Schon in der Antike wurde Spinnenseide zur Behandlung von Wunden eingesetzt. Spinnenseide ist elastisch, und reißfest, dazu hitzestabil bis 200°C und wird von Bakterien und Pilzen kaum angegriffen. Noch dazu ist die Seide biologisch abbaubar und im menschlichen Körper gut verträglich. In die Naturprodukte der goldenen Radnetzspinne legen Forscher große Hoffnungen zur klinischen Anwendung: zum Kultivieren neuer Haut für Brandopfer, als chirurgische Fäden, zur Reparatur beschädigter Nerven oder gar als „Gerüst“ für Herzmuskelgewebe.
Die Seidenspinnen (Nephila), auch Goldene Radnetzspinnen genannt, sind eine Gattung tropischer und subtropischer Echter Webspinnen aus der Familie der Nephilidae und haben eine Lebensdauer von zwei Jahren. Nicht umsonst macht sich die einheimische Bevölkerung die Seide einer verwandten Art der Goldenen Seidenspinne als Fischernetze zu Nutzen.
Die 8-cm große, goldene Radnetzspinne eignet sich ideal als Nutztier im Labor: die Nachzucht funktioniert ohne Probleme, Radnetzspinnen sind wenig aggressiv und können deshalb in Gemeinschaft in einem Raum gehalten werden, und sie verlassen ihre Netze nicht, sind also standorttreu. Bei der Gattung der Seidenspinnen bauen nur die Weibchen Netze, die Männchen wiederum bewegen sich frei herum und versuchen den Damen zu imponieren, um an Essen zu gelangen. Die Spinnen sekretieren bis zu sieben verschiedene Fäden, alle mit verschiedenen Funktionen und Stärken sowie Charaktereigenschaften. Ein Beispiel ist die Fangspirale, die besonders elastisch ist. Für die medizinische Forschung interessant ist der Abseilfaden, der normalerweise für den Rahmen des Netzes verwendet wird: dieser ist ausgesprochen reißfest und stabil, und löst keine Immunantwort im Körper aus. Auf dem Abseilfaden wachsen keine Bakterien, denn in der Natur muss sich die Spinne auf ihren seidenen Faden verlassen können, und der darf nicht einfach von Bakterien zersetzbar sein. Alle ein bis zwei Wochen werden die weiblichen Tiere für circa 15 Minuten gemolken. Mit den 100-200 Metern gewonnenes Biomaterial kann so einiges angestellt werden…
Nachdem ein Stück Spendervene von allen Zellen befreit wurde, um eine Abstoßung im Organismus zu verhindern, kann diese, eingezogen mit der goldgelben Spinnenseide, wie eine Tunnelröhre die Heilung zwischen zwei Nervenenden ermöglichen: Oft finden nach einem Unfall durchtrennte Nerven nicht mehr zusammen, weil das Körpergewebe vernarbt und somit die Möglichkeit zur Regeneration verhindert ist. Dieses Nervenimplantat, vernäht mit Nervenstümpfen, kann den Axonen als Orientierung und die Seide als Halt dienen, um das Zielgewebe wiederzufinden. Damit können größere Defekte im peripheren Nervensystem wiederhergestellt werden.
Experimente an Schafen mit den Spinnenseiden-Nervenimplantaten waren schon erfolgreich: Forscher an der Medizinischen Hochschule Hannover konnten über eine Distanz von sechs Zentimetern die Nerven von durchtrennten Hinterläufen mit dem Implantat regenerieren. Nach sechs Monaten konnten die Tiere wieder laufen. Venenbrücken ohne Seide sind schon länger in Verwendung, aber das war bis dato nur auf geringere Distanzen möglich.
Dazu ist nun auch eine klinische Studie an der MedUni Wien geplant, ausgehend von der Leiterin der Klinischen Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Christine Radtke.
An der Uni Bayreuth ist ein 3D-Drucker in Betrieb, mit dem man die künstliche Spinnenseide zusammen mit Körperzellen verdrucken kann. Die Idee ist, abgestorbenes Gewebe wie z.B. durch einen Herzinfarkt durch ein gedrucktes, neues Gewebe ersetzen zu können. Diese Technik ist sehr neu und wird „Biofabrikation“ genannt. Die Spinnenseide eignet sich perfekt als Gerüst für Muskelzellen, damit neues Gewebe gebildet werden kann.
Die Vielseitigkeit der medizinischen Anwendungsmöglichkeiten dieser Spinnenseiden ist vielversprechend. Deshalb wird versucht, die Seide synthetisch nachzubauen. Schwedischen Forschern ist die Herstellung von verbesserter, künstlicher Spinnenseide gelungen. Wissenschaftler der University of Pennsylvania haben das Genom der goldenen Radnetzspinne entschlüsselt, und dieses dürfte die Anleitung zum Nachbau ihrer Superseide liefern. Das Genom der Radnetzspinne umfasst 400 Gensequenzen und 28 Seidenproteine, die dabei helfen, die stabile Seide synthetisch herzustellen.
Die erste Euphorie wird von Professor Peter Vogt von der Medizinischen Hochschule Hannover allerdings gebremst: die regulatorischen Bedingungen seien sehr streng gegliedert, und die Finanzierung für solche Forschungshaben gestalten sich schwierig, meint der Forscher Aber vielleicht werden trotzdem manche von uns unter diesem neuen medizinischen Aspekt Spinnen mit anderen Augen betrachten.
Kurier: Spinnenseide hilft als Stützstruktur bei der Reparatur von Nerven
DerStandard: Mit Spinnenseide zum künstlichen Herzmuskelgewebe
Advanced Functional Materials: Surface Features of Recombinant Spider Silk Protein eADF4(κ16)-Made Materials are Well-Suited for Cardiac Tissue Engineering
Nature Genetics: The Nephila clavipes genome highlights the diversity of spider silk genes and their complex expression
DerStandard: Forscher produzieren bisher beste künstliche Spinnenseide
SWR2 Wissen: Spinnenseide
IH, 31.08.2017