Joachim Allgaier, DiplSozPhD, ist Soziologe, Medien- und Kommunikationsforscher und gegenwärtig am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der AAU in Klagenfurt als Senior Scientist tätig. Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und Technikforschung widmet er sich insbesonders der Frage, wie Wissenschaft und Technik in den Medien, dem Internet und der Populärkultur repräsentiert werden, und wie unterschiedliche Öffentlichkeiten diese Repräsentationen wahrnehmen. Derzeit untersucht er, wie Wissenschaft und Technik in sozialen Netzwerken in Form von Online-Videoformaten sowie in der Populärkultur kommuniziert werden.
Herr Allgaier, Sie forschen zum Verhältnis von Wissenschaft und Populärkultur. Wie ist denn Ihr Interesse an diesem Thema entstanden?
Ich habe mich schon in meiner Doktorarbeit mit der Beziehung von Wissenschaft und Öffentlichkeit beschäftigt. Bisher hat man sich in diesem Bereich hauptsächlich zwei Dinge angeschaut: Die Berichterstattung von journalistischen Massenmedien und den großen Forschungsbereich Science Education - also was in der Schule zum Thema Wissenschaft passiert. Aber das Dritte, was mir immer ein bisschen gefehlt hat, sind eben populärwissenschaftliche Darstellungen, zum Beispiel in Unterhaltungsformaten. Ich gehe davon aus, dass das einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss darauf hat, was die Öffentlichkeit für ein Bild von Wissenschaft und Forschung oder auch von wissenschaftlichen Techniken und Methoden hat.
Kann man abschätzen, welchen Einfluss die Wissenschaft in solchen Formaten hat?
Menschen haben natürlich ganz unterschiedliche Medienkonsummuster, auch der Bildungsgrad ist verschieden - inwieweit sie formale Bildung genossen haben und durch formale Darstellungen in diesem System viele Jahre hindurch beeinflusst wurden. Das Rezeptionsverhalten fächert sich in der Gesellschaft sehr breit auf. Da gibt es Leute, die lesen zum Beispiel nur die Kronenzeitung, und andere sind in Qualitätsmedien mit viel detailreicheren wissenschaftlichen Darstellungen beschäftigt. Diese Frage allgemein zu beantworten wäre also reine Spekulation. Mir ist aber aufgefallen, dass die Leute, die man am ehesten mit Public Engagement Aktivitäten erreichen will, am Schwierigsten zu erreichen sind. Zum Beispiel in Museen gibt es diese Selbstselektion: Es kommen die Personen, die sowieso schon überdurchschnittlich gut informiert sind. Und deshalb interessiert mich jetzt, was die Leute daheim sehen, freiwillig. Und momentan schauen eben viele Leute Fernsehserien an und sind auf YouTube unterwegs. Deshalb ist es wichtig, auch zu erforschen, welche Bilder von Wissenschaft man in diesen Kanälen eigentlich findet.
Sie forschen also eher an der Frage, wie Wissenschaft repräsentiert und weniger wie diese aufgenommen wird?
Rezeptionsforschung wäre natürlich ein wichtiger weiterer Schritt. Aber zuerst muss man sich die Inhalte anschauen, damit man überhaupt weiß, was es alles gibt. Und dann kann man sich anschauen, wie sich die Leute diese Inhalte aneignen. Natürlich wäre es sehr interessant, alle drei Ebenen zu untersuchen. Dafür müsste auch die Seite der Medienproduktion einbezogen und damit die Wissenschaftsbilder von JournalistInnen oder DrehbuchautorInnen analysiert werden. Was den Inhalt betrifft, müsste man sich anschauen, was man eigentlich zum Thema Wissenschaft findet - in den meisten Fällen wahrscheinlich NICHTS. Dazu gibt es auch Studien, die zeigen, dass in Fernsehformaten jede Menge an PolizistInnen - also alles, was mit Kriminalistik zu tun hat – und lustigerweise auch relativ viele Nonnen und Pfarrer vorkommen, aber ganz selten explizit WissenschaftlerInnen. Und wenn, dann aus dem forensischen Bereich, wie zum Beispiel die Pathologin im Tatort. Das zeigt sich auch in diesem Run auf Serien wie etwa Silent Witness.
Sie haben nun ja schon einige Beispiele für die Darstellung von Wissenschaft in der Populärkultur genannt, können Sie noch andere, typische nennen.
Für mich ist es spannend anzuschauen, wie WissenschaftlerInnen oder auch KommunikatorInnen populäre Unterhaltungsformate produktiv benutzen. Wobei das auch enttäuschend sein kann, weil Wissenschaft dabei oft sehr stark trivialisiert wird. Und wenn sie dann nur noch für einen Lacher gut ist wie bei manchen Science Slams… Da habe ich zum Beispiel den Eindruck, dass es nicht um wissenschaftliche Tiefe sondern darum geht, wer sein Zeug am witzigsten präsentiert. Man kann natürlich darüber streiten, wie das gewertet wird, und muss immer im Hinterkopf behalten, dass Humor nur eine von vielen Funktionen ist, um etwas auszudrücken. In diesem Zusammenhang habe ich mir angeschaut, wie NachwuchswissenschaftlerInnen Lady Gaga Songs benutzen, um über ihren Laboralltag zu berichten oder um kritisch darzustellen, dass da auch Einiges schiefläuft mit dem Publikationsbetrieb oder dem Anstellungsverhältnis. Und wenn das witzig oder amüsant verpackt wird, dann hat man halt auch eine Chance, dass Leute sich das anschauen. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Es gibt eine Unzahl an populärkulturellen Darstellungsformen, z.B. bietet das Comicformat sehr viele Möglichkeiten, um Wissenschaft zu verpacken und zu verbreiten. Das geht so weit, dass Leute wie Jay Hosler - das ist ein amerikanischer Biologe und Comiczeichner - seine Erkenntnisse über Bienen nicht nur in Form von Journalartikeln, sondern tatsächlich auch in der Form von Comics publiziert. Das funktioniert super, ist spannend anzuschauen und auch wissenschaftlich korrekt dargestellt.
Welche Wissenschaftsthemen sind Ihrer Beobachtung nach stark in der Populärkultur vertreten? Wir von Open Science beschäftigen uns ja hauptsächlich mit Themen aus den Lebenswissenschaften, wie beispielsweise der Molekularbiologie oder der Genetik. Wie sehen Sie diese Bereiche?
In der journalistischen Wissenschaftsforschung spricht man in dieser Hinsicht von Nachrichtenhierarchien oder -pyramiden. Und da wurde von unterschiedlichen Seiten herausgefunden, dass alles, was mit Biomedizin und Gesundheit zu tun hat, am meisten nachgefragt wird. Das hängt damit zusammen, dass JournalistInnen und HerausgeberInnen diese Themen selber als relevant erachten, weil sie beispielsweise Angehörige haben, die betroffen sind. Aber dieses Schreckgespenst Biotechnologie, das seit den 90ern sehr präsent im fiktionalen und Unterhaltungsbereich war, wird jetzt wahrscheinlich von den Themen Neuro und Robotik abgelöst - was natürlich auch sehr gut ins klassische Science Fiction Genre hineinpasst. Aber ich habe schon das Gefühl, dass die Life Sciences relativ stark vertreten sind.
Mit Jurassic World ist ja gerade ein aktueller Blockbuster im Kino, der Paläontologie und Molekularbiologie aufgreift und wo Dinosaurier genmanipuliert werden. Paläontologen haben sich bereits negativ über die Darstellung der Dinosaurier geäußert, z.B. dass sie keine Federn tragen. Gleichzeitig gibt es Stimmen, die sagen, dass nicht die Wissenschaftlichkeit der Darstellung zählt, sondern dass es viel wichtiger ist, damit eine neue Generation von Kindern und Jugendlichen für die Forschung zu begeistern. Wie sehen Sie das?
Solche Filme können natürliche ein Türöffner für derartige Debatten sein. Man hat das Gefühl, dass wenn irgendein wissenschaftliches Thema in einem Film gestreift wird, sofort Fachleute auftauchen und herummäkeln, dass etwas nicht wissenschaftlich akkurat dargestellt wurde. Aber aus der Sicht von Filmemachern geht es eher um Plausibilität und um ansprechende Storylines. Und wenn zu sehr auf wissenschaftliche Details Wert gelegt wird, dann wird das leicht zu einer Veranstaltung für „Geeks“, die für normale Zuschauer relativ uninteressant ist.
Sie haben sich auch angesehen, wie Wissenschaft in Popmusik und insbesondere in Musikvideos einfließt. Nennen Sie doch bitte ein paar Beispiele und wie Wissenschaft darin thematisiert wird.
Von professionellen Musikern und Künstlern gibt es da relativ wenig. Es ist anscheinend einfach unattraktiv, über wissenschaftliche Themen zu singen, außer bei ein paar Ausnahmen wie They might be giants oder auch Radiohead. Aber was man findet, sind WissenschaftlerInnen, die selbst Musikvideos oder Parodien produzieren. Und das geht in alle Richtungen, weil dank YouTube das jeder Online stellen kann und es auch keine hohen Produktionskosten gibt. Auf der Datenbank Sing About Science findet man an die 6000 Lieder über alle möglichen wissenschaftlichen Themen, und es gibt auch tausende Videos dazu –also es tut sich erstaunlich viel in diesem Bereich.
Stichwort Open Science: WissenschaftlerInnen sind ja immer mehr dazu aufgefordert, ihre Forschung für die Öffentlichkeit zu öffnen und nicht mehr nur in engen Fachkreisen zu präsentieren. Wäre Musik hierfür ein Medium, das sich anbieten könnte? Oder welche anderen Wege sehen Sie für WissenschaftlerInnen, ihre Forschung durch Popkultur öffentlich zu machen?
Ich persönlich befinde mich hier in einem Interessenskonflikt, denn ich weiß gar nicht, ob man das WissenschaftlerInnen überhaupt nahe legen sollte. Die sind schon so überlastet, und wenn ich jetzt auch noch daherkomme und ihnen sage, ihr müsst jetzt noch Musikvideos drehen und Comics zeichnen, würde ich mir glaube ich keine Freunde machen. Ich schlage vor, kreative Allianzen einzugehen. Es gibt ja genug kreativen Nachwuchs oder Kreativschaffende, die auch Schwierigkeiten haben, ihre Arbeit anzubringen. Wenn man es hier schaffen würde, dass KünstlerInnen mit WissenschaftlerInnen kooperieren und sich mit wissenschaftlichen Inhalten beschäftigen und dabei neue Wege der Vermittlung überlegen, wäre das das Spannendste, was man zur Zeit machen kann. Ich glaube, die Möglichkeiten sind sehr, sehr vielfältig, aber man muss halt einen Rahmen für Outreachaktivitäten schaffen, der von der akademischen Community auch anerkannt wird. Ansonsten ist es sehr schwierig, die Leute zu motivieren, da viel Energie und Zeit reinzustecken. Das ist ein genereller Knackpunkt in dieser Geschichte.
Letzten Herbst haben Sie eine Konferenz zum Thema Wissenschaft und Popkultur in Klagenfurt veranstaltet. Wie sehen Sie retrospektiv den Forschungsstand dazu? In welchen Bereichen wissen wir bereits viel, und wo gibt es noch Lücken?
Relativ viel wird momentan in den Geschlechterwissenschaften, also alles was mit Role Models zu tun hat, geforscht. Da steht natürlich die politische Agenda dahinter, Frauen in MINT-Fächern zu fördern. Auch der Bereich Science Education, also wie man popkulturelle Formate im Schulunterricht integrieren und umsetzen kann, ist gut abgedeckt. Aber es gibt relativ wenig über eher unkonventionelle Formate, das hat mich ein bisschen gewundert. Ein Beitrag, der mich wirklich begeistert hat, kam aus Frankreich, wo Leute mit interessierten Laien auf Expeditionen gehen und diese tatsächlich Teil des Forscherteams werden. Das ist alles echt und die Ergebnisse werden auch veröffentlicht. Ich finde hier besonders den Blick auf die Hinterbühne eine interessante Idee. Oder aus Brasilien gab es einen lustigen Beitrag zu Wissenschaft im brasilianischen Karneval.
Vielen Dank für das Interview!
Erstellt am 21.12.2015