Das Wiener Start-Up-Unternehmen Aitiologic analysiert mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) Blutproben. Dies soll es in Zukunft erleichtern, bestimmte Erkrankungen früher erkennen und behandeln zu können.
Der Name ist Programm, denn das griechische Wort „Aitios“ bedeutet so viel wie „Grund“ oder „Ursache“ und beschreibt gut das Ziel des Jungunternehmens Aitiologic: Mithilfe von KI sollen anhand von Blutproben Krankheiten frühzeitig erkannt werden. Gegründet wurde Aitiologic im Jahr 2023 und konnte sich bisher 2.5 Millionen Euro an Venture Capital und Förderungen sichern – unter anderem vom Austria Wirtschaftsservice (aws) und der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).
Die Idee zur KI-Unterstützung in der Diagnostik entstand schon vor längerem, als der jetzige Geschäftsführer von Aitiologic, Andreas Posch, noch bei Siemens Healthineers tätig war. Als Bioinformatiker entwickelte er dort eine Technologie, mit deren Hilfe man mittels DNA im Blut den Entstehungsort einer Krankheit und deren Fortschritt näher bestimmen kann.
Siemens Healthineers übertrug Posch eine exklusive Lizenzoption für sein geistiges Eigentum, damit sich dieser seiner Idee intensiv in einem eigenen Unternehmen widmen konnte. Gemeinsam mit Stephan Beisken und Achim Plum gründete Posch im Jahr 2023 das Start-Up-Unternehmen Aitiologic. „In einem meiner Entwicklungsprojekte [bei Siemens] haben wir uns mit hochauflösenden Bluttests zur Krankheitserkennung beschäftigt und hier eine neue Technologie entwickelt und patentiert. Diese haben wir nun in Aitiologic überführt und auf dieser Grundlage das Unternehmen gegründet,“ so Posch dazu.
Seit Juli 2023 arbeitet das Jungunternehmen Aitiologic nun an Tests, die bei der Früherkennung von Krankheiten helfen sollen. Das Team umfasst neben den drei Gründern mittlerweile noch vier weitere Mitarbeiter:innen, die teils aus der Molekularbiologie und teils aus der Bioinformatik kommen und plant weiter zu wachsen. Die Software, an der das Team von Aitiologic seither tüftelt, soll mit Unterstützung von KI Informationen zu so genannter zell-freier DNA (cell-free DNA, cfDNA) liefern.
In unseren Körperzellen befindet sich das Erbgut, die DNA, normalerweise im Zellkern. Krankheiten können dazu führen, dass Zellen absterben und deren Inhalt in die Blutbahn gelangt – so auch ihre DNA. Die ursprünglich mehrere Millionen Basenpaare lange DNA wird dabei zu kürzeren Fragmenten abgebaut, die als zell-freie DNA bezeichnet werden. Deren Vorliegen im Blut wiederum gibt Aufschluss über pathologische Prozesse wie auch Veränderungen in der DNA. Dazu erklärt Posch: „Das kann man sich so vorstellen: Jede Zelle im Körper, die stirbt oder erneuert wird, schüttet ihre Inhaltsstoffe in den Blutkreislauf aus, also auch die DNA-Moleküle. So schwimmen von viele verschiedenen Zellen auch deren DNA-Moleküle im Blut herum. Dazu gibt es auch ein eigenes Forschungsgebiet, das als Liquid Biopsy bekannt ist.“
Die detaillierte Analyse zell-freier DNA soll es in Zukunft ermöglichen, anhand eines einfachen Bluttests krankheitsbedingte Veränderungen von Zellen zu erkennen und früh zu ermitteln, in welchem Gewebe sich die Veränderung ursprünglich ereignet hat. „Was uns einzigartig macht ist, dass wir anhand unserer neuartigen Bluttests krankheitsrelevante Veränderungen in DNA-Molekülen nicht nur detektieren, sondern auch ihrem Ursprungsgewebe zuweisen wollen, indem wir gewebespezifische Modifizierungen dieser Moleküle messen. Insbesondere für die frühzeitige Erkennung und zielgerichtete Behandlung von schweren Krankheiten erwarten wir hier einen großen Mehrwert gegenüber konventionellen Tests“, betont Posch.
Bei metastasierenden Tumoren ist es beispielsweise wichtig, den sogenannten primären Tumor – also jenen Tumor, der Ausgangspunkt von Metastasen ist, die in den gesamten Körper streuen können – zu finden. So kann die Behandlung der Patient:innen bestmöglich darauf abgestimmt werden [1]. Dies ist eine der möglichen späteren Anwendungen von Aitiologics Technologie. Die neuen Tests des Jungunternehmens könnten so unter anderem zukünftig das Durchführen von onkologischen Erhebungen zum Tumorursprung über das Blut erlauben [2,3].
Es gibt auch eine Reihe anderer möglicher Anwendungen der Analyse von zell-freier DNA im Blut.
So etwa findet man zell-freie DNA auch in werdenden Müttern. Bis zu einem Fünftel der zell-freien DNA im Blut der Mutter stammt dabei von abgestorbenen Zellen der Plazenta, die sich auch aus Zellen des Embryos entwickelt. Embryonale DNA-Stücke sind schon innerhalb der ersten zehn Schwangerschaftswochen detektierbar. Dadurch lässt sich über das Blut der Mutter bereits ab diesem Zeitpunkt feststellen, ob der Embryo Trisomie 21 oder auch andere Abweichungen der Chromosomenanzahl wie Trisomie 18 und 13 oder Monosomie X hat [4,5]. Gängige Tests können allerdings nicht unterscheiden, ob ein DNA-Stück von der Mutter oder von der Plazenta, also dem Embryo, stammt. Dadurch sind sie in ihrer Auflösung limitiert.
Die Technologie von Aitiologic könnte zu einer Verbesserung der nicht-invasiven Pränatal-Diagnostik beitragen, um einerseits genetische Erkrankungen umfassend frühzeitig zu detektieren sowie andererseits auch das Risiko auf schwere Schwangerschaftskomplikationen, wie z.B. Präeklampsie vorherzusagen.
Die künstliche Intelligenz hat sich schon längst in unserem Leben etabliert. So etwa sollen uns Suchmaschinen wie Google, smarte Fitness-Tracker, Sprachassistenten und ChatGPT den Alltag vereinfachen.
Aber auch in der Forschung ist KI nicht mehr wegzudenken: Der Physik-Nobelpreis 2024 ging an zwei KI-Grundlagenforscher, und auch den Chemie-Nobelpreis 2024 erhielten die Entwickler von AlphaFold, einer KI, die die Struktur von Proteinen vorhersagen kann.
In der Medizin wird ebenfalls vermehrt auf KI gesetzt, und ihre möglichen Anwendungsbereiche werden erforscht. Aitiologic nutzt KI beispielsweise dafür, um aus großen Mengen an Daten relevante Muster zu erkennen. Diese sollen es ermöglichen, im Blut befindliche DNA-Fragmente ihrem Ursprungsgewebe zuzuweisen und dies für die Entwicklung ihrer Software zu verwenden.
„Wir suchen nach den Ursprungszellen der DNA-Moleküle im Blut, indem wir spezifische Muster messen, also die Basenabfolge der DNA und ihre chemischen Modifizierungen, sogenannte epigenetische Muster. Um diese zu erkennen, muss man Methoden des maschinellen Lernens auf große Datensätze anwenden. Nur so können wir identifizieren, welches Muster welchem Gewebe zugeordnet werden kann, und da setzen wir auch künstliche Intelligenz ein,“ erklärt Andreas Posch den Ansatz des Start-Ups.
Derzeit leben österreichweit rund 400.000 Personen mit der Diagnose Krebs. Jährlich gibt es mehr als 40.000 Neuerkrankungen und rund 21.000 Sterbefälle [6]. Bis zum Jahr 2030 dürfte die Anzahl der Neuerkrankungen auf 50.000 steigen. Das liegt an der immer älter werdenden Gesellschaft, da das Alter nun einmal der größte Risikofaktor von Krebs darstellt. Die häufigsten Krebsarten sind Brustkrebs bei Frauen und Prostatakrebs bei Männern, gefolgt von Lungen- und Darmkrebs [7].
In Österreich gibt es einige Früherkennungsprogramme, um Krebs in frühen Stadien zu diagnostizieren. Denn je früher man den Krebs erkennt, desto höher sind die Erfolgschancen einer Behandlung und desto besser können Ärzt:innen die Krebsbehandlung abstimmen.
Frauen wird empfohlen, ab dem 20. Lebensjahr einmal jährlich einen Krebsabstrich (PAP) zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs machen zu lassen. Außerdem wird Frauen ab 40 geraten, zur Mammographie zu gehen, um sich auf Brustkrebs testen zu lassen, den man noch nicht ertasten kann. Männer sollten ab dem 45. Geburtstag eine Prostatakrebs-Früherkennungsuntersuchung durchführen lassen. Unabhängig vom Geschlecht ist ratsam ab 45 alle 7-10 Jahre eine Vorsorgekoloskopie zur Darmkrebsvorsorge machen.
Besonders bei Lungenkrebs ist eine Diagnose im frühen Stadium wichtig. In Österreich werden aber fast die Hälfte der Krankheitsfälle erst in späteren Stadien entdeckt und sind dann meist nicht mehr heilbar [8].
Weitere Informationen zu Früherkennungsprogrammen und Empfehlungen sind auf der Seite der Österreichischen Krebshilfe zu finden.
Auch die neuen Tests von Aitiologic könnten zukünftig einen wichtigen Beitrag leisten, um Krebs früher zu erkennen.
Aktuell baut Aitiologic seine spezielle Software-Plattform für die Dateninterpretation sowie ein DNA-Analyselabor auf und arbeitet an ersten Machbarkeitsstudien. Als mögliche erste Anwendungen werden derzeit vor allem sowohl nicht-invasive Pränataldiagnostik als auch Krebsdiagnostik geplant. Ziel ist es, in einer dieser Anwendungen einen passenden Test zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Üblicherweise dauert es bis zum Markteintritt mehrere Jahre, somit ist hier noch Geduld gefragt – sowohl bei den Entwickler:innen als auch den Anwender:innen.
Quellen:
BIOCOM transkript: Siemens-Spinoff Aitiologic gründet in Wien, 2.10.2024
as, 20.12.2024
[1] Laprovitera N., Riefolo M., Ambrosini E., Klec C., Pichler M. and Ferracin M.: Cancer of Unknown Primary: Challenges and Progress in Clinical Management. Cancers (Basel). 2021;13(3):451. Published 2021 Jan 25. doi:10.3390/cancers13030451
[2] LISAvienna: Aitiologic emerges from stealth mode with over €2.5.M in funding to advance AI-powered Liquid Biopsy PLatform for early disease detection, vom 01.10.2024. Abgerufen am 17.12.2024
[3] Grace MR, Hardisty E., Dotters-Katz SK, Vora NL and Kuller JA: Cell-Free DNA Screening: Complexities and Challenges of Clinical Implementation. Obstet Gynecol Surv. 2016 Aug;71(8):477-87. doi: 10.1097/OGX.0000000000000342. PMID: 27526871; PMCID: PMC5548289.
[4] Norton ME, Jacobsson B., Swamy GK, Laurent LC, Ranzini AC, Brar H., Tomlinson MW, Pereira L., Spitz JL, Hollemon D., Cuckle H., Musci TJ and Wapner RJ: Cell-free DNA analysis for noninvasive examination of trisomy. N Engl J Med. 2015 Apr 23;372(17):1589-97. doi: 10.1056/NEJMoa1407349. Epub 2015 Apr 1. PMID: 25830321.
[5] Liu X., Liu S, Wang H. and Hu T.: Potentials and challenges of chromosomal microarray analysis in prenatal diagnosis. Front Genet. 2022 Jul 26;13:938183. doi: 10.3389/fgene.2022.938183. PMID: 35957681; PMCID: PMC9360565.
[6] Österreichische Krebshilfe, Krebsneuerkrankungen und Sterblichkeit in Österreich. Abgerufen am 17.12.2024
[7] Pressemitteilung Statistik Austria, Zahl der Krebskranken steigt bis 2030 um 15%. Abgerufen am 17.12.2024
[8] Science-ORF Beitrag vom 06.11.2024, Lungenkrebsstudie spricht für Früherkennung. Abgerufen am 17.12.2024