Wiener Forscher*innen liefern neue Erkenntnisse zu Erschöpfungszustände nach einer SARS-COV-2 Infektion. Anstatt entzündlicher Prozesse sind Entzündungs-Hemmer bei Long Covid-Patient*innen involviert.
Das Coronavirus SARS-CoV-2 hält die Welt seit Ende 2019 in Atem. Nicht nur die Infektion mit dem Virus an sich kann schwerwiegende gesundheitliche Probleme mit sich bringen, auch die Langzeitfolgen nach einer COVID-19-Erkrankung sind mittlerweile ein Thema. Weltweit leiden mehrere Millionen Menschen am so genannten Long Covid Syndrom (LCS).
Als Long Covid Syndrom werden Symptome wie zum Beispiel Atembeschwerden, Erschöpfung (Fatigue) und verminderte Leistungsfähigkeit bezeichnet, die mehr als vier Wochen nach Ansteckung mit dem Coronavirus fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten. Halten die Beschwerden auch nach drei Monaten noch an und bestehen mindestens zwei Monate lang oder kehren wieder, bezeichnet man dies als Post Covid-Syndrom. Sowohl Long Covid als auch Post Covid können die Lebensqualität der Betroffenen deutlich beeinträchtigen. Es ist aber aktuell schwierig, sie zu diagnostizieren und zu behandeln, da die zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen erst unzureichend bekannt sind.
Ein Team der intrauniversitären Joint Metabolome Facility (Universität Wien und MedUni Wien) um den Chemiker Christopher Gerner setzte nun massenspektrometrie-basierten postgenomischen Analyse-Verfahren ein, um LCS zu untersuchen. Diese ermöglichten es den Wissenschaftler*innen, in Patient*innen ablaufende Krankheitsprozesse zu verfolgen und umfassend abzubilden. Gemeinsam mit Klaus Schmetterer vom Klinischen Institut für Labordiagnostik der MedUni Wien und Mariann Gyöngyösi von der Universitätsklinik für Innere Medizin II der MedUni Wien und Leiterin der Long Covid Ambulanz am AKH Wien wählten sie Patient*innen-Kohorten aus und analysierten diese, um die molekularen Grundlagen von LCS aufzuklären. Die Wissenschaftler*innen konnten zeigen, dass eine überschießende anti-entzündliche Reaktion für Long Covid verantwortlich sein dürfte. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden in „iScience“ veröffentlicht.
Im Normalfall wird bei einer viralen Infektion das Immunsystem stark aktiviert, aber nicht so bei den untersuchten Long Covid-Patient*innen: Beinahe bei allen von ihnen konnten keine entsprechenden Marker wie etwa Zytokine, Akutphase-Proteine und Eicosanoide, die auf eine Entzündung hinweisen, nachgewiesen werden. „Alle wichtigen möglichen Marker für akute Entzündungsprozesse waren bei LCS-Patient*innen unter den Werten von gesunden Spender*innen oder erst gar nicht nachweisbar“, erklärt Gerner, der Studienautor und Leiter der Joint Metabolome Facility ist. Überraschend war, dass die Unterschiede von Long Covid-Patient*innen zu symptomlosen, von einer Covid-Erkrankung genesenen Patient*innen größer waren als die von Long Covid-Patient*innen zu gesunden Kontrollen. „Dieser Befund machte deutlich, dass tatsächlich bei symptomlosen Genesenen ein gewisser Rest an Entzündungsreaktionen nachweisbar war, während eben Long-Covid-Patient*innen einen gegenteiligen Befund aufwiesen“, so Gerner.
Bisher ging man von der Annahme aus, dass hautsächlich Auto-Immunität Long Covid verursacht. Doch die aktuelle Studie lieferte keine Hinweise auf begleitende entzündliche Prozesse bei LCS.
Stattdessen konnten die Forscher:innen bei LCS-Patient*innen anti-entzündlich wirkende Proteine, Lipide und Metaboliten nachweisen. Diese könnten einerseits für die wichtigsten LCS-Symptome mit verantwortlich sein und andererseits auf die Bildung ganz spezieller Blutzellen – so genannter alternativ polarisierter Makrophagen – als Ursache hinweisen. „Die molekulare Signatur einer Entzündungs-Hemmung war sehr deutlich sichtbar“, so Gerner.
Die Wissenschaftler*innen machten im Rahmen ihren Untersuchungen eine besonders interessante Entdeckung: Bei LCS-Patient*innen war unter anderem Hypaphorin stark erhöht. Von diesem Metaboliten weiß man, dass es in Tieren spontan Schlaf induzieren kann. Dies könnte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erschöpfungssyndrom stehen.
Auch das Blutplasma von LCS-Patient*innen wurde für die Studie analysiert. Dabei stellte sich heraus, dass die schon zuvor erwähnten alternativ polarisierten Makrophagen beteiligt waren: LCS-Patient*innen wiesen ein molekulares Profil auf, das charakteristisch für diese Zellen ist. Alternativ polarisierten Makrophagen bilden sich für gewöhnlich nach Infektionen und koordinieren regenerative Prozesse. Die vorliegende Studie liefert einen weiteren wichtigen Hinweis auf mögliche molekulare Grundlagen von Long Covid, viele Fragen bleiben allerdings noch offen.
In einer weiteren gemeinsam mit Gerhard Garhöfer von der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien abgeschlossenen Studie analysierte die Joint Metabolom Facility die Ursachen für das erhöhte Arteriosklerose- und Herzinfarkt-Risiko nach überstandener COVID-19-Erkrankung. „Die Pathologie der LCS-Erkrankung kristallisiert sich immer deutlicher heraus, was natürlich eine völlig neue Einschätzung von Risikofaktoren und Therapie-Optionen ermöglicht“, so die Studienautor*innen. Die Forscher*innen erhoffen sich für die Zukunft deutlich verbesserte Diagnosemöglichkeiten für LCS und vor allem Monitoring-Verfahren zur Bewertung von Therapie-Effekten.
as, 30.12.2022
Quelle:
Presseaussendung der Medizinischen Universität Wien vom 15.12.2022
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