Frühaufsteher oder Nachtschwärmer? Heute weiß man, dass die Gene unseren Biorhythmus mitbestimmten und somit entscheiden, ob wir um vier Uhr in der Früh hellwach sind und abends um halb sechs erschöpft ins Bett fallen, oder ob unser Tag erst richtig beginnt, wenn die Sonne untergeht. Die Chronobiologie erforscht, welchen Einfluss die innere Uhr auf unser Leben hat und wie äußere Einflüsse - wie beispielsweise die Zeitumstellung - sie durcheinanderbringen können.
Das griechische "chronos" bedeutet so viel wie "Zeit". Der Begriff Chronobiologie leitet sich davon ab und bezeichnet jene Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, wie die Zeit und das Leben auf der Erde zusammenhängen und welchen biologischen Rhythmen Lebewesen unterliegen. Dieser relativ junge Forschungszweig beginnt gerade erst zu verstehen, wie die so genannte innere Uhr des Menschen funktioniert und wie sein Biorhythmus festgelegt wird.
Die Anfänge der Chronobiologie gehen weit zurück und liegen im frühen 18. Jahrhundert. Im Jahr 1729 führte der französische Astronom Jean Jacques d'Ortous de Mairan Versuche an Pflanzen durch. Ihm fiel auf, dass sich die Blätter von Mimosen - das sind große Sträucher mit gefiederten Blättern - zwischen Tag und Nacht veränderten. Er untersuchte daraufhin, was mit den Pflanzen bei Dunkelheit passierte. Dabei beobachtete er, dass die Pflanzen auch ohne den Wechsel von Hell und Dunkel noch ein paar Tage lang ihre Blätter in der Früh entfalteten und am Abend schlossen [1]. De Mairans Experimente bewiesen erstmals die Existenz einer inneren Uhr. Warum die Pflanzen jedoch ihren ursprünglichen Rhythmus unabhängig von Tag und Nacht noch beibehielten, blieb damals noch ein Rätsel.
Stammt das ursprüngliche Wissen zur inneren Uhr noch von der Beobachtung von Pflanzen, gab es wenig später auch experimentelle Hinweise auf das Vorkommen zirkadianer Rhythmen in Bakterien, Einzellern, Insekten, Vögeln, Nagetieren und Primaten. Erst in den 1960er-Jahren, wurde durch das berühmte Experiment des deutschen Verhaltensphysiologen und Biologen Jürgen Aschoff klar, dass auch der Mensch Rhythmen unterliegt, die nicht durch Licht gesteuert werden. Bei Aschoffs Versuch begaben sich zwischen 1964 und 1989 rund 400 Freiwillige in einen Forschungsbunker in der Nähe von München und lebten abgeschirmt von äußeren Einflüssen wie Tageslicht und anderen Menschen viele Wochen unter der Erde. Das Experiment zeigte, dass rhythmisch verlaufende Prozesse des menschlichen Organismus wie Schlaf-Wach-Phasen, die Körpertemperatur oder die Geschwindigkeit der Zellteilung nicht von äußeren Faktoren wie Licht oder Zeitmessung abhängen, sondern durch eine innere Uhr gesteuert werden. Dies war die eigentliche Geburtsstunde der Chronobiologie.
Heute weiß man, dass fast alle Lebewesen auf unserem Planeten - von der einzelligen Alge über Pflanzen und Tiere bis zum Menschen - eine innere Uhr besitzen, die den Biorhythmus steuert. Dieser Taktgeber reguliert viele Körperfunktionen so, dass sie an den durch die Erdrotation bedingten 24-Stunden-Rhythmus von Tag und Nacht angepasst sind. Beim Menschen beeinflusst die innere Uhr wichtige Funktionen des Körpers, wie beispielsweise den Hormonspiegel, die Körpertemperatur, die Zellteilung, den Herzschlag und die Atmung, aber auch Konzentration, Wach- und Schlafphasen sowie das Verhalten. Interne physiologische Prozesse sind generell bei den meisten Lebewesen eng an den geophysischen Tag-Nacht-Zyklus gekoppelt, der in etwa alle 24 Stunden abläuft. Daher kommt auch der Name zirkadianer Rhythmus für diesen inneren Taktgeber (aus dem Lateinischen circa = etwa; dies = Tag), der sich an Tag und Nacht orientiert [2].
Zirkadian drückt schon aus, dass die innere Uhr nur annähernd im 24-Stunden-Takt schwingt und individuell leicht von diesem abweichen kann. Erst die Umweltbedingungen, und hier allen voran das Licht, kalibrieren sie als Zeitgeber immer wieder auf genau 24 Stunden. Die individuellen Abweichungen vom 24-Stunden-Takt würden bei einer Person nur unter bestimmten Umständen zutage treten. So etwa würde der oder die Betroffene bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem gleichbleibend beleuchteten Raum jeden Tag um eine bestimmte Zeit länger oder kürzer schlafen als am jeweiligen Vortag [3].
Wie zahlreiche Versuche zeigten, ist Licht nicht der alleinige Taktgeber für unsere innere Uhr. Dies ist in unserer modernen Zeit auch wichtig, da der tägliche Tag-Nacht-Rhythmus nicht ausreichen würde, um bestimmte Prozesse in unserem Körper im 24-Stunden-Rhythmus zu takten. So etwa würde unsere innere Uhr bei alleiniger Regelung durch Hell und Dunkel bei all den künstlichen Lichtquellen ziemlich schnell "falsch ticken", was sich katastrophal auf unseren Stoffwechsel und den Schlaf-Wachrhythmus auswirken würde [3].
Außer Licht und Dunkelheit sind auch andere Steuermechanismen für unsere Körperfunktionen bekannt: So etwa wird der Leberstoffwechsel auch durch die Nahrungsaufnahme synchronisiert. Auch Schlaf kann die innere Uhr und den Stoffwechsel beeinflussen [3].
Damit ein Lebewesen im zirkadianen Rhythmus schwingt, bedarf es der Kontrolle auf vielen Ebenen. Jede einzelne Zelle, jedes Gewebe und jedes Organ müssen ständig untereinander synchronisiert werden, um den gesamten Organismus nach dem 24-Stunden Licht-Dunkel-Zyklus der Umwelt auszurichten.
Die wichtigste Schaltstelle für diese ganzheitliche Tag-Nacht-Taktgebung sitzt beim Menschen in einem erbsengroßen Bereich im Gehirn, dem so genannten suprachiasmatischen Nukleus (=Kern, SCN). In dieser Region des Zwischenhirns befinden sich rund 50.000 Nervenzellen, die untereinander eng verknüpft und auch mit Neuronen diverser anderer Hirnregionen verschaltet sind. Treffen visuelle Reize auf spezialisierte Sinneszellen in der Netzhaut des Auges, werden diese zunächst über feine Nervenfasern zum SCN weitergeleitet. Wie die Standardzeit von Greenwich gibt der Kern dann den Rhythmus für die anderen Uhren im Körper an, und normalerweise laufen alle synchron.
Wie wichtig der SCN für den zirkadianen Rhythmus ist beweist unter anderem die Tatsache, dass Hamster ohne diese Hirnstruktur ihren Tag-Nacht-Rhythmus verlieren. Es ist allerdings auch bekannt, dass die innere Uhr sich nicht nur auf den SCN verlässt. So hat sich gezeigt, dass der zirkadiane Rhythmus auch ohne diese Zentraluhr im Takt bleiben kann - allerdings nur dann, wenn es einen Wechsel von Hell und Dunkel im 24-Stunden-Takt gibt [3].
Ein Fernflug zeigt, dass unsere innere Uhr schnell aus dem Takt kommen kann und das nicht nur am SCN liegt: Zwar ist der SCN nach einem Tag mit Licht und Dunkelheit schnell nachjustiert, doch die vielen anderen Uhren in unserem Körper können oft bis über eine Woche benötigen, bis sie wieder eingestellt sind. Das heißt, im Jetlag laufen alle unsere inneren Uhren durcheinander, wobei hier der Faktor Schlaf sicher eine wichtige Rolle spielt.
Die ersten Hinweise auf eine genetische Basis zirkadianer Rhythmen stammen von Erwin Bünning, der auch als einer der Väter der Chronobiologie gilt. Der deutsche Biologe stellte in den 1930er-Jahren anhand von Versuchen mit Bohnenpflanzen die Hypothese auf, dass deren „biologische Uhr" unabhängig von äußeren Bedingungen weiterläuft und von Generation zu Generation vererbt wird. Bünning postulierte auch, dass es nicht nur tagesabhängige, sondern auch saisonale Änderungen der inneren Uhr gibt, eine heute anerkannte Tatsache [2].
Anfang der 1970er-Jahre konnten der US-amerikanische Biophysiker Seymour Benzer und sein Student Ronald Konopka anhand von Experimenten mit Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) zeigen, dass deren Erbinformation ihre innere Uhr reguliert: Die beiden Wissenschaftler induzierten bei den Insekten Genmutationen und untersuchten anschließend das Bewegungsverhalten der nachfolgenden Fruchtfliegengeneration. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass einige der Fliegen nicht den für sie üblichen zirkadianen Rhythmus aufwiesen [4].
In den 1970er-Jahren gab es ein weiteres Highlight der Chronobiologie: Die beiden US-amerikanischen Forscher Jeffrey Hall und Michael Roshbash entdeckten ein Gen, das den Tageszyklus der Fruchtfliege steuert, und tauften es daher Period. 1984 konnten sie zeigen, dass das Period-Protein über den Tag verteilt in unterschiedlichen Konzentrationen vorkommt, mit einem Hoch in der Nacht und einem Abfall während des Tages. Michael Young, ebenfalls ein US-Wissenschaftler, entdeckte 1994 das Gen Timeless. Das Timeless-Protein interagiert mit dem Period-Protein und ist ebenfalls essenziell für die innere Uhr der Fliege. Hall, Roshbash und Young erhielten für ihre bahnbrechende Forschung auf dem Gebiet der Chronobiologie im Jahr 2017 den Nobelpreis für Medizin.
Ende der 1990er Jahre entdeckten Chronobiolog:innen dann mit clock und cycle noch weitere „Uhren-Gene“, die eine Vielzahl anderer Gene beeinflussen und steuern.
Heute weiß man, dass der molekulare Uhrenmechanismus von Lebewesen aus einem stabilen Netzwerk von Genen und Proteinen besteht, deren Zusammenspiel man gerade erst zu verstehen beginnt. Mittlerweile sind mehrere tausend Gene bekannt, die eine Rolle bei zirkadianen Rhythmen spielen [2]. Diese regulieren sich einerseits wechselweise und garantieren so eine korrekt laufende innere Uhr, können sich andererseits aber auch auf Änderungen im Licht- und Nahrungsrhythmus einstellen [5].
Stress, Schichtarbeit, Reisen, zu wenig Zeit im Freien - das sind nur einige der Faktoren, die den normalen Tagesrhythmus vieler Menschen heute durcheinanderbringen. Dieser sieht in groben Zügen in etwa so aus - abhängig natürlich davon, wie lange und wann wir schlafen und von verschiedenen anderen Faktoren:
2:00 – Tiefschlaf
4:30 – Niedrigste Körpertemperatur
6:45 – Schnelles Ansteigen des Blutdrucks
7:30 – Abschalten des Schlafhormons Melatonin
8:30 – Stuhlgang
9:00 – Anregungen des Appetits und anderes Körperfunktionen durch Testosteron
10:00 – Größte Aufmerksamkeit
14:30 – Beste Koordinationsfähigkeit
15:30 – Kürzeste Reaktionszeit
17:00 – Effizienteste Herz- und Muskelfunktion
18:30 – Höchster Blutdruck
19:00 – Höchste Körpertemperatur
21:00 – Ausschüttung von Melatonin, Vorbereitung auf den Schlaf
22:30 – Unterdrücken von Stuhlgang
In den Industrieländern "tickt" ein Teil der Bevölkerung heute nicht mehr richtig, denn ihr biologische Rhythmus passt nicht zu dem Tagesplan, nach dem sie sich täglich richten müssen. Spätstarter - so genannte Eulen - müssen sich in der Früh häufig aus dem Bett quälen, während Frühaufsteher - die Lerchen - dann oft nur mit Müh und Not bis zum Abend durchhalten. Ob jemand eine Eule oder Lerche ist - oder irgendwo dazwischen liegt - bezeichnet man als den persönlichen „Chronotyp“. Auch dieser wird vorwiegend durch unsere Gene bestimmt. Welche konkreten Gene bzw. Genvarianten das sind, ist bisher jedoch erst teilweise verstanden und Gegenstand intensiver Forschung.
Auch die alljährliche Zeitumstellung ist übrigens schlecht für unsere innere Uhr: Durch das plötzlich frühere oder spätere Aufstehen wird der körpereigene Rhythmus gestört und ordentlich durcheinander gebracht. Vor allem die Umstellung von der Winter- auf die Sommerzeit bringt viele Menschen ordentlich aus dem Takt. Denn obwohl die Uhr nur um eine Stunde nach vorne gedreht wird, fühlen sich viele danach tagelang schlapp und müde.
Die Idee, die Uhrzeit in den Sommermonaten zu ändern, gibt es übrigens bereits seit dem Jahr 1784. Benjamin Franklin überlegte zu dieser Zeit, den Kerzenverbrauch so zu reduzieren. Umgesetzt wurde seine Idee aber erst etwa hundert Jahre später, als das Deutsche Reich im Jahr 1916 als erstes Land die Zeitumstellung einführte und sich so Energieeinsparungen bei der künstlichen Beleuchtung an langen Sommerabenden versprach. Einige andere Länder Europas - darunter auch Österreich - zogen nach, bereits wenige Jahre später wurde die Sommerzeit jedoch wieder abgeschafft. In Österreich galt die Sommerzeit dann wieder in den Jahren 1940 bis 1948. Im Jahr 1980, in Zeiten der Ölkrise, wurde die Sommerzeit zum letzten Mal wieder eingeführt und ist seither europaweit einheitlich geregelt. Seit dem Beitritt Österreichs zur EU im Jahre 1995 gilt die Sommerzeit in Übereinstimmung mit verbindlichen Festlegungen der EU [6].
Die Chronobiologie stellt heute einen boomenden Forschungszweig dar, in dem es laufend neue Entdeckungen gibt. Diese können durchaus relevant für Krankheit und Gesundheit des Menschen sein, denn die innere Uhr läuft nicht immer und nicht bei allen Personen nach Plan.
So gibt es beispielsweise Personen, die durch einen bestimmten Gendefekt zu extremen Lerchen werden, die um 4 Uhr morgens aufwachen und abends um 7h30 ins Bett fallen. Für dieses so genannte "familial advanced sleep-phase syndrome" sind Mutationen in einem einzelnen Gen (period2) verantwortlich. Durch andere Genveränderungen kann es aber auch Eulen geben, die erst um 6 Uhr in der Früh einschlafen und nicht vor 2 Uhr nachmittags wieder aufwachen, man spricht vom so genannten "delayed sleep-phase syndrome". Dessen Ursache wurde noch nicht geklärt.
Auch bei Schichtarbeiter:innen gerät der natürliche Rhythmus des Körpers oft ins Schwanken. Da viele Stoffwechselfunktionen im 24h-Takt ablaufen, können als Folge davon Magen-Darm- oder Stoffwechselkrankheiten wie Glukose-Intoleranz, Diabetes oder Bluthochdruck auftreten. Schlafstörungen können ebenfalls zu Problemen und Krankheiten führen.
Die Kenntnisse der Chronobiologie können außerdem bei der Diagnose und Behandlung von Erkrankungen hilfreich sein. So etwa kann die innere Uhr auch die Metastasierung bei Krebs beeinflussen. Für die Entstehung von Metastasen müssen sich zunächst Zellen vom Haupttumor lösen, und dieser Prozess und das darauffolgende Einwandern in anderes Gewebe schwanken rhythmisch über den Tag hinweg. Und hier hat nicht jede Krebsart den gleichen Rhythmus – Prostatakrebs metastasiert beispielsweise lieber tagsüber, während Brustkrebs die nächtlichen Stunden bevorzugt. Diese neuen Erkenntnisse könnten bei der Bekämpfung von Krebserkrankungen von wichtiger Bedeutung sein. Krebstherapien könnten, wenn man Tumorzellen zum richtigen Zeitpunkt angreift, optimiert werden.
Werden Erkenntnissen aus der Chronobiologie bei der Chemo- und Immuntherapie angewandt, spricht man von der so genannten Chronotherapie. Diese könnte nicht nur eine wertvolle Behandlungsoption im Kampf gegen Krebs sein, sondern außerdem die Schwere der Nebenwirkungen bei Patient:innen reduzieren [6]. Auch für die Diagnostik könnte man sich in Zukunft die Chronobiologie zunutze machen: So etwa schwankt die Konzentration einiger diagnostischer molekulare Marker für Krebs im Tagesverlauf. Stimmt man den Zeitpunkt einer Biopsie so ab, dass die Konzentration dieser Proteine am höchsten ist, kann die Wahrscheinlichkeit für eine Fehldiagnose verringert werden [7].
Artikel aktualisiert am 20.03.2024 von AS
as, 10.03.2013
[3] Max-Plack-Gesellschaft: Chronobiologie: Innere Uhren im Takt (2016). Abgerufen am 21.3.2024
[6] Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, Sommerzeit. Abgerufen am 21.3.2024