollen mehr über die wichtige Rolle dieser Mikroorganismen herausfinden, um unsere Umwelt gesund zu halten.
Erde setzt sich aus Pflanzenresten, mikrobiellen und tierischen Überresten sowie Mineralien zusammen. Diese Bestandteile haften durch Zuckermoleküle, welche von Mikroorganismen sekretiert oder von Pflanzenwurzeln produziert werden, aneinander und bilden Aggregate. In diesem Gewirr leben unterschiedlichste Arten von Mikroorganismen, welche organische Substanzen abbauen und daraus lebensnotwendige Nährstoffe für Pflanzen bereitstellen. Durch das Erdreich erstrecken sich lange Pilzfäden, die den Bodenmikroorganismen quasi als Autobahn dienen, um sich von einem Platz zum anderen zu bewegen und Nahrung zu finden. Der Boden ist außerdem von Poren durchsetzt, die sich mit Wasser oder Luft füllen können.
Auch kleine Bodentiere wie Fadenwürmer, Regenwürmer, Milben, Asseln, Springschwänze und Insektenlarven bewohnen die Erde. Sie finden darin nicht nur Nahrung, sondern auch Schutz vor Fraßfeinden. Die kleinen Bewohner wühlen im Boden herum und verändern so stetig seine Struktur. Außerdem hinterlassen sie Ausscheidungen, die den Mikroorganismen als Nahrung dienen. Die Gesamtheit der im Boden lebenden Organismen – Bodenorganismen und Bodenmikroorganismen – wird als Edaphon bezeichnet.
Die Bedingungen im Boden – wie die Verfügbarkeit von Sauerstoff, Wasser oder Nährstoffen – können von Millimeter zu Millimeter unterschiedlich sein. Außerdem ändern sie sich mit dem Wetter und mit den Jahreszeiten und unterliegen auch tagesabhängigen Schwankungen. Der Klimawandel bringt ebenfalls veränderte Bodenbedingungen mit sich. Der Lebensraum Boden ist somit eine sehr herausfordernde Umgebung für all seine Bewohner.
Die Mikroorganismen im Boden erfüllen wichtige Funktionen: Sie sorgen für Nährstoffumsatz, indem sie vor allem organisches Material im Boden zersetzen und Überreste toter Pflanzen, Tiere und Mikroben in ihre einfachsten Bestandteile zerlegen. Auf diese Weise verwerten die Mikroben selbst die Bodennährstoffe und machen diese auch für andere Mikroorganismen und Pflanzen nutzbar. Außerdem stabilisieren die Kleinstlebewesen die Bodenstruktur, verbessern die Wasserspeicherung und fördern das Pflanzenwachstum im Erdreich.
Je nach Art nehmen Mikroorganismen außerdem Treibhausgase wie Kohlenstoffdioxid (CO2), Distickstoffmonoxid (N2O) und Methan (CH4) auf oder setzen diese in die Atmosphäre frei. Somit spielen sie auch bei der Klimaerwärmung eine Rolle. Die Kleinstlebewesen bauen auch Schadstoffe und Pestizide im Boden ab und unterstützen Pflanzen bei der Aufnahme von Nährstoffen und der Abwehr von Krankheitserregern. Aus diesem Grund ist die Erhaltung der mikrobiellen Artenvielfalt auch für die Landwirtschaft von großer Bedeutung.
Pilze und Bakterien machen rund drei Viertel der gesamten Bodenmasse aus und leisten somit auch den größten Beitrag für einen guten und gesunden Boden [3]. Doch nicht nur diese Mikroorganismen sind wichtig für die genannten Prozesse im Boden, auch Viren haben hier Einfluss. Manche Viren leben in Bakterien oder in Zellen von Protisten. Sie kontrollieren so auch indirekt deren Stoffwechselvorgänge und können sogar beim globalen Kohlenstoffzyklus eine wichtige Rolle spielen [4]. Um die Gesundheit unserer Ökosysteme aufrecht zu erhalten, müssen wir daher die Diversität der Bakterien, Pilze, Protisten und auch Viren im Boden in ihrer Gesamtheit kennen und verstehen – noch ein weiter Weg für die Bodenökologie.
Der Boden ist nicht nur ein sehr dynamischer und herausfordernder Lebensraum für seine Bewohner, er fordert auch die Wissenschaft bei seiner Untersuchung. Viele Faktoren müssen bei einer Analyse von Mikroorganismengemeinschaften in dieser komplexen Umgebung berücksichtigt werden. So etwa ist der genaue Ort einer Probenentnahme wichtig, da die mikrobielle Zusammensetzung des Erdreichs von Zentimeter zu Zentimeter stark variieren kann. Auch der Zeitpunkt, zu dem eine Probe genommen wird, spielt eine entscheidende Rolle: Die Mikroorganismen-Arten an einer bestimmten Stelle im Boden können sich mit der Zeit rasch verändern, da die Kleinstlebewesen des Bodens rasch wachsen, sich vermehren und von einem Ort zum anderen wandern. Der enorme Artenreichtum der Mikroorganismen erfordert außerdem verschiedene Methoden, um sie zu untersuchen.
Unseren heutigen Wissensstand über das Leben im Boden verdanken wir maßgeblich dem Forschungszweig der Bodenökologie. Zur Untersuchung der Mikroorganismen setzen BodenökologInnen folgende experimentelle Techniken ein:
Trotz des Einsatzes modernster Methoden konnten bisher geschätzte 99 Prozent aller existierenden Mikroorganismen noch nicht im Labor kultiviert werden [5]. Das Isolieren und Charakterisieren neuer, bislang unbekannter Mikroben stellt somit weiterhin eine große Herausforderung für die Wissenschaft dar. Neue Techniken, die hier Erleichterung schaffen, sind dabei immer gefragt.
Der sogenannte Isolations-Chip stellt ein Beispiel für einen kreativen Lösungsansatz dar, um passende Wachstumsbedingungen für Bodenmikroorganismen zu finden. Der „iChip“ wird schon seit längerem eingesetzt, um praktisch nicht kultivierbare Mikrobenarten doch zum Wachsen zu bringen [6]. Anstatt einzelne Stämme in flüssigem oder festem Medium zu züchten, setzt der iChip auf eine geringe Konzentration der Mikroben: Bodenproben werden so stark verdünnt, bis nur mehr wenige Zellen übrigbleiben und dann in den iChip überführt. Diesen kann man sich wie einen Mini-Reaktor aus vielen einzelnen Isolationskammern mit Agarosemedium vorstellen. Der iChip mit den verdünnten Bodenmikroorganismen wird im Boden vergraben, um die Wachstumsbedingungen für die Bodenlebewesen so natürlich wie möglich zu gestalten. Nach ein paar Wochen wachsen Bakterien und Pilze in den kleinen Kammern, die unter traditionellen Wachstumsbedingungen im Labor leicht übersehen werden könnten.
Der Einsatz modernster Technologien in der Wissenschaft hat bereits zu einem stark verbesserten Verständnis der Bakterien, Pilze und Viren in unseren Böden beigetragen. Mittlerweile sind viele Prozesse bekannt, die von Bodenmikroorganismen kontrolliert werden. Auch die Auswirkungen von veränderten Umweltbedingungen auf bestimmte mikrobielle Funktionen kennt man bereits.
Dennoch sind weitere Untersuchungen der Bodenmikroorganismen für die Zukunft enorm wichtig, um landwirtschaftliche Nutzflächen schützen zu können. Nur so kann unsere Essensversorgung langfristig gesichert und Vorhersagen getroffen werden, wie Ökosysteme auf der ganzen Welt dem Klimawandel standhalten werden. Die Wissenschaft hat bereits enorme Fortschritte in diese Richtung erzielt, aber es gibt noch immer eine immense Anzahl an Mikroorganismen, die darauf warten, entdeckt und analysiert zu werden.
Auch wenn der Boden unter unseren Füßen nur wie ein Häufchen Dreck wirken mag: Er stellt eine dynamische, mikroskopisch kleine Welt dar, die enormen Einfluss auf alles Darüberliegende hat. Und diese verborgene Welt müssen wir unbedingt schützen.
Erstellt von AS, als Grundlage diente der englischen Gastartikel "Investigating the invisible: The unseen life below our feet’" von Lauren Alteio auf der Webseite
as, 25.05.2021
[1] FAO, ITPS, GSBI, CBD and EC. 2020. State of knowledge of soil biodiversity - Status, challenges and potentialities, Report 2020. Rome, FAO.
[2] Zuckerman MAP: Soil Ecology (2008). Encyclopedia of Ecology.
[3] https://www.planet-wissen.de/natur/umwelt/lebendiger_boden/bodenleben-100.html