Das niederösterreichische Unternehmen ABS Biotechnologies nutzt hochmoderne Stammzelltechnologie, um bereits in der Frühphase Nebenwirkungen neuer Medikamente zu testen.
Das Start-Up ABS Biotechnologies wurde 2022 von Chukwuma Agu, Johannes Bargehr und Sanjay Sinha gegründet. Das Jungunternehmen mit Sitz in Tulln an der Donau möchte hochmoderne Stammzelltechnologien dazu nutzen, um Medikamente sicherer zu machen und sie schon früh in der Entwicklung auf mögliche Nebenwirkungen zu testen. So sollen einerseits die Nebenwirkungen während klinischer Studien oder nach der Zulassung des Medikaments minimiert werden. Die drei Gründer verfügen über Expertise in den Bereichen Stammzellbiologie sowie Kardiologie.
Finanziert wird ABS Biotechnologies durch die FFG und das Wirtschaftsministerium sowie eine Preseed-Förderung des Austria Wirtschaftsservice (aws).
Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben Forschung und Entwicklung enorme Fortschritte gemacht, und viele neue, teils lebensrettende Medikamente wurden entwickelt. Eine Problematik dabei ist jedoch, dass Wirkstoffe häufig mit Nebenwirkungen verbunden sind. Dies kann entweder dazu führen, dass Medikamente erst gar nicht zugelassen werden oder auch nach einer Zulassung wieder vom Markt genommen werden müssen. Vor allem bei selten auftretenden Nebenwirkungen ist dies der Fall. Als solche werden sie eingestuft, wenn sie nur bei einer Person unter 1000 Behandelten auftreten. Von sehr häufigen Nebenwirkungen hingegen ist mehr als eine/r von zehn Behandelten betroffen.
Bevor ein Medikament auf den Markt kommt, durchläuft es streng vorgegebene Prüfungsphasen. Zu Beginn sind präklinische Studien für neue Wirkstoffe verpflichtend, in denen Sicherheit und Wirksamkeit in vitro in Zellkultur und in vivo an Tieren getestet werden. In den darauffolgenden klinischen Studien wird das Medikament in drei Phasen an Menschen getestet, um die Sicherheit, Dosierung und langfristige Wirkung zu überprüfen. Erst danach darf es für den breiten Markt zugelassen werden.
Viele Nebenwirkungen werden so bereits vor einer Zulassung gefunden. Wie schwerwiegend eine Nebenwirkung ist, wird dabei oft subjektiv beurteilt, da es keine allgemein gültige Skala dafür gibt. Leichte Nebenwirkungen sind aber beispielsweise Verdauungsstörungen wie Übelkeit und Verstopfung. Diese kommen gar nicht so selten vor, da der Großteil der Medikamente den Verdauungstrakt durchläuft. Als schwere Nebenwirkungen werden alle potenziell lebensgefährlichen Reaktionen wie etwa Leberversagen, Herzrhythmusstörungen oder bestimmte Arten allergischer Reaktionen kategorisiert.
Die häufigste Ursache für den Abbruch klinischer Studien und die Rücknahme von Medikamenten vom Markt sind so genannte kardiale Nebenwirkungen. So werden unerwünschte Effekte von Medikamenten oder Behandlungen auf das Herz-Kreislaufsystem bezeichnet. Dazu zählen beispielsweise Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz oder eine Veränderung der Herzfrequenz.
In Österreich sind Personen in Gesundheitsberufen (z.B. Ärtz:innen, Apotheker:innen) und Arzneimittelhersteller dazu verpflichtet, unerwünschte Reaktionen auf Medikamente zu melden. Im Jahr 2023 gab es 14894 Meldungen von unerwünschten Reaktionen auf Arzneimittel.
Bei Stammzellen handelt es sich um undifferenzierte Zellen, die sich einerseits selbst vermehren können, aber unter bestimmten Bedingungen auch zu spezialisierten Zelltypen wie Muskel-, Nerven- oder Blutzellen ausdifferenzieren können. Sie stellen eine Art Reservelager unseres Körpers dar und sind wichtig für die Regeneration von Geweben und die Heilung von Verletzungen.
Beim Menschen sind verschiedene Arten von Stammzellen bekannt: Aus Embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) kann sich jedes menschliche Gewebe, aber kein vollständiger Mensch mehr bilden. Daher bezeichnet man sie als pluripotent. Sie treten in frühen Stadien der Entwicklung eines Embryos auf. Adulte Stammzellen hingegen sind bereits weiter in ihrer Entwicklung vorangeschritten und kommen in verschiedenen Geweben des Körpers vor. Sie sind multipotent und können sich üblicherweise nur mehr in die Zelltypen jenes Gewebes/Organs entwickeln, in dem sie lokalisiert sind.
Als iPS-Stammzellen (induced pluripotent stem cells) werden Zellen bezeichnet, die im Labor durch Rückführen (Reprogrammieren) von adulten multipotenten Zellen wie Haut- oder Blutzellen in einen pluripotenten Zustand versetzt werden. Diese Zellen haben das Potenzial, sich in nahezu jede Zellart des Körpers zu entwickeln, was sie zu einem vielversprechenden Werkzeug für die regenerative Medizin und Krankheitsforschung macht.
Das Start-Up ABS Biotechnologies möchte mithilfe von Stammzellen nun Nebenwirkungen früher erkennen und Medikamente sicherer für Patient:innen machen. Durch Medikamente hervorgerufene Herzinfarkte, Schlaganfälle, Bluthochdruck und unregelmäßige Herzrhythmen soll es bald nicht mehr geben, so die Vision.
Das Jungunternehmen setzt dafür auf automatisches Screening von neuen Wirkstoffen auf Toxizität im Hochdurchsatz, und das auf einem bisher nicht da gewesenen Level: ABS Biotechnologies ist in der Lage, aus iPS-Zellen Blutgefäßzellen zu erzeugen, die jenen im menschlichen Körper entsprechen. An den so in vitro (im Labor) unter kontrollierten Bedingungen kultivierten Zellen können Wirkstoffe getestet werden, und in diesem Zellverband lassen sich erstmals Nebenwirkungen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle nachweisen.
Das Start-Up erzeugt auch Herzgewebe aus iPS, das dem reifen menschlichen Herzgewebe sehr ähnlich ist. In den so generierten Herzmuskelzellen können unregelmäßige Herzschläge mit größerer Präzision vorhergesagt werden als mit bestehenden Technologien.
Aktuell redifferenziert ABS Biotechnologies im Auftrag von Unternehmen Blut- und Hautzellen von ausgewählten Patient:innen zu iPS-Stammzellen.
ABS Biotechnolgies testet neue Arzneimittel schon in der Entwicklungsphase auf mögliche Nebenwirkungen, was in manchen Fällen die Kosten deutlich senken kann: Die Entwicklung eines neuen Medikaments von der Idee bis hin zur Vermarktung dauert in etwa 12 bis 15 Jahre und kostet rund 2,6 Milliarde Euro [1, 2]. Durch die innovativen Tests an Blutgefäß- und Herzmodellen können Nebenwirkungen rechtzeitig erkannt und die entsprechenden Arzneimittel früh aussortiert werden.
Auch in Bezug auf das 3R-Prinzip kann das Start-Up punkten: Das Konzept Replace, Reduce, Refine – auf Deutsch: Vermeiden, Verringern, Verbessern – soll den Einsatz von Tieren in der Forschung minimieren. Durch die Nutzung von Stammzellen werden vor allem in der Anfangsphase der Medikamentenentwicklung Tierversuche reduziert oder gänzlich verzichtbar. Für die späteren Erfordernisse für eine Zulassung sind dann aber trotzdem Tests an Tieren nötig, um die Wirksamkeit, Dosierung und Sicherheit zu untersuchen. Für eine Zulassung eines Medikaments werden daher auch weiterhin noch Versuche an Tieren notwendig bleiben, aber eben weniger.
Referenzen:
as, 23.12.2024
[1] Hughes JP, Rees S., Kalindjian SB and Philpott KL: Principles of early drug discovery. Br J Pharmacol. 2011 Mar;162(6):1239-49. doi: 10.1111/j.1476-5381.2010.01127.x. PMID: 21091654; PMCID: PMC3058157.
[2] DiMasi JA, Grabowski HG and Hansen RW. Innovation in the pharmaceutical industry: New estimates of R&D costs. J Health Econ. 2016 May;47:20-33. doi: 10.1016/j.jhealeco.2016.01.012. Epub 2016 Feb 12. PMID: 26928437.