Neuro-Enhancement: Verbesserung um jeden Preis?

, Bild: Pixabay, CCO

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurden Status Quo und Sinnhaftigkeit des sogenannten Neuro-Enhancement diskutiert. Darunter versteht man den Einsatz von Substanzen, wie Medikamente und Drogen, sowie Verfahren zur technischen Stimulation des Gehirns. Ziel ist es, bei gesunden Personen die geistige Leistungsfähigkeit zu steigern und zu verbessern.

Forschungsprojekt NERRI

Die Veranstaltung am 16. Februar war Teil des vierjährigen, von der EU geförderten, Forschungsprojekts „NERRI“, das gesellschaftliche Vorstellungen und Positionen ausloten und gleichzeitig die öffentliche Debatte fördern sollte. Dafür wurden insgesamt 60 Veranstaltungen in 11 Ländern mit verschiedenen Stakeholdern durchgeführt. Für den österreichischen Beitrag arbeitete das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) zusammen.

Was Neuro-Enhancer können

Am Beginn der Diskussion stand die Frage, ob sogenannte Neuro-Enhancer kognitive Leistungen wirklich verbessern können. Die Antwort drauf ist durchaus komplex und neben der physiologischen Wirkung auch mit gesellschaftlichen Erwartungen und medialen Darstellungen verknüpft. Denn die Vorstellung von StudentInnen, die durch sogenannte Smart Drugs, also Pillen die im weitesten Sinn klüger machen sollen, besser und mehr lernen können, sind gerade im angloamerikanischen Raum weit verbreitet. Die Anzahl der Personen, die tatsächlich regelmäßig zu derartigen Substanzen greifen, liegt jedoch laut der Neurowissenschaftlerin Ilina Singh von der Oxford University weit unter den medial präsentierten Daten. Sowohl Singh als auch der Pharmakologe Harald Sitte von der Medizinische Universität Wien betonten, dass mit Substanzen wie Ritalin oder Amphetamin die Motivation gesteigert und damit auch die Lernspanne erhöht werden kann. Diese erzeugen ein „Gefühl“ mehr zu leisten, wobei die tatsächliche Leistungsfähigkeit oftmals gleich bleibt oder die Fehleranfälligkeit sogar erhöht wird.

Phantomdiskussion in Österreich

Wem dieses Thema nun gar nichts sagt, befindet sich in guter Gesellschaft. Der Soziologe Jürgen Hampel von der Universität Stuttgart spricht in diesem Zusammenhang gar von einer Phantomdiskussion. Doch wie kann man über eine Entwicklung diskutieren, die öffentlich nicht präsent ist? „Der Wunsch, die eigene kognitive Leistungsfähigkeit zu verbessern, ist so alt wie die Menschheit selbst“ erklärt die Arbeits- und Sozialpsychologin Nicole Kronberger von der Uni Linz. Die Menschen verfügen daher über ein beachtliches Reservoir an Vorstellungen, Ideen und Meinungen, ob und wie diese neuen Technologien in unsere Gesellschaft integriert werden sollen. Laut Studienleiter Helge Torgersen vom Institut für Technikfolgenabschätzung in Wien kann das Thema Neuro-Enhancement außerdem als Linse für soziale und gesellschaftspolitische Fragen begriffen werden. Dies zeigte sich auch in den Beiträgen aus dem Publikum, in denen die aktuelle Situation in Syrien, die Ökonomisierung und Individualisierung der Gesellschaft sowie Fragen zum guten und gemeinschaftlichen Leben mit dem Thema verbunden wurden.

Kulturelle Unterschiede

Anders ist die Situation im angloamerikanischen Raum. Hier sind Transhumanisten, die in einer radikalen Veränderung der menschlichen Natur durch neue Technologien die nächste Stufe der menschlichen Evolution sehen, medial und öffentlich durchaus präsent. Auch Regierungen zeigen Interesse an Neuro-Enhancement, um die wirtschaftliche und gesellschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. In Österreich und Deutschland wird das Thema kritischer betrachtet und mit einem damit einhergehenden Druck zur Leistungssteigerung und Anpassung an die gestiegenen Anforderungen der Arbeitswelt verknüpft.

Vor diesem Hintergrund waren sich Podium und Publikum an diesem Abend dann auch in einem Punkt einig: Technologien sollen wieder verstärkt ihrem ursprünglich „dienenden“ Sinn folgen und damit zu einer gerechteren und solidarischen Gesellschaft beitragen.

Quellen:

Podiumsdiskussion: Kluge Grenzen oder grenzenlos klug?, Dienstag, 16. Februar 2016, 18:00 Uhr, Museum für Volkskunde Wien

APA Science vom 17.02.06, Aussendung der OEAW vom 10.02.2016

APA Science vom 17.02.06, APA Meldung vom 17.02.2016

 

Artikel erstellt am 22.02.2016 von SiS