Die Tricks der Nacktmulle gegen Krebs und Altern

Nacktmulle sind für Krebs nicht anfällig und können sehr alt werden, Bild: Roman Klementschitz, Wien (CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons)

Eine Studie, an der auch die Veterinärmedizinische Universität Wien beteiligt war, liefert neue Erkenntnisse zur Funktion von Stammzellen bei der Gewebeerhaltung im Darm.

Nacktmulle sind mausähnliche Nagetiere, die – wie es der Name schon sagt – kaum Haare oder ein Fell haben. Sie leben unter der Erde und sind in den Halbwüsten Ostafrikas heimisch. Diese nicht allzu schön anzusehenden Nager sind mit Fähigkeiten ausgestattet, die sie von anderen Säugetieren unterscheiden: Nacktmulle können ihre Alterung verlangsamen und übertreffen mit einer Lebenserwartung von bis zu 30 Jahren damit Maus, Ratte und Hamster um ein Vielfaches. Des Weiteren sind die kleinen Nager äußerst widerstandsfähig gegen Krebs. Daher eignen sie sich perfekt zur Forschung am Alterungsprozess sowie an Krebs, um daraus eventuell Rückschlüsse auf den Menschen ziehen zu können.

Adulte Stammzellen: Wichtig für Reparatur und Regeneration von Gewebe

Wissenschaftler:innen vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmeduni) Wien nutzten den Nacktmull nun für eine Studie, in der sie den Gewebestoffwechsel im  Darm näher untersuchten.

Um in einem Gewebe ein physiologisches Gleichgewicht aufrecht erhalten zu können, müssen die so genannten adulten Stammzellen (ASC) streng reguliert werden. Diese speziellen Zellen stellen eine Art Reservoir an Zellen für Reparaturen und Umbauarbeiten in Geweben dar, die im Laufe des Lebens notwendig sind. Anders als embryonale Stammzellen (ES-Zellen) sind adulte Stammzellen nicht pluripotent – sie können sich also nicht in alle Zelltypen eines Organismus entwickeln. ASC sind stattdessen multipotent und können nur mehr zu Zelltypen jenes Gewebes oder Organs entwickeln – dazu „differenzieren“ – in dem sie lokalisiert sind. Um das Darmepithel, das ein Gewebe mit hohem Umsatz darstellt, effizient reparieren und regenerieren zu können, müssen sich die ASC kontinuierlich teilen und ausdifferenzieren.

Die reiferen Zellen im Gewebe sterben durch einen programmierten Zelltod (Apoptose). Da die adulten Stammzellen jedoch hier eine Ausnahme darstellen und länger überleben, sind sie auch einem erhöhten Risiko für Mutationen ausgesetzt und generell weniger fit. Dies macht sich im Alter sowie bei Krankheiten wie Krebs bemerkbar.

Besonderer Darmtrakt bei Nacktmullen

Im Rahmen einer Studie mit internationaler Zusammenarbeit verglich das Team der Vetmeduni Wien die adulten Stammzellen im Darm von Nacktmullen mit jenen von Mäusen und Menschen. Dabei fanden die Forscher:innen bei Nacktmullen einen größeren Pool an Darm-ASCs, die im Vergleich zu Mäusen eine langsamere, im Vergleich mit dem Menschen aber eine  ähnliche Teilungsrate aufwiesen.

Die Forscher:innen entdeckten eine weitere Besonderheit der Nackmulle: In deren Darm fanden sie mehr differenzierte Zellen, die der Darmschleimhaut einen besseren Schutz und eine verbesserte Funktion verleihen. „Die Darmschleimhaut von Nacktmullen ist in der Lage, jedes chemische Ungleichgewicht in der Darm-Umgebung effizient zu erkennen und eine robuste pro-apoptotische, anti-proliferative Reaktion innerhalb der Stammzellzone auszulösen“ so Studien-Co-Autor Dustin J. Penn

Geringeres Krebsrisiko durch mehr Stammzellen

Nacktmulle sind laut den Forscher:innen bemerkenswerte Tiere: Neben ihrer Studie gibt es bereits zahlreiche Belege dafür, dass diese Nager im Lauf der Evolution einzigartige Anpassungen entwickelt haben, die ihnen eine langfristige Aufrechterhaltung der Gewebehomöostase (physiologischer Gleichgewichtszustand) ermöglichen.  Und das hat einen erstrebenswerten Nebeneffekt: Das Auftreten altersbedingter Erkrankungen wie beispielsweise Krebs wird dadurch verringert.

Nacktmulle besitzen in allen Gewebtypen eine größere Reserve an adulten Stammzellen, was ihnen die effiziente Erhaltung des Gewebes in einer Umgebung mit hohem oxidativem und mechanischem Stress erleichtert. Oxidativer Stress, der unter anderem durch UV-Strahlung, Abgase, Pestizide oder auch Schlafmangel entsteht, begünstigt die Anhäufung von Mutationen (Veränderungen in der DNA-Sequenz), was folglich zu Krebs führen kann.

Bei Nacktmullen kommt es aufgrund des größeren ASC-Pools zu geringerer Anhäufung von schädlichen Mutationen, da es eine stärkere Selektion gegen diese gibt. Mutierte Zellen werden eher aussortiert und sterben, und so sinkt auch das Krebsrisiko. Zellen mit Mutationen können sich somit auch nicht mehr vermehren und ausbreiten – ein Prozess, der charakteristisch für das Altern ist.

Des Weiteren verhindert die niedrigere Teilungsrate der ASCs im Darm von Nacktmullen – und auch beim Menschen – vermutlich deren Erschöpfung, was für eine höhere Lebenserwartung erforderlich ist.

CS, 30.01.2024


Quellenangaben

Originalpublikation:

Montazid S., Bandyopadhya, S., Hart DW et al.: Adult stem cell activity in naked mole rats for long-term tissue maintenance. Nat Commun 14, 8484 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-44138-6

Referenz

Presseaussendung der Vetmeduni Wien vom 23.1.2024