Der Mensch ist dicht mit Mikroorganismen besiedelt, von denen die meisten ihm nicht schaden und viele für ihn sogar lebensnotwendig sind. Manche Mikroben, so genannte Pathogene, können jedoch teils schwere Erkrankungen hervorrufen. Viele bakterielle Erkrankungen können mit Antibiotika bekämpft werden. Mikroorganismen entwickeln allerdings immer häufiger Resistenzen gegen Antibiotika, sodass diese nicht mehr wirksam gegen Krankheiten eingesetzt werden können. Wir beschreiben hier, warum der Mensch seine Mikroorganismen braucht, was Antibiotika sind, wie sie wirken und welche Alternativen es zur Bekämpfung von Pathogenen gibt.
Alle Pflanzen und Tiere auf unserem Planeten leben in Symbiose mit Mikroorganismen. Diese winzig kleinen, ohne Mikroskop meist nicht sichtbaren Kleinstlebewesen werden auch als Mikroben bezeichnet. Zu ihnen zählen Bakterien, Archaeen (Archaea, früher auch als Archaebakterien bezeichnet) und und Protisten (eukaryotische Einzeller, die keine Pflanzen, Tiere oder Pilze sind) sowie Pilzen und Algen. Obwohl sie keine Lebewesen sind, werden Viren heute meist auch den Mikroorganismen zugerechnet [1], wobei dies in der Fachwelt immer wieder kritisch diskutiert wird.
Auch der Mensch ist innen und außen dicht mit Mikroorganismen besiedelt. Viele Billionen mikrobieller Mitbewohner sind mit einem einzigen Menschen assoziiert, man spricht vom humanen Mikrobiom. Dieses verteilt sich auf die Haut und die Schleimhäute, den Verdauungstrakt, den Urogenital-Trakt sowie den respiratorischen Trakt des Menschen. Die meisten Bakterien befinden sich beim Menschen als so genannte „Darmflora“ im Darm – genauer gesagt im Dickdarm. Dort kommen in einem Menschen rund 100 Billionen Mikroorganismen vor, die sich Schätzungen zufolge aus rund 1000 verschiedenen Arten zusammensetzen [2].
Der Begriff Mikroorganismen ist oft negativ behaftet und wird häufig mit Lebensmittelverderb, Krankheiten oder Infektionen assoziiert. Tatsache ist jedoch, dass die meisten Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln, nicht schädlich sind, sondern einen wertvollen Beitrag zu unserer Gesundheit und unserem Wohlbefinden leisten. Manche sind sogar lebensnotwendig für uns. Da auch die Mikroorganismen vom Menschen profitieren, bringt diese Symbiose für beide Seiten einen Vorteil. Das menschliche Mikrobiom spielt eine Schlüsselfunktion bei wichtigen Prozessen in unserem Körper: So etwa bilden Bakterien auf der Haut einen Schutzmantel, der uns hilft, Krankheitserreger abzuwehren. Mikroorganismen sind außerdem wichtig für eine gesunde Entwicklung von Immunsystem, Gehirn und Kreislauf. Und im Darm helfen unsere kleinen Mitbewohner unter anderem bei der Verwertung unserer Nahrung und stellen wichtige Nährstoffe wie etwa Vitamine her [3]. In seltenen Fällen breiten sich nützliche Bakterien an der falschen Stelle im Körper aus und können auch Krankheiten hervorrufen. So etwa kann es zu Magen-Darm-Beschwerden kommen, wenn sich bei einer so genannten Dünndarmfehlbesiedelung Bakterien aus dem Dickdarm vermehrt im Dünndarm ansiedeln.
Neben den vielen harmlosen Vertretern gibt aber es auch einige Mikroorganismen, die beim Menschen schwere Erkrankung hervorrufen können. Menschliche Krankheitserreger – so genannte Pathogene – machen jedoch weniger als ein Prozent der Gesamtzahl der Mikroorganismen auf unserem Planeten aus [4]. Prinzipiell muss man hier zwischen Bakterien, Viren und Pilzen unterscheiden. Zu den häufig durch Bakterien hervorgerufenen Erkrankungen zählen beispielsweise Lungen- oder Hirnhautentzündungen sowie Harnwegsinfekte, diese können aber auch durch Viren verursacht werde. Scharlach, Keuchhusten und Tuberkulose hingegen sind immer bakteriellen Ursprungs [5]. Für Erkältungskrankheiten, Grippe, aber auch HIV/AIDS oder COVID-19 wiederum sind immer Viren verantwortlich.
In einem gesunden Menschen füllt das Mikrobiom viele Nischen im Körper aus und erschwert es Krankheitserregern so, sich auszubreiten. Damit haben die Mikroorganismen in unserem Körper auch eine wichtige Schutzfunktion.
Seit den 1940er Jahren stehen uns Antibiotika als Medikamente gegen schwere bakterielle Infektionen zur Verfügung und haben seither Millionen von Menschen das Leben gerettet. Um bakterielle Infektionen zu behandeln, werden heute meist Antibiotika eingesetzt. Bei Erkrankungen, die durch Viren hervorgerufen werden, helfen diese Arzneimittel nicht.
Das erste antimikrobielle Arzneimittel wurde vom deutschen Arzt Paul Ehrlich entwickelt. Gemeinsam mit dem deutschen Chemiker Alfred Bertheim und seinem japanischen Mitarbeiter Sahachiro synthetisierte er im Jahr 1909 unzählige Arsenverbindungen und testet diese auf ihre Wirkung gegen die bakteriellen Erreger von Syphilis. Mit der 606. Verbindung, dem Arsenobenzol, hatten die Forscher im Tierversuch Erfolg. Arsenobenzol wurde danach auch bei Menschen erfolgreich zur Behandlung von Syphilis eingesetzt. An dieser durch das Bakterium Trepomena pallidum verursachten sexuell übertragbaren und hoch ansteckenden Krankheit verstarben damals unzählige Menschen. Die Behandlung mit Arsenobenzol war zwar noch immer mit Nebenwirkungen verbunden, diese waren allerdings nicht mehr vergleichbar mit jenen von zuvor angewandten Arsenverbindungen, die unter anderem zu Erblindung geführt hatten. Somit stellte Arsenobenzol das erste gezielt wirkende Chemotherapeutikum – also eine Substanz, die eine möglichst selektive toxische Wirkung auf Mikroorganismen hat – dar. Im Jahr 1910 kam das Präparat unter dem Markennamen Salvarsan („heilendes Arsen“) auf den Markt. Das heute auch als Arsphenamin bekannte erste Antibiotikum eröffnete eine neue Ära der Therapie infektiöser Krankheiten. Bei der Produktion von Salvarsan kam es gelegentlich zu toxischen Verunreinigungen. Wenige Jahrzehnte später wurde dieses Medikament daher durch das sicherere Penicillin ersetzt, welches von vielen auch als das eigentlich erste Antibiotikum angesehen wird.
Penicillin wurde 1928, also erst rund zwei Jahrzehnte später als Salvarsan, entwickelt: Der britische Bakteriologe Alexander Fleming entdeckte durch Zufall, dass Schimmelpilze Penicillin produzieren. In einer unsauberen Petrischale, in der er Bakterien kultivierte, bildete sich Schimmel. Fleming beobachtete, dass sich in dessen Umgebung die Bakterien nicht mehr vermehrten. Aus dem Nährboden konnte er den neuartigen bakterientötenden Stoff isolieren und nannte ihn Penicillin. Dieses Antibiotikum wurde im Jahr 1941 erstmals gegen eine lebensgefährliche Infektion mit Bakterien eingesetzt. Die Massenproduktion von Penicillin startete im Jahr 1943, und im weiteren Verlauf der Geschichte bewahrte dieses Antibiotikum viele Menschen vor gefürchteten Krankheiten wie Wundbrand, Blutvergiftung, Tripper oder Diphtherie. Die Einführung der Antibiotika zählt zu den bedeutendsten Fortschritten der Medizin im 20. Jahrhundert und hat bis heute Millionen an Menschenleben gerettet [5].
Die Herstellung von Antibiotika war schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein aufwendiger Prozess und ist es auch heute noch: Teilweise werden diese Naturstoffe aus Mikroorganismen wie Bakterien und Pilzen gewonnen, die im großen Maßstab kultiviert werden, sie werden heute aber auch künstlich hergestellt [6].
Eine Einteilung der Antibiotika kann nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen.
So etwa können nach ihrer Wirkungsweise bakteriozide Antibiotika, die Bakterien vollständig abtöten, von bakteriostatischen Antibiotika unterschieden werden, die deren Vermehrung verhindern und so ihre Eliminierung durch die körpereigene Abwehr erleichtern [7].
Auch anhand ihrer Spezifität können Antibiotika eingeteilt werden. So wirken Breitband- oder Breitspektrum-Antibiotika gegen viele verschiedene Bakterienarten, wohingegen spezifische Schmalspektrum-Antibiotika speziell gegen bestimmte Erreger oder Bakterienklassen eingesetzt werden.
Nimmt man eine Einteilung anhand ihrer chemischen Struktur vor, sind mehrere verschiedene (Super)Klassen von Antibiotika bekannt [8]: Polyketide (PKs), nichtribosomale Peptide (NRPs), Aminoglycoside sowie ribosomal produzierte und post-translational modifizierte Peptide (RiPPs).
Auch nach dem Ort ihrer Wirkung in den Bakterien-Zellen können Antibiotika klassifiziert werden. Meist hemmen diese einen Stoffwechselweg oder zerstören eine Struktur: Antibiotika können in die Synthese oder Stabilität der Zellwand und Plasmamembran, die Proteinbiosynthese an den Ribosomen, die bakteriellen Nukleinsäuren (DNA-Replikation, Transkription) und auch in den Stoffwechsel eingreifen. Unterschiedliche Antibiotika können dabei die gleichen Ziele in der Bakterienzelle haben.
Antibiotika sind Stoffe, die in der Natur vorkommen und von verschiedensten Mikroorganismen produziert werden. Sie töten Bakterien in ihrer Umgebung ab oder hindern deren Wachstum und sind so ein gutes Mittel im Kampf um Lebensraum. In unserer Umwelt kommt das Phänomen der bakteriellen Resistenzentwicklung gegen Antibiotika auf natürlichem Weg laufend vor und existierte schon lange, bevor der Mensch diese überhaupt entdeckte und begann, sie für sich zu nutzen [8].
Erklären lässt sich dies so: Bakterien sind Lebewesen, die sich sehr schnell teilen und ihre DNA daher auch häufig verdoppeln. Beim Vervielfältigen der DNA treten mit einer bestimmten Häufigkeit Fehler (Mutationen) auf, die manchmal zu neuen Eigenschaften führen. So können Bakterien unter anderem die Fähigkeit erlangen, unempfindlich gegenüber einem Antibiotikum zu werden. Man spricht in so einem Fall dann vom Auftreten einer Antibiotikaresistenz. Die Information dafür ist in der DNA der Bakterien in so genannten Resistenzgenen gespeichert.
Im Laufe der Zeit haben Bakterien durch Mutationen verschiedene „Tricks“ entwickelt, um sich vor Antibiotika zu schützen. Einige Bakterien etwa können diese Arzneimittel aktiv aus ihrer Zelle pumpen, sodass deren Wirkstoffkonzentration sinkt und ihnen nicht mehr schaden kann. Andere produzieren spezielle Proteine, welche wie eine molekulare Schere Antibiotika-Moleküle zerschneiden oder andersartig inaktivieren. Oftmals wird die Resistenz auch durch Mutationen in den Genen der Angriffsziele der Antibiotika erreicht. So wurden zum Beispiel vor kurzem Bakterien entdeckt, die ihre Ribosomen – die „Proteinfabriken“ der Zelle – verändern, um Antibiotika auszuweichen [8].
Welche Strategie auch immer einer Antibiotikaresistenz zugrunde liegt, eines ist immer gleich: Erweist sich eine neu erworbene Eigenschaft als vorteilhaft zum Überleben in der Umwelt, setzt sie sich durch. Antibiotikaresistente Bakterien überleben eine Antibiotikagabe und vermehren sich weiter, während empfindliche abgetötet werden. Das Resistenz-Gen, das der speziellen Fähigkeit zum Entkommen vor dem Antibiotikum zugrunde liegt, wird bei der Teilung von den Bakterienzellen an die Folgezellen weitervererbt. So konnten sich im Laufe der Evolution die Resistenz-Gene von Bakterien etablieren.
Haben Bakterien erst einmal eine bestimmte Resistenz erlangt, nutzen sie außerdem einen gefinkelten Weg, um diese auch an andere Bakterien weiterzugeben: Den so genannten horizontalen Gentransfer [9,10]. Dabei wird genetische Information nicht entlang der Abstammungslinie eines Organismus (also vertikal) weitergegeben, sondern horizontal ausgetauscht – also von einem Organismus auf einen bereits existierenden anderen weitergegeben. Gene können so durch die Bildung einer „Schleuse“ direkt zwischen zwei Bakterienzellen ausgetauscht werden. Dieser Prozess ist unabhängig von bestehenden Artengrenzen, und Gene können sowohl zwischen Bakterien derselben als auch unterschiedlicher Arten ausgetauscht werden. Der horizontale Gentransfer treibt die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzgenen unter Bakterien und somit die Evolution von Krankheitserregern voran.
Aber auch Bakteriophagen – das sind Viren, die Bakterien befallen – transportieren (Resistenz-)Gene von einer Zelle zur anderen. Bakterien können außerdem aus ihrer Umgebung auch freie DNA, die durch Tod oder Abbauprozesse natürlicherweise freigesetzt wurde, direkt aufnehmen [9,10].
Aktuell ist weltweit ein alarmierender Anstieg von antimikrobiellen Resistenzen (AMR) zu verzeichnen, der auch als „schleichende Pandemie“ bezeichnet wird. Von AMR spricht man dann, wenn Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten nicht mehr auf vorhandene Medikamente ansprechen. Antibiotikaresistente Bakterien kommen heute in Menschen, Tieren und der Umwelt vor, und Resistenzen können zwischen ihnen übertragen werden [10]. Gründe für das gehäufte Auftreten von Antibiotikaresistenzen sind vor allem der nicht fachgerechte und übermäßige Einsatz von Antibiotika bei Menschen und Nutztieren [11-14].
Patient:innen werden teilweise von ihrem Arzt/ ihrer Ärztin vorschnell und unnötig Antibiotika verschrieben. In Österreich unterliegen Antibiotika der Verschreibungspflicht, in manchen Ländern sind sie jedoch nicht rezeptpflichtig. Teilweise besorgen sich Kranke diese Arzneimittel auch eigenmächtig, und in vielen Fällen erfolgt die Einnahme der Antibiotika nicht nach ärztlicher Anweisung – beispielsweise werden sie vor der verordneten Zeit abgesetzt. Laut WHO erwirbt jeder Dritte Antibiotika ohne Rezept oder verwendet solche, die von einer früheren Verordnung übrig waren [15]. Manchmal kommen Antibiotika auch fälschlicherweise bei viralen Infekten, die sie gar nicht bekämpfen können, zum Einsatz. Eine Einnahme ist nur dann sinnvoll, wenn zur virusbedingten Erkältung auch noch eine bakterielle Infektion hinzukommt. All das fördert die Entstehung von Resistenzen.
Des Weiteren kommen aus praktischen Gründen häufig Breitband- anstatt spezifischerer Schmalspektrum-Antibiotika zum Einsatz. Dies gibt gleich mehreren verschiedenen Bakterienarten die Möglichkeit zur Resistenzbildung und schränkt in weiterer Folge die zur Verfügung stehende Antibiotika-Palette zur Anwendung ein.
In Krankenhäusern kommen insbesondere Menschen mit einem schwachen Immunsystem, mit Autoimmunerkrankungen, Kinder mit einer unreifen Immunabwehr und Menschen mit schwächerem Immunsystem zusammen. Sie sind alle anfällig für Infektionen mit Keimen, die hier häufig zu finden sind – so genannte Krankenhauskeime. Diese werden mit Antibiotika bekämpft und entwickeln mit einer bestimmten Häufigkeit Resistenzen dagegen. Aufgrund der vielen Infektionen und hohen Anzahl an Keimen gibt es in Krankenhäusern die Problematik der Entwicklung von multiresistenten Erregern (MRE): Diese sind gleich gegen mehrere verschiedene Antibiotika resistent, und herkömmliche Antibiotika können nicht zu deren Bekämpfung eingesetzt werden. MRE sind somit lebensbedrohlich [16].
Auch die Massentierhaltung trägt zum Entstehen von Antibiotikaresistenzen bei: Im Krankheitsfall werden in Mastställen alle Tiere behandelt, da es schwierig bis unmöglich ist, die erkrankten Tiere ausfindig zu machen und einzeln zu behandeln. So kommt es zur großflächigen Anwendung von Antibiotika, die durch die Ausscheidungen der Tiere ins Ab- und Grundwasser und in weiterer Folge auch in Flüsse, Seen und ins Meer gelangen. Dadurch können sich dort antibiotikaresistente Mikroben vermehren, mit denen auch Menschen in Kontakt kommen und die auch Menschen infizieren können [11-14].
Antibiotika sollten daher nur wohlüberlegt und bei Notwendigkeit eingesetzt werden. Abgesehen von der Resistenzentwicklung gibt es ein weiteres Argument gegen eine zu häufige oder unüberlegte Einnahme von Antibiotika: Antibiotika wirken nicht nur gegen die krankmachenden Erreger, sondern schädigen bzw. töten auch viele gute und wichtige Bakterien des menschlichen Mikrobioms. Im Fall einer (nötigen) Antibiotikagabe sollte daher nach der Behandlung das Mikrobiom wieder aufgebaut werden. Dies kann durch eine ausgewogene, bakterienfreundliche Ernährung erfolgen. Auch die Einnahme von Probiotika – Produkten, die spezielle Bakterienkulturen enthalten – wird öfters empfohlen. Da Antibiotika Bakterien abtöten oder an ihrer Vermehrung hindern, wird bei gleichzeitiger Einnahme von Antibiotika und Probiotika das Mikrobiom allerdings nicht unterstützt.
Ob bestimmte Antibiotika wirken oder nicht bzw. welche Konzentration für eine Behandlung mindestens eingesetzt werden sollte, kann unter anderem mithilfe eines so genannten Antibiogramms ausgetestet werden. Bei dieser mikrobiologischen Labormethode werden zunächst Bakterien durch Anzucht vermehrt, und anschließend wird die Wirksamkeit unterschiedlicher Antibiotika gegen die Bakterien ausgetestet. Diese Art der Antibiotika-Resistenzbestimmung informiert darüber, gegen welche Antibiotika ein bestimmter bakterieller Krankheitserreger resistent bzw. sensibel ist.
Antibiogramme werden vor allem bei Patient:innen an Orten eingesetzt, an denen häufig antibiotikaresistente Keime auftreten. Dazu zählen beispielsweise Krankenhäuser oder Pflegeheime. In Krankenhäusern werden Antibiogramme beispielsweise dazu eingesetzt, um passende Antibiotika bei multiresistenten Erregern zu finden. In der epidemiologischen Überwachung wird neben Antibiogrammen auch die Ganzgenomsequenzierung als Tool bei multiresistenten Erregern eingesetzt.
Mehr als hundert Jahre nach der Entdeckung der Antibiotika wird diese Wunderwaffe stumpf, und bakterielle Infektionen sind wieder zu einem Problem geworden. Grund dafür ist ein Anstieg der Antibiotikaresistenzen und die damit verbundene Gefährdung der Wirksamkeit dieser Arzneimittel [13, 17].
Bereits seit den 1990er-Jahren wird weltweit eine Zunahme an Todesfällen, die auf Antibiotikaresistenzen zurückzuführen sind, verzeichnet. Im Jahr 2019 starben schätzungsweise 1,27 Millionen Menschen weltweit unmittelbar an einer Infektion mit einem antibiotikaresistenten Erreger. Zumindest mitverantwortlich war eine solche Infektion bei rund fünf Millionen Todesfällen [18]. Bei den Schätzungen für die Zukunft gehen die Zahlen weit auseinander: So etwa wird in einer vielzitierten Quelle von rund 10 Millionen Menschen ausgegangen, die bis zum Jahr 2050 an antibiotikaresistenten Infektionen sterben werden. Dies wird der Weltwirtschaft im gleichen Zeitraum insgesamt 100 Billionen US-Dollar kosten [19]. Andere Prognosen sagen voraus, dass jedes Jahr rund 2 Millionen Menschen – die Mehrheit über 70 Jahre alt – an arzneimittelresistenten Infektionen sterben werden und es bis 2050 mehr als 39 Millionen Tote durch Antibiotikaresistenzen geben wird [20]. Die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen stellt somit eine der größten Gesundheitsbedrohungen unserer Zeit dar, und mittlerweile spricht man von einer Antibiotikaresistenz-Krise.
Es gibt dabei folgendes Dilemma: Antibiotikaresistenzen entwickeln sich relativ rasch, und es würden dringend neue Antibiotika benötigt werden. Doch die Entwicklung dieser Arzneimittel ist sehr zeit- und geldintensiv und wird streng reglementiert. Da es außerdem nach der Markteinführung häufig zu Resistenzbildungen kommt, ist der wirtschaftliche Anreiz für die Pharmabranche hier gering. Abgesehen davon sind die Angriffsziele dieser Arzneimittel in Bakterienzellen relativ limitiert, was die Entwicklung neuer Medikamente dieser Wirkungsklasse prinzipiell schon einmal erschwert. Tatsache ist also: Es mangelt mittlerweile an neuen Antibiotika, weil immer mehr Resistenzen gegen bestehende Antibiotika entstehen und von den Pharmafirmen wenig Neues nachgeliefert wird.
Das Auftreten multiresistenter Erreger in Krankenhäusern ist aktuell eine besondere Herausforderung, da es sehr schwierig ist, diese zu bekämpfen. Vor allem Personen mit einem erhöhten Risiko für Infektionen sind dadurch gefährdet. Dazu zählen insbesondere Menschen mit einem schwachen Immunsystem, mit Autoimmunerkrankungen, Kinder mit einer unreifen Immunabwehr und ältere Menschen, bei denen das Immunsystem nachlässt. Auch Organtransplantierte, Krebspatient:innen während einer Chemotherapie, Diabetiker:innen und Patient:innen, bei denen eine Operation durchgeführt wird, stellen Risikogruppen dar.
Versagen die gängigen Antibiotika beim Kampf gegen bakterielle Infektionen oder muss bei sehr schweren Infektionen eine Wirkung gesichert sein, kann auf so genannte Reserveantibiotika zurückgegriffen werden. Diese haben oft starke Nebenwirkungen und werden im Regelfall nicht verschrieben. Sie werden unter anderem auch bei Infektionen mit multiresistenten Bakterien eingesetzt. Um die Bildung von Resistenzen zu vermeiden, sollte ein Reserveantibiotikum bei einfachen Infektionen nicht verordnet werden.
Ein Ausweg aus der Krise ist aktuell noch nicht in Sicht. Prinzipiell kann die Entstehung von antibiotikaresistenten Bakterien auch nicht verhindert werden, man kann sie höchstens verlangsamen. Doch selbst das ist bei dem (zu) häufigen und oft missbräuchlichen Einsatz von Antibiotika schwierig. Antibiotikaresistenzen haben sich somit zu einer der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit entwickelt.
Das Auftreten von Antibiotikaresistenzen wird auf internationalem Level von der World Health Organisation (WHO) und dem European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) genau überwacht, erfasst und analysiert. Eine laufend aktualisierte Liste der WHO führt die wichtigsten antibiotikaresistenten Bakterien auf und teilt diese in kritische, hohe und mittlere Dringlichkeiten ein. Sie dient als Leitlinie für die Entwicklung neuer und notwendiger Maßnahmen, um die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen zu stoppen [21].
Dabei steht Österreich im internationalen Vergleich gut da: Laut ECDC-Schätzung starben im Jahr 2020 hierzulande 266 Personen durch Antibiotika-Resistenzen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern wurde in Österreich von 2016 bis 2020 außerdem ein signifikanter Rückgang der Infektionen mit antibiotika-resistenten Bakterien verzeichnet [22]. Gründe hierfür sind unter anderem die Rezeptpflicht für Antibiotika in Österreich sowie gezielte Ausbildungsprogramme von Krankenhauspersonal, um einen angemessenen Einsatz von Antibiotika zu gewährleisten. In Österreich haben die nationalen Referenzlaboratorien für Antibiotikaresistenz der AGES die Aufgabe, landesweit das Auftreten von Antibiotikaresistenzen zu überwachen.
Die Suche nach neuen Antibiotika stellt heute einen wichtigen Forschungsbereich dar, und für die Entwicklung neuer Antibiotika gibt es viele verschiedene Ansätze. Unter anderem wird an so genannten kryptischen oder stillen Antibiotika geforscht, die auf folgender Tatsache beruhen: Viele Gene in Mikroorganismen sind unter den Kulturbedingungen im Labor nicht aktiv, und die in ihnen enthaltene Information wird nicht abgelesen. Sie sind still („kryptisch“). Bestimmte Metaboliten und Umweltsignale können diese Gene jedoch unter Umständen aktivieren. So wird etwa aktuell untersucht, ob die Co-Kultur mit anderen Mikroben – was auch das Wachstum unter natürlichen Bedingungen besser widerspiegelt – die Gene für kryptische Antibiotika aktivieren kann. Man hofft, so neue Antibiotika zur Bekämpfung bakterieller Infektionen zu finden.
Es gibt mittlerweile auch neue Ansätze, um bakterielle Infektionen mit anderen Mitteln als Antibiotika zu bekämpfen. Beispielsweise konnte gegen Pseudomonas aeruginosa, einen der häufigsten Krankenhaus-Keime, eine neue Wirkstoffklasse im Mausmodell bereits gute Erfolge erzielen: Durch den Einsatz von Inhibitoren konnte gezielt die Kommunikation zwischen den Pathogenen gestört werden, was in weiterer Folge auch ihre krankmachenden Eigenschaften ausschaltete. Eine Resistenzbildung gegen solche Arzneimittel wäre unwahrscheinlich, da die Bakterien dadurch nicht abgetötet oder gehemmt werden [23].
Auch die Phagentherapie stellt im Kampf gegen bakterielle Infektionen eine Alternative zu Antibiotika dar und wird in manchen Ländern schon seit langem erfolgreich angewendet.
Doch auch wenn neue Antibiotika entdeckt werden und auf den Markt kommen, ist eines klar: Der Einsatz von Antibiotika muss dringend neu überdacht und reduziert werden, wenn der Mensch das „Wettrüsten“ mit den Mikroorganismen gewinnen möchte.
Jede/r Einzelne kann etwas gegen die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen beitragen.
So etwa sollten Antibiotika nur in der Apotheke erworben werden, und die Einnahmehinweise des Arztes/der Ärztin sollten strikt befolgt werden. Antibiotika sollten niemals weitergegeben werden und nicht im Hausmüll oder im Klo entsorgt werden, wo sie ins Abwasser gelangen.
Auch der One Health Ansatz, der darauf basiert, dass die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt eng miteinander in Verbindung stehen, hat in diesem Zusammenhang eine wichtige Bedeutung: Ein Verzicht auf Fleisch und tierische Produkte aus Massentierhaltung kann den Kampf gegen die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen ebenfalls unterstützen.
Impfungen gegen bestimmte Krankheitserreger sowie das Einhalten von Hygienestandards können Infektionen ebenfalls verbeugen. Dies kann den Antibiotikaeinsatz verringern und daher auch gegen die Ausbreitung antimikrobieller Resistenzen helfen.
Wir möchten uns recht herzlich bei Univ.-Prof. Dr. Alexander Loy (Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien) und Univ.-Prof. Dr. Thomas Böttcher (Fakultät für Chemie der Universität Wien) für die Unterstützung beim Erstellen dieses Beitrages bedanken!
as, 12.12.2024
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