Das Wiener Jungunternehmen Cutanos tüftelt an einem molekularen Zustellsystem, das Antigene gezielt an spezielle Immunzellen in der Haut liefert. Die neue Technologie könnte zukünftig für Impfungen sowie bei Autoimmunerkrankungen zum Einsatz kommen.
Das Immunsystem schützt unseren Körper vor Eindringlingen wie Bakterien, Viren und anderen Gefahren von außen. Gleichzeitig entfernt es aber auch veränderte eigene Zellen, die zur Bedrohung werden könnten. Das Immunsystem des Menschen setzt sich aus verschiedenen Organen, Zelltypen, Boten- und Abwehrstoffen zusammen. Dabei erfüllen die verschiedenen Immunzellen zwar unterschiedliche Aufgaben, arbeiten aber meist eng zusammen.
Bei der Immunabwehr spielen unter anderem die so genannten dendritischen Zellen (engl.: dendritic cells, DCs) eine zentrale Rolle. Sie zählen zu den weißen Blutkörperchen und kommen in vielen Organen und Geweben vor. Diese hochspezialisierten Abwehrzellen haben zwei zentrale Aufgaben: Einerseits erkennen DCs Erreger und bekämpfen diese, andererseits sind sie wichtig für die Etablierung von Toleranz gegenüber körpereigenen Strukturen und schützen uns so vor Autoimmunerkrankungen.
DCs sind überall im menschlichen Körper dort zu finden, wo Kontakt zur Außenwelt besteht – also in den Schleimhäuten von Nase, Mund, Rachen, Speiseröhre, Vagina, Darm und Atemorganen sowie in der Haut. Schaffen es Pathogene wie Bakterien oder Viren, diese natürlichen Barrieren zu durchdringen, sind diese Zellen zur Stelle: Sie sind ständig dabei, ihre Umgebung zu überprüfen, und sobald sie Endringlinge bemerken, nehmen sie diese in ihr Zellinneres auf – ein als Phagozytose bezeichneter Prozess. Die Krankheitserreger werden im Inneren der DCs durch spezielle Stoffe zersetzt und somit unschädlich gemacht. Die DCs präsentieren anschließend kleine Stücke des Erregers – die Antigene – an ihrer Oberfläche. Um auch weitere Immunzellen auf die Gefahr hinzuweisen und sie zur Unterstützung anzulernen, interagieren DCs mit anderen Immunzellen z.B. in den Lymphknoten. Die auch als „Wächter des Immunsystems“ bezeichneten DCs sind somit für eine effektive Immunantwort gegen Mikroben verantwortlich [1].
Dendritische Zellen spielen aber auch eine wichtige Rolle bei der Toleranzvermittlung: Um zu verhindern, dass das Immunsystem körpereigene Strukturen angreift, müssen selbstreaktive T-Zellen erkannt und eliminiert werden. Dieser Selektionsprozess findet mithilfe der DCs statt, indem diese körpereigenen Strukturen an ihrer Oberfläche präsentieren. Mithilfe der DCs wird sichergestellt, dass es zu keiner Immunreaktion gegen Strukturen von körpereigenen Zellen kommt und dadurch keine Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Multiple Sklerose (MS) ausgelöst werden [2].
Es gibt verschiedene Typen von DCs, von denen die so genannten Langerhans-Zellen (engl.: Langerhans cells, LCs) in der obersten Schicht der Haut und Schleimhäute zu finden sind [2]. Das 2021 gegründete Biotechunternehmen Cutanos möchte sich nun LCs zunutze machen, um antivirale Impfstoffe sowie Therapien gegen Autoimmunkrankheiten zu entwickeln.
Mit einem ausgeklügelten molekularen Zustellsystem möchte das Wiener Start-up das Problem lösen, dass bestimmte Wirkstoffe – wie beispielsweise Antigene bei Impfungen – oft nicht zielgenau zugestellt werden können. In vielen Fällen gelangen diese nicht direkt zu den Zellen, die sie aufnehmen sollen, weshalb bei medizinischen Anwendungen mitunter auch hohe Dosen verabreicht werden müssen.
Das Prinzip der Problemlösung von Cutanos klingt simpel: Die beiden Firmengründer Christoph Rademacher, Professor für Molecular Drug Targeting an der Universität Wien, und sein langjähriger Postdoc Robert Wawrzinek haben ein Molekül (Ligand) entwickelt, das wie ein Adressaufkleber funktioniert und nur von LCs erkannt wird. Dieses soll nun für die gezielte Lieferung verschiedener Moleküle und Wirkstoffe an die LCs in der Haut genutzt werden. Für diesen „molekularen Adressaufkleber“ war jahrelange Arbeit am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam (Deutschland) nötig, von dem die neue Technologie auch patentiert wurde.
Werden Trägermaterialien, wie beispielsweise Liposomen oder Proteine mit diesem Liganden versehen, geht das „Päckchen“ gezielt nur an LCs und an keine anderen Zellen. Dies ist einerseits wichtig, da genau diese Zellen das Antigen aufnehmen und nach ihrem Auswandern aus der Haut an T-Zellen in den Lymphknoten präsentieren kann. Andererseits kann durch das gezielte Ausliefern an die LCs als Zielzellen bei der Menge an Antigen und seiner Verpackung gespart werden.
Das als Langerhans Cell Targeted Delivery System (LC-TDS) bezeichnete selektive Zustellsystem von Cutanos unterscheidet sich von anderen Technologien durch seinen modulartigen Aufbau: Ein LC-spezifischer Ligand kann im Baukastensystem an ein Vehikel (z.B. Lipid-basierte Nanopartikel für mRNAs) oder auch direkt ans Protein-Antigen gebunden werden (siehe Abbildung 1).
Das modulare Transportsystem kann an verschiedene Anwendungen adaptiert und mit ihnen kombiniert werden und erlaubt hohe Kompatibilität mit anderen Technologien. Durch den Einsatz des LC-TDS sollen außerdem geringere Antigendosen zur Beeinflussung des Immunsystems nötig sein und nicht erwünschte Immunreaktionen verhindert werden. Darüber hinaus ermöglicht dieses innovative Zustellsystem die schmerzfreie Verabreichung von Antigenen mittels Mikronadeln, da die LCs sich in der obersten Schicht der menschlichen Haut befinden. Zusätzlich könnten Antigene, beispielsweise in Form einer Creme auf die Haut aufgetragen werden. Dies eröffnet die Möglichkeit für einen neuartigen Ansatz zur "nadelfreien" Impfung.
Die neue Cutanos-Technologie könnte in Zukunft vielseitig einsetzbar sein: Je nachdem, ob dadurch das Immunsystem aktiviert oder Toleranz induziert wird, sind verschiedene Anwendungen denkbar. Im Fall einer Immunaktivierung könnte das LC-spezifische Liefersystem durch die Aktivierung von B- und T-Zellen beispielsweise antivirale Impfstoffe oder Krebstherapien ermöglichen (siehe Abbildung 2).
Wird mithilfe des modularen Transportsystems von Cutanos hingegen Toleranz induziert, könnten auf dieser Basis auch Therapien für Autoimmunerkrankungen oder Allergien entwickelt werden.
Das Team von Cutanos tüftelt aktuell in den Räumlichkeiten der Universität Wien mit seiner vielversprechenden Technologie an internen Projekten und Kooperationen mit Pharmapartnern. Es wird gegenwärtig durch ein internationales Investorenkonsortium, Förderungen durch AWS und FFG, sowie einen Pfizer ESF Grant finanziert. Langfristig möchte sich das junge österreichische Start-Up-Unternehmen als Partner für die Entwicklung von innovativen Immuntherapien und für globale Impfkampagnen etablieren.
as, 27.09.2023
[2] Takenaka MC and Quintana FJ. Tolerogenic dendritic cells. Semin Immunopathol. 2017 Feb;39(2):113-120. doi: 10.1007/s00281-016-0587-8. Epub 2016 Sep 19. PMID: 27646959; PMCID: PMC5296314.
[3] Brand A., Hovav AH and Clausen BE: Langerhans cells in the skin and oral mucosa: Brothers in arms? Eur J Immunol. 2023 Jul;53(7):e2149499. doi: 10.1002/eji.202149499. Epub 2023 May 31. PMID: 36811456.
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