Genießen erlaubt

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Im Rahmen der Wiener Vorlesungen wurde im Radiokulturhaus zum Thema Essen diskutiert. "Essen zwischen Mangel und Überfluss - Disziplin und Genuss" lautete der Titel des ExpertInnen-Dialogforums am 9. Februar 2016.

Essen zwischen Mangel und Überfluss

Jährlich sterben fünf Millionen Kinder an Unterernährung, so die Information von Univ. Prof. Dr. Hubert Christian Ehalt zu Beginn der Diskussionsrunde – das entspricht mehr als der Hälfte der Österreichischen Gesamtbevölkerung. Das weltweite Ungleichgewicht von Mangel und Überfluss ist auch einer der wichtigen Faktoren, die die heutige Esskultur prägen. Mit dem steigenden Bewusstsein für diese Problematik nehmen auch die Bemühungen zu, Abfälle beim Essen zu reduzieren und Lebensmittel bewusst auszuwählen. Eine Entwicklung, die begrüßenswert ist - für Konsumenten wird es jedoch zusehends schwieriger, den Spagat zwischen Genuss und Disziplin zu schaffen.

Schlechtes Gewissen beim Essen

„Das schlechte Gewissen liegt uns quasi im Magen“, beschreibt die Ethnologin Univ. Prof. Dr. Klara Löffler die daraus resultierende gegenwärtige Situation. Einerseits gibt es eine gesellschaftliche Unterscheidung von richtiger und falscher Ernährung, was Tierhaltung, die eigene Gesundheit und die Nachhaltigkeit der Produkte betrifft. Andererseits gibt es auch den Druck der Selbstoptimierung - der Körper steht im Zentrum, und das Bild des schlanken, gesunden Menschen prägt die Kultur. Löffler sprach in diesem Zusammenhang von einer „Therapiebedürftigkeit“ beim Essen. „Wir müssen erst lernen, richtig zu essen, um uns gesund und ökologisch zu ernähren. Nie waren Informationen und Wissen, aber auch Empfehlungen und Regeln zu dem, was und wie wir essen (sollen), so dicht wie heute: wie wir es ethisch unbedenklich, nachhaltig, gesundheitsorientiert, genussvoll tun. Und nie war es schwieriger.“

Moralisierung und starker Wissenschafts-Bezug

Innerhalb der letzten Jahrzehnte ist die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise des Essens stark in den Vordergrund getreten. Auch eine „Moralisierung“ des Essens hat stattgefunden. „Man kann heute leicht etwas falsch machen“, so die Ernährungswissenschaftlerin, Gesundheitspsychologin und Foodtrendforscherin Mag. Hanni Rützler. Und war Fleisch früher noch Mangelware und ein Zeichen für Reichtum, ist heutzutage schon fast das Gegenteil der Fall: Kein Fleisch zu essen ist eher eine Entwicklung der heutigen gesellschaftlichen Elite.

Genießen wird zur Arbeit

„Essen ist heutzutage für viele einer der wenigen Lebensbereiche, über den sie noch selbst bestimmen können - wenn sie selbst kochen. Das führt zu einer emotionalen Aufladung des Kochens. Im besten Fall zu einer Leidenschaft, oft aber auch zu einem problematischen Kochimperativ“, erklärt Rützler. Und: Genießen wird laut der Expertin zur Arbeit. Über den Umgang mit der jetzigen Situation waren sich die Expertinnen einig: Es sollte kein moralischer Zeigefinger beim Essen erhoben werden. Vielmehr geht es – auch beim Fleischkonsum – um die Dosis. „Es muss nicht immer ein Schnitzel sein, das über den Tellerrand hinaushängt“, so Rützler. Ein guter Ansatz beim Verändern der eigenen Esskultur kann auch das Entschleunigen und bewusste Essen sein. Eine kurze Auszeit im Alltagsstress, sich Zeit nehmen, und bewusst, ohne schlechtes Gewissen, genießen. Und, so Rützler:“Man kann und darf auch die Wurstsemmel genießen.“

Quelle: "Essen zwischen Mangel und Überfluss, Disziplin und Genuss", Wiener Vorlesung am 09.02.2016 im Wiener ORF Radiokulturhaus

 

Artikel erstellt am 10.02.2016 von AS