Weltweit sind bereits mehrere Impfstoffe gegen das neue Coronavirus verfügbar. Doch dieses mutiert und stellt die Pharmaindustrie vor eine große Herausforderung.
Am 25. Februar 2021 feierten wir in Österreich einen Jahrestag, der keinen glücklich macht: An diesem Tag im Jahr 2020 wurden die ersten zwei SARS-Cov-2 Infektionen in Österreich bestätigt. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass sich unser soziales Leben für das weitere Jahr und darüber hinaus grundlegend verändern würde. Mittlerweile haben wir uns an das Tragen von Mund-Nasen-Schutz und die nun monatelangen Einschränkungen gewöhnt. Wir verzichten auf Begrüßungsbussis und Händeschütteln und halten automatisch Abstand zu unseren Gesprächspartnern. Unsere Kinder haben Homeschooling, während wir am anderen Ende des Esstisches mit unseren Kollegen zoomen.
Seit Beginn der Pandemie arbeitet die Pharmaindustrie fieberhaft an der Entwicklung sicherer und wirksamer Impfstoffe gegen das Virus. Mittlerweile gibt es bereits vier zugelassene Impfstoffe in Europa, und weitere sind im Zulassungsverfahren.
Die aktuell eingesetzten Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna sind sogenannte mRNA-Impfstoffe. Diese enthalten jenen Teil des Erbgutes von SARS-CoV-2, der den Bauplan zur Bildung des so genannten Spike-Proteins – eines Eiweißes der Virushülle – beinhaltet. Die Erbinformation liegt in Form von mRNA vor und wird zum Schutz in winzige Fettkügelchen verpackt und anschließend intramuskulär geimpft. In der Zelle werden aus dieser mRNA durch zelleigene Prozesse die Oberflächenproteine des Virus nachgebildet und lösen dann im Körper eine Immunantwort aus.
Die Impfstoffe von AstraZeneca und Janssen Cilag/Johnson & Johnson benutzen ein Trägervirus („Vektor“) als Transportmittel: Der Bauplan des Oberflächenproteins wird in die Erbinformation des Trägervirus integriert und anschließend ebenfalls geimpft. In der Zelle wird wiederum das Oberflächenprotein gebildet und löst die Immunantwort aus.
Die Produktion dieser Impfstoffe erfolgt unter Einhaltung zahlreicher gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich des Produktionsprozesses und der Qualität des Impfstoffes bei den Pharmaunternehmen. Aber auch zahlreiche Lohnherstellern produzieren im Auftrag der Unternehmen, um die benötigte Menge an Impfstoff so rasch wie möglich für alle verfügbar machen.
Solange das Coronavirus Zeit und Raum hat, sich zu verbreiten, steigt auch das Risiko für Mutationen. Als Mutation wird eine spontan auftretende, dauerhafte Veränderung des Erbgutes bezeichnet, die Auswirkungen auf die Merkmale eines Organismus – und auch Virus – haben kann oder nicht. Zwar mutiert das Coronavirus vergleichsweise langsam, jedoch werden laufend kleinere und größere Änderungen in seinem Erbgut festgestellt und dokumentiert. Treten plötzlich ungewöhnlich viele Mutationen auf, die gewisse Eigenschaften des Virus ändern, spricht man von einer neuen „Variante“. Dies war im Herbst letzten Jahres der Fall, als beinahe zeitgleich zwei neue Varianten auftraten: SARS-Cov-2 B.1.1.7 („Britische Variante“) und SARS-Cov-2 B.1.351 („Südafrikanische Variante“). Beide Varianten besitzen eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Mutationen und zeichnen sich durch eine höhere Übertragbarkeit, höhere Viruslast in infizierten Menschen und eine erhöhte Reproduktionszahl aus. Im Dezember 2020 wurde zudem erstmals von einer dritten Variante P.1 berichtet („Brasilianische Variante“), die bereits ebenfalls in Europa nachgewiesen werden konnte.
Die Entwicklung und Produktion der derzeit zugelassenen Impfstoffe erfolgte jedoch mit dem SARS-CoV-2 Typ, der seit Anfang Jänner 2020 global zirkulierte. Daten zur Sicherheit, Immunogenität und Wirksamkeit der Impfstoffe beziehen sich auf diese Variante. Ändern sich jedoch wie im Falle der britischen, südafrikanischen oder brasilianischen Variante jene Oberflächenproteine, gegen die eine Immunantwort ausgelöst wird, müssen die Impfstoffe auf ihre Wirksamkeit gegen dies neuen Varianten überprüft werden. Bei augenscheinlich unzureichender Wirksamkeit müssen sie in weiterer Folge angepasst und neu produziert werden.
Die Wirksamkeitsprüfung des ursprünglichen, zugelassenen Impfstoffes gegen eine neue Virus-Variante erfolgt in mehreren Etappen:
Im ersten Schritt wird im Labor überprüft, ob die Antikörper, die nach einer Impfung mit dem ursprünglichen Impfstoff gebildet wurden, auch die neuen Varianten des Virus an der Infektion von Zellen hindern kann. Zu diesem Zweck werden sogenannte Pseudoviren benutzt, die sich nicht vermehren können und dadurch nicht pathogen sind. Sie enthalten die durch Mutationen veränderte Erbinformation der neuen Virus-Variante für das Spike-Protein – also jenes Oberflächenproteins des Coronavirus, welches für die Infektion der Zelle, aber auch für eine Immunantwort ausschlaggebend ist. Um die Wirkung des Impfstoffes zu bestimmen, werden Zellen mit Pseudoviren vermischt. Blutserum von Personen, die bereits mit dem ursprünglichen Impfstoff immunisiert wurden und Antikörper gebildet haben, wird zugefügt. Können die Antikörper aus dem Serum gegen das ursprüngliche Virus die Pseudoviren an der Infektion der Zellen hindern, haben diese auch auf die neue Virusvariante eine „neutralisierende“ Wirkung.
In einem weiteren Schritt wird die Wirksamkeit des Impfstoffes gegen die neue Variante in einer Tierstudie ermittelt. Zu diesem Zweck werden Tiere mit dem ursprünglichen Impfstoff immunisiert und nach einem gewissen Zeitraum mit der entsprechenden SARS-CoV-2 Variante infiziert. Im Anschluss wird festgestellt, ob und wie schwer die immunisierten Tiere an Covid-19 erkranken, oder ob sie auch gegen eine Infektion der neuen Variante geschützt sind.
Im Fall der britischen Variante hat sich in Laborstudien mit Pseudoviren gezeigt, dass sowohl die bestehenden mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna als auch die Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Janssen Cilag wirksam sind und das Virus an der Infektion der Zelle gehindert werden kann.
Bei der südafrikanischen Variante von SARS-CoV-2 sieht es mit der Wirksamkeit bestehender Impfstoffe weniger gut aus: In einer in-vitro-Studie, in der das Neutralisierungspotenzial von Seren von mit mRNA Geimpften gegenüber dieser Variante untersucht wurde, war das Neutralisationspotenzial um bis zu zwei Drittel reduziert[1]. Klinische Daten, die darauf hinweisen dass der mRNA Impfstoff keinen ausreichenden Impfschutz gegen die südafrikanische Virusvariante hat, gibt es allerdings keine.
In einer klinischen Studie in Südafrika mit dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca zeigte sich, dass dieser eine signifikant geringere Wirksamkeit gegen die dort mittlerweile vorherrschende südafrikanische Variante besitzt. Der Impfschutz vor milden oder moderaten Covid-19 Erkrankungen bei einer Infektion mit der südafrikanischen Variante betrug 10.4%[2].
Und auch für den Vektorimpfstoff von Janssen Cilag/Johnson & Johnson wurde eine Reduktion der Schutzwirkung gegenüber der südafrikanischen Variante beobachtet[3].
Deuten wissenschaftliche Daten darauf hin, dass neue Virusvarianten einen Einfluss auf das Schutzniveau des Impfstoffes haben, müssen die Impfstoffe in einem beschleunigten Entwicklungsprozess angepasst, neu produziert und getestet werden.
Die Produktion eines Impfstoffes beginnt stets mit der genauen Analyse der Erbinformation des Erregers. Und zwar wird jener Teil des Erbguts untersucht, der die Information für den Bau jenes Eiweißes (Proteins) beinhaltet, welches eine Bildung von Antikörpern im Körper bewirkt. Im Fall des neuen Coronavirus ist es vorwiegend das so genannte Spike-Protein an der Oberfläche von SARS-CoV-2, gegen das sich die Antikörper richten. Der genetische Code des Erregers – in diesem Fall die Virus-RNA – wird beim Prozess der Sequenzierung Buchstabe für Buchtstabe entschlüsselt. So können in weiterer Folge auch Mutationen, also Änderungen im Virus-Code, festgestellt werden.
Zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen wird der Teil der Erbinformation von SARS-CoV-2 mit der Information für das Spike-Protein im Labor synthetisch hergestellt. Im Fall neuer Varianten wird zur Anpassung eines bestehenden Impfstoffes die Erbinformation für das mutierte Spike-Protein synthetisiert. Auch die Information für den Zusammenbau des Proteins in der Zelle wird eingefügt. Nach einem komplexen Reinigungsprozess wird die mRNA anschließend zum Schutz vor vorzeitigem Abbau in Lipidnanopartikeln, die man sich wie kleine Fetttröpfchen vorstellen kann, verpackt.
Bei Vektorimpfstoffen wird in einem ersten Schritt zunächst auch jener mutierte Teil der Virus-Erbinformation, der die Information für das Spike-Protein beinhaltet, im Labor hergestellt, jedoch in Form von DNA. Anschließend wird diese DNA in das Erbgut eines Trägervirus integriert. Im Unterschied zum RNA-haltigen SARS-CoV-2 liegt das Erbgut des Vektors hier somit als DNA vor. In weiterer Folge wird das Vektorvirus mit der Information für den Zusammenbau des mutierten Spike-Proteins in Zellkultur vermehrt und anschließend aufgereinigt.
Ist die Wirksamkeit des ursprünglichen Impfstoffes für den neuen Virustyp verringert und bietet keinen ausreichenden Impfschutz mehr, muss dieser in weiterer Folge vom selben Hersteller neu produziert werden wie der ursprüngliche, zugelassene Impfstoff. Sowohl das Herstellungsverfahren als auch die Kontrollen müssen ident sein. Aus den Daten muss hervorgehen, dass die Qualität des neuen Impfstoffes jener der ersten Generation entspricht.
Anschließend ist es erforderlich, eine klinische Studie mit freiwilligen, gesunden Teilnehmern durchzuführen, die noch nicht geimpft wurden und die noch nie mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Zu diesem Zweck erhält eine Gruppe von Teilnehmern den Impfstoff gegen die neue Variante, und eine Vergleichsgruppe den Impfstoff gegen den ursprünglichen Virustyp. Diese sogenannte Überbrückungsstudie („Bridging study“) soll Beweise dafür liefern, dass die Immunantwort, die durch den neuen Impfstoff ausgelöst wird, in derselben Größenordnung liegt wie die Immunantwort des ursprünglichen Impfstoffes. Sollte ein Vergleich mit dem Impfstoff des ursprünglichen Virustyps beispielsweise aus ethischen Gründen nicht möglich sein – weil etwa der ursprüngliche Virusstamm nicht mehr vorherrschend ist – ist ein Abgleich mit früheren Daten ausreichend. Die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen die neue Variante wird dann über Immunogenitätsdaten abgeleitet.
Darüber hinaus muss die Wirksamkeit des Impfstoffes der neuen Variante an Menschen erprobt werden, die bereits mit dem Impfstoff gegen den ursprünglichen Virusstamm geimpft wurden und Antikörper gegen diesen Virus gebildet haben. Die durch eine Dosis des neuen Impfstoffes ausgelöste Immunantwort wird dann mit der Immunantwort verglichen, die während klinischer Studien mit dem ursprünglichen Impfstoff hervorgerufen wurde.
Eine Zulassung der Impfstoffe gegen die neuen SARS-CoV-2 Varianten muss in Europa nicht neu beantragt werden. Die bestehende Zulassung wird auf Basis der neuen Informationen zur Herstellung und den klinischen Studien nach Begutachtung durch Gesundheitsbehörden abgeändert. Das geschieht in der Regel innerhalb weniger Monate. Im Anschluss kann damit immunisiert werden.
Mit 10. März 2021 galten etwa 256.000 Menschen in Österreich als vollimmunisiert, d.h. sie hatten beide Teilimpfungen eines SARS-CoV-2 Impfstoffes erhalten[4]. Das entspricht in etwa 3 Prozent der österreichischen Bevölkerung. Aufgrund der engen Produktionskapazitäten wird es also noch eine Weile dauern, bis alle impfwilligen Personen einen Impfstoff gegen das ursprüngliche SARS-CoV-2 erhalten. Wie eingehend erwähnt, ist es notwendig, durch eine möglichst rasche Durchimpfung einer breiten Bevölkerung eine weitere, unkontrollierte Verbreitung und vor allem weitere spontane Mutationen des Virus zu verhindern. Nur dadurch kann die Corona-Pandemie beendet werden.
Referenzen:
[4] Daten: BMSGPK, Stand: 10. März 2021
Wir bedanken un bei Dr. Christina Nicolodi recht herzlich für diesen Gastbeitrag!
Gastbeitrag von Dr. Christina Nicolodi, 15.03.2021