Von der Biodiversität - beziehungsweise ihrem Verlust – auf unserem Planeten wird heute immer wieder in den Medien berichtet. Dank der hohen Medienpräsenz und zahlreicher Initiativen ist auch die Öffentlichkeit bereits für dieses Thema sensibilisiert. Da die Erhaltung der Biodiversität globale Relevanz hat, ist sie heute auch in Forschung und Entwicklung hoch aktuell.
Biodiversität, Artenvielfalt und genetische Vielfalt werden oft in einem Atemzug genannt, haben jedoch unterschiedliche Bedeutungen. Biodiversität stellt einen Überbegriff dar und wird oft auch als biologische Vielfalt bezeichnet. Die Biodiversität beschreibt die Variabilität aller lebenden Organismen, aller Ökosysteme und ökologischen Einheiten, zu denen sie gehören. Die exakte Definition wird von der UN-Biodiversitätskonvention vorgegeben [1].
Die Biodiversität umfasst die folgenden drei Teilbereiche:
Heute weiß man, dass die Erhaltung der Biodiversität für das langfristige Fortbestehen von Lebensräumen und Ökosystemen – und somit auch für den Menschen - ein absolutes Muss ist. Tatsache ist aber leider: Die Biodiversität auf unserem Planeten nimmt drastisch ab. Ökosysteme verschwinden, und die Anzahl der verschiedenen Tier- und Pflanzenarten schrumpft mit erschreckender Geschwindigkeit. Seit 1970 sind die untersuchten Bestände von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen um durchschnittlich 68 Prozent gesunken. Seit Beginn der industriellen Revolution sind mehr als 85 Prozent der Feuchtgebiete verschwunden, und 75 Prozent der eisfreien Landoberfläche der Erde tragen mehr oder minder die Handschrift menschlicher Eingriffe [2].
Die Wissenschaft ist sich noch nicht ganz darüber einig, wie viele Arten es überhaupt auf der Erde gibt. Es werden Zahlen von zwei bis zehn oder sogar 50 Millionen verschiedener Arten diskutiert, von denen bisher knapp 2,3 Millionen beschrieben sind [3]. Das Artensterben schreitet laut Weltbiodiversitätsrat mindestens zehn bis hunderte Male schneller voran als im Durchschnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre, und weltweit sind aktuell bis zu eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Man geht davon aus, dass pro Tag rund 150 Tier- und Pflanzenarten von unserem Planeten verschwinden [4] und die Aussterberate somit um den Faktor 100 bis 1.000 über dem natürlichen Wert liegt [5].
Eine Studie aus Deutschland gibt anhand eines konkreten Beispiels Aufschluss über den drastischen Rückgang der Artenvielfalt in unserem Lebensraum: Sie konnte zeigen, dass 75 Prozent des Insektenbestand in deutschen Naturschutzgebieten innerhalb von 27 Jahren ausgestorben waren [6].
Das sind alarmierende Zahlen, weil Insekten sowohl als Bestäuber als auch in der Nahrungskette eine wichtige Rolle spielen. Als eine der Ursachen des Insektenschwindens wird die Intensivierung der Landwirtschaft der umliegenden Flächen genannt.
Im gleichen Zeitrahmen wurde ein EU-weiter drastischer Rückgang von Vogel-Populationen registriert, es ist sogar schon vom großen Vogelsterben die Rede [7].
Intakte Ökosysteme leisten jedoch seit jeher einen wichtigen Beitrag für Gesundheit und Wohlbefinden von uns Menschen, sie erbringen sogenannte Ökosystemleistungen. So wird beispielsweise erst durch die Vielfalt der Insekten die Bestäubung unserer Kulturpflanzen sichergestellt, sodass wir deren Früchte und Samen ernten können. Durch schwindende Ökosysteme und Monokultur in der Landwirtschaft jedoch schrumpfen Bestand und Mannigfaltigkeit der Insekten.
Die Artenvielfalt im Regenwald stellt ein weiteres Beispiel für die Wichtigkeit der Biodiversität dar – aus manchen Pflanzen können neue Stoffe für die Herstellung von Medikamenten gewonnen werden. Geht das Ökosystem Regenwald verloren, verschwinden viele noch weitestgehend unentdeckte und nicht-beschriebene Arten - und somit auch die Möglichkeit, neue Inhaltsstoffe zu entdecken.
Die Auswirkungen des Artensterbens liegen folglich auf der Hand und sind teilweise schon heute spürbar: Der Klimawandel schreitet voran, und die Ozeane übersäuern. Es ist bereits klar, dass der Verlust der biologischen Vielfalt auch eine Bedrohung der Gesundheit der Menschen mit sich bringt. Denn nur funktionierende Ökosysteme können langfristig saubere Luft, Trinkwasser, Nahrung, Schutz vor Naturgefahren und somit unser Wohlbefinden gewährleisten.
Ein Beispiel, an dem man die Auswirkungen des Verlustes der Biodiversität gut veranschaulichen kann, ist der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft. Pestizide vergiften nicht nur die Schädlinge, sondern auch andere Organismen, die mit ihnen in Kontakt kommen – so auch wichtige Insekten, die Pflanzen bestäuben. In China führte der starke Pestizideinsatz zu einem so dramatischen Rückgang von Insekten und Vögeln, dass die Bestäubung von Obstplantagen jetzt teilweise vom Menschen übernommen werden muss. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren wurde von Imker*innen in Westeuropa außerdem ein massives Bienensterben beobachtet, vermutlich verursacht durch Intensivlandwirtschaft und Pestizide.
Seit der Entstehung von Leben auf unserem Planeten haben sich immer wieder Wachstum und Rückgang der Artenvielfalt abgewechselt. Im Verlauf der Erdgeschichte gab es bereits mehrere Massenaussterben, doch jedes Mal entstand danach wieder ein neuer Artenreichtum. Man geht heute von insgesamt fünf drastischen Reduktionen der Fauna und Flora in den letzten 500 Millionen Jahren aus. Bei diesen verschwanden vermutlich jedes Mal zwischen 75 und mehr als 90 Prozent aller Lebewesen auf der Erde praktisch binnen eines Augenblicks. Laut heutigem Wissensstand waren vor allem Vulkanismus und der Einschlag von Meteoriten und die damit einhergehende rapide Änderung der Umweltverhältnisse dafür verantwortlich. Das letzte bekannte Massensterben betraf die Dinosaurier vor rund 66 Millionen Jahren zum Ende der Kreidezeit und wurde durch den Einschlag eines Meteoriten mit rund zehn Kilometern Durchmesser ausgelöst.
Expert*innen gehen davon aus, dass wir seit etwa 8.000 Jahren dabei sind, uns auf das sechste Massenaussterben von Arten zuzubewegen. Diesmal wird es jedoch nicht durch Vulkanismus oder Meteoriten verursacht, sondern durch uns Menschen selbst. Seitdem der Mensch sesshaft ist, wurden vor allem Tiere stark zurückgedrängt und manche Arten durch die Jagd sogar ausgerottet. Die Besiedelung anderer Kontinente führte zur Einschleppung neuer Arten, welche die lokale Fauna deutlich beeinflusste. Durch die Abholzung von großen Arealen von Wäldern und Regenwäldern und durch unsere intensive Landnutzung werden artenreiche Ökosysteme in Monokulturen umgewandelt. Das ist wohl der wichtigste Faktor, der zum Aussterben von Arten und zum Verlust bzw. der Fragmentierung – die Zerstückelung großer Lebensräume beispielsweise durch Straßenbau - von Ökosystemen und Lebensräumen beiträgt. Die vergangenen Katastrophen lassen Vermutungen zu, welche Szenarien uns jetzt in der sechsten, menschengemachten Aussterbewelle erwarten.
Was bedeutet eine verringerte Biodiversität im Zusammenhang mit dem Klimawandel? Der vom Menschen verursachte Klimawandel führt zu veränderten Umweltbedingungen und bringt extreme Wetterbedingungen mit sich. Es ist in Zukunft unter anderem mit mehr Trockenheit und Hitzewellen zu rechnen, und das wird unsere Land- und Forstwirtschaft schwer treffen.
Die Möglichkeiten von Pflanzen und Tieren, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, sind generell ein wichtiger Aspekt der Biodiversität und gerade unter heutigen und zukünftigen Umständen essentiell. Denn nur wenn die Vielfalt innerhalb einer Art gegeben ist, ist auch eine Anpassung an neue Umweltbedingungen möglich. Nur jene Varianten einer Art können überleben, die mit den neuen Lebensbedingungen zurechtkommen. Gäbe es nur wenige Varianten, im schlechtesten Fall eine, die den neuen Bedingungen gar nicht gewachsen ist, würde die gesamte Population oder gar die gesamte Art aussterben. Vielfalt ist somit die Absicherung einer Art, fortzubestehen und sich - wenn nötig – an die neue Umgebung anpassen zu können.
Mit seiner Vielzahl an Lebensräumen und verschiedenen Pflanzen- und Tierarten zählt Österreich zu den artenreichsten Ländern Europas. Aktuell sind in Österreich jedoch etwa 27 Prozent der Säugetiere, 27 Prozent der Vögel, 60 Prozent der Kriechtiere und Lurche sowie 33 Prozent der Farn- und Blütenpflanzen gefährdet [8]. Heute wird auf nationaler und internationaler Ebene versucht, die (noch) vorhandene Biodiversität aufrecht zu erhalten bzw. lokal verschwundene Arten wieder einzuführen. Unter der Federführung des damaligen Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) wurde im Jahr 2014 in Österreich die so genannte „Biodiversitäts-Strategie Österreich 2020+“ verabschiedet. Diese sollte dem Verlust der biologischen Vielfalt sowie der Verschlechterung von Ökosystemen erst einmal gezielt bis zum Jahr 2020 entgegenwirken und somit Lebensqualität und Wohlstand für uns und die folgenden Generationen sichern. Dieser folgte die „Biodiversitäts-Strategie Österreich 2030+“ des heutigen Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Aber auch Österreichische Forschungseinrichtungen, wie beispielsweise das Austrian Institute of Technology (AIT), und zahlreiche Initiative setzen sich für die Erhaltung der Biodiversität ein.
Vor allem dann, wenn es um Nutzpflanzen geht, haben sogenannte Genbanken, welche Saatgut auf lange Zeit konservieren, einen sehr hohen Stellenwert beim Erhalt der Biodiversität. Allein in Österreich gibt es 14 davon. Ein bekanntes Beispiel ist der Verein Arche Noah, der sich stark für den Erhalt von lokalem und kulturell wertvollem Saatgut einsetzt. Eines der staatlichen Pendants dazu ist die Genbank der AGES. Eine weitere erwähnenswerte Initiative, die den Erhalt der heimischen Flora und Fauna als Ziel hat, ist zum Beispiel den Verein RGV - Regionale Gehölzvermehrung, welcher auf regionale Gehölze als Heckenpflanzen setzt. So soll die lokale Flora, auch wenn es sich nur um den eigenen Garten handelt, nicht durch fremde Gesellschaften gestört werden. In Österreich gibt es außerdem zahlreiche Citizen Science Projekte, bei denen sich die Bevölkerung aktiv an der Biodiversitäts-Forschung beteiligen kann. Einen Überblick über aktuelle Projekte gibt es auf der Website der Plattform „Österreich forscht“.
Auch als einfache Konsumentin oder einfacher Konsument kann man zum Erhalt der Biodiversität beitragen. Denn auch wenn jede Einzelne oder jeder Einzelne nur kleine Schritte setzen kann, so sind diese doch überaus wichtig. Im Zusammenhang mit Biodiversität spielt heute auch Regionalität eine wichtige Rolle. So sollte man beim Saatgut für die Blumenwiese beispielsweise darauf achten, dass es aus der Region kommt und heimische Pflanzen hervorbringt. Nach demselben Prinzip sollten auch Hecken angelegt werden.
Um Biodiversität gepaart mit Regionalität im Bereich der Landwirtschaft zu fördern, ist es wichtig, auch beim Kauf und Konsum auf Diversität zu achten. Es gibt viele lokale Obst- und Gemüsesorten, die leider nicht mehr im Handel verfügbar, aber vielleicht auf dem einen oder anderen Bauernmarkt zu finden sind. Oder wenn es ein Tafelspitz sein soll, wieso nicht von der Bergschecke oder vom Blondvieh? Mit einer kleinen Umstellung der Gewohnheiten können viele Einzelne so gemeinsam Großes bewirken und auch für die nachfolgenden Generationen einen Planeten voller Leben und Artenreichtum hinterlassen. Momentan wird das erst von wenigen umgesetzt, während die breite Bevölkerung für dieses Thema noch begeistert werden muss. Das ist eine große und wichtige Aufgabe - unter anderem auch für die Wissenschaftskommunikation.
Dieser Beitrag wurde im Jänner 2023 überarbeitet und aktualisiert.
AS, 19.12.2018
Referenzen:
[1] United Nations: Convention on biological diversity (1992).
[2] WWF: Living Planet Report 2020. Bending the curve of biodiversity loss.
[5] Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK): Globaler Biodiversitätsbericht, abgefragt am 5.1.2023
[6] Hallmann CA, Sorg M., Jongejans E. et al.: More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas (2017). PLOSone, October 18
[7] Website des Naturschutzbunds Deutschland, abgerufen am 18.12.2018
[8] Website des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: Hintergrund zur biologischen Vielfalt, abgefragt am 5.1.2023
Ein Teil der Information in diesem Artikel stammen aus einem Interview von Open Science mit der Pflanzengenetikerin Dr. Eva Maria Molin (geb. Sehr) vom AIT, die sich mit der genetischen Diversität von Nutzpflanzen beschäftigt.