Die Temperaturen fallen, die Sonne geht früher unter und plötzlich steht sie wieder vor der Tür: Die Grippesaison. Jährlich erkranken weltweit etwa drei bis fünf Millionen Menschen an der schwerwiegenden Infektionskrankheit und etwa 500.000 der Betroffenen sterben daran.
Dass bei Erkrankungen verschiedene Kräuter helfen können, ist gewiss nichts Neues – das wussten schon unsere Großeltern. Johanniskraut soll demnach die Stimmung heben, Buchweizen den Blutdruck senken und Baldrian beim Einschlafen helfen. Aber welche Inhaltsstoffe in den Pflanzen sind es, die gegen Fieber, Erkältung und Co. wirken? Und können sie vielleicht noch viel mehr, als im Volksmund übertragen wurde?
Mit dieser Frage beschäftigt sich das Projekt „Natural Lead Structures Targeting Influenza“ unter der Leitung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Judith Maria Rollinger, stellvertretende Leiterin des Departments für Pharmakognosie an der Universität Wien. "Die Natur bietet eine Palette an höchst diversen Strukturen. Aufgrund des Millionen Jahre langen Selektionsdrucks sind diese zu einem 'chemischen Arsenal' für die Pflanzen geworden", erklärt Rollinger. Ihr Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, herauszufinden, welche Pflanzeninhaltsstoffe aus dieser breiten Palette eine Bioaktivität aufweisen.
Eine wichtige Funktion bei der Verbreitung des Grippevirus ist die Neuraminidase. Diese ist ein Enzym, das unter anderem in Viren und vielen Bakterien. Sie dient dazu, fertige Viruspartikel von der Oberfläche der Wirtszelle freizusetzen. Diese können sich so von der Zelle loslösen, in der sie sich vermehrt haben, und weitere Zellen infizieren – die Infektion schreitet voran.
Gegen die Grippeerkrankung gibt es präventive Maßnahmen wie die Impfung. Da sich die einzelnen Erreger jedoch ständig in Wandlung befinden, besteht trotz allem eine Notwendigkeit für antivirale Medikamente. "Auch greifen nicht alle Medikamente, da es immer wieder zu Resistenzentwicklungen kommt", so Rollinger.
Die Wiener Forscherin ist mit ihrem Team daher auf der Suche nach einer anderen Lösung. Sie greifen auf jahrhundertealtes Kräuterwissen zurück, wodurch sie bereits einige Naturstoffe identifizieren konnten. Anhand bestimmter Schlagworte – etwa Kopfweh oder Fieber – durchsuchen die ForscherInnen alte Kräuterbücher. Daraus suchen sie bestimmte Pflanzen aus, die sie genauer untersuchen wollen. So lenkte sich der Fokus etwa auf die Wurzelrinde des weißen Maulbeerbaumes, der auch in der traditionellen chinesischen Medizin zur Anwendung kommt. Das Forscherteam extrahierte aus der Rinde ein Vielstoffgemisch, das „unzählige bioaktive Verbindungen enthält“, erklärt die Projektmitarbeiterin Ulrike Grienke. Zwei der isolierten Substanzen können die bakterielle und virale Neurominidase hemmen. Diese wirken sogar besser als das gängige Grippemedikament „Tamiflu“.
Bis die Substanzen in der Apotheke zum Kauf verfügbar sind, müssen wir uns aber leider noch gedulden – und verlassen uns weiterhin auf die Weisheiten unserer Großeltern.
Quelle:
Die Kraft der Pflanzen, Veröffentlicht auf APA Science, Abgerufen am 02.11.2016
Originalpublikation:
Grienke U., Schmidtke M., von Grafenstein S. et al.: Influenza neuraminidase: A druggable target for natural compounds (2012), Nat. Prod. Rep. 29, 11-36. doi: 10.1039/C1NP00053E
JM, 02.11.2016