Wie Zellen ihren Zellkern sauber halten

Im Zellkern werden Proteine von der "zelleigenen Müllabfuhr" abgebaut, Bild: Pixabay, CCO

WissenschaftlerInnen vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien haben einen Screen entwickelt, mit dem sie systematisch Regulatoren beliebiger Gene identifizieren können. Bei der Suche nach Regulatoren des Krebs-assoziierten Gens MYC machten sie eine erstaunliche Entdeckung: Sie fanden heraus, wie Zellen ihre „Müllabfuhr“ in den Zellkern holen, um dort dann ungewollte Proteine abzubauen.

Screen für Regulatoren von Krebs-assoziierten Genen

Für die Suche nach möglichen Regulatoren von Krebs-assoziierten Genen haben Forscher*innen um Johannes Zuber vom IMP zu einem cleveren Trick gegriffen. Die Wissenschaftler*innen haben einen speziellen Screen entwickelt, der das Identifizieren von „cellular switches“, die Krebs-Gene ein- und ausschalten können, ermöglicht. Der Screen funktioniert nach folgendem Prinzip:  Mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas eliminieren die Forscher*innen zunächst ein beliebiges Gen zu einem bestimmten kontrollierten Zeitpunkt. Danach untersuchen sie, ob durch diesen „knock out“ die Häufigkeit von Proteinen verändert wird, die bei Krebs eine Rolle spielen. Ist das der Fall, so könnte das eliminierte Gen einen Regulator von Krebs-Genen und somit ein mögliches Ziel für die Krebstherapie darstellen.

MYC: Naheliegender Kandidat für Screen

Eines der Gene, das Zuber und sein Team als erstes in ihrem Screen untersuchten, war der Transkriptionsfaktor MYC. Dieser ist unter anderem für die Proliferation von Zellen, für Zellwachstum und Differenzierung, für die Selbsterneuerung von Stammzellen und für die Kontrolle des Zellzyklus wichtig. In Tumorzellen kommt MYC in übermäßig hohen Mengen vor und verursacht einen Anstieg der Zellteilungen. In gesunden Zellen ist MYC jedoch eines der kurzlebigsten Proteine: Sobald es seine Arbeit verrichtet hat, muss es zerstört werden, sonst verursacht es ungewolltes Zellwachstum.

Die wichtige Aufgabe des Abbaus von nicht mehr benötigten Proteinen in der Zelle übernimmt das so genannte Proteasom – ein Protein-Komplex, der als Reinigungsdienst in der Zelle agiert, quasi die zelleigene Müllabfuhr. Ein kontrollierter Proteinabbau ist nicht nur bei MYC wichtig: Die Funktion unserer Organe, Gewebe und Zellen hängt von der schnellen Produktion und dem Turnover von zehntausenden Proteinen ab. Wird ein Protein nicht mehr benötigt, wird dieses in gesunden Zellen vom Proteasom in kleinere Stücke – so genannte Peptide – zerlegt.

Unerwartete Entdeckung: AKIRIN2

Bei ihrer Suche nach MYC-Regulatoren machten die Wissenschaftler*innen um Zuber eine erstaunliche Entdeckung, die sie so nicht erwartet hatten: In jedem Screen, den sie durchführten, fanden sie unter möglichen Regulatoren ein kleines Protein namens AKIRIN2. Dieses schien essenziell dafür zu sein, MYC auszuschalten. Zellen ohne AKIRIN2 zeigten stark erhöhte Mengen an MYC – ähnlich wie beim Ausschalten des Proteasoms.

Bei genaueren Untersuchungen fanden die Forscher*innen heraus, dass AKIRIN2 immer mit dem Proteasom assoziiert war. Das kleine Protein war außerdem nicht nur für die Regulation von MYC vonnöten, sondern auch für die anderer kurzlebiger Proteine. Allerdings handelte es sich dabei immer um Proteine im Zellkern, dem Nukleus. Beim Fehlen von AKIRIN2 sammelten sich diese Proteine im Kern.

AKIRIN2 bringt Proteasom in Zellkern

Für weitere Experimenten profitierte Zuber dann von der interdisziplinären Forschung des IMP und holte sich Hilfe von David Hasselbach, auch Gruppenleiter am IMP und Experte für Proteasomen. Gemeinsam konnten die Forscher*innen dann die naheliegende Hypothese bestätigen: AKIRIN2 hilft dem Proteasom, in den Zellkern zu gelangen, um dort ungewollte Proteine zerstören zu können.

Mit biochemischen Analysen konnten die Wissenschaftler*innen dann auch noch zeigen, wie das genau bewerkstelligt wird: AKIRIN2 bildet ein Dimer aus zwei gleichen Molekülen, das ähnlich aussieht wie zwei Finger. Diese „Finger“ heften sich an das Proteasom und bringen es vom Zytoplamsa in den Zellkern. Dieser Prozess ist speziell nach jeder Zellteilung wichtig, wenn AKIRIN2 das Proteasom vom Zytoplasma in die neu gebildeten Zellkerne der beiden Tochterzellen bringt.

Proteasom-Inhibitoren als mögliche Anwendung

Im Kampf gegen verschiedene Arten von Krebs werden bereits Inhibitoren eingesetzt, welche die Aktivität des Proteasoms blockieren. Ein Problem bei existierenden Arzneimitteln ist jedoch, dass die Proteasomen in allen Zellen des Körpers betroffen sind und nicht nur jene in Krebszellen. Das wiederum kann zu ungewollten Nebeneffekten in den gesunden Zellen führen.

Da AKIRIN2 nach jeder Zellteilung Proteasomen in den Zellkern bringt, wird in dieses kleine Protein große Hoffnung gesteckt. Die Idee für AKIRIN2-basierte Medikamente ist folgende: Blockiert man die Interaktion zwischen AKIRIN2 und dem Proteasom, könnte man selektiv die Proteasomen im Zellkern von Zellen inhibieren, die sich schnell teilen – wie eben Krebszellen.

Um solche selektiven Proteasom-Inhibitoren zu entwickeln, müssen die Funktion und Regulation von AKIRIN2 jedoch zuvor noch besser untersucht werden.  

as, 23.12.2021


Quellenangaben

Originalpublikation:

de Almeida M., Hinterndorfer M., Brunner H. et al.: AKIRIN2 controls the nuclear import of proteasomes in vertebrates. Nature 599, 491–496 (2021).

Bericht dazu:

Pressemeldung vom IMP