Woher stammt das neuartige Coronavirus, und wie konnte es von Tieren auf den Menschen übertragen werden? Antworten auf diese Fragen gibt unser Experte, der Genetiker und Wildtierforensiker Stefan Prost, in einem Gastbeitrag.
Lange hat kein Virus die Welt so stark verändert wie das Coronavirus SARS-CoV-2, das die Lungenkrankheit COVID-19 auslöst. Gut fünf Monate nach seiner Entdeckung wurden laut der Johns Hopkins University in den USA bereits mehr als 1.500.000 Menschen in 185 Ländern positiv auf das Virus getestet, und mehr als 100.000 Menschen sind daran gestorben.
Entdeckt wurde das severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2), wie das Coronavirus korrekt genannt wird, im Dezember 2019 in Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei. Viele der ersten Fälle der resultierenden Lungenkrankheit COVID-19 ließen sich zum Huanan Seafood Market in Wuhan zurückverfolgen, was die Vermutung nahelegt, dass sich das neue Virus von dort ausbreitete. Von Coronaviren ausgelöste Infektionskrankheiten beim Menschen sind zoonotischen Ursprungs, das heißt, sie werden von Tieren auf Menschen übertragen. Die meisten der sieben bei Menschen bekannten Coronaviren lösen allerdings nur leichte Symptome aus, die jenen eines grippalen Infekts ähneln. Ausnahmen hierbei sind: Severe acute respiratory syndrome coronavirus (SARS-CoV), Middle East respiratory syndrome coronavirus (MERS-CoV) und jetzt das severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2). Ähnlich wie SARS-CoV-2 lösen SARS-CoV und MERS-CoV akute Lungenkrankheiten aus, allerdings mit weitaus höheren Sterberaten.
SARS-CoV trat erstmals 2003 auf. Auslöser dürfte damals eine Übertragung des Virus von Schleichkatzen auf den Menschen auf einem Wildtiermarkt in Guangdong in China gewesen sein. MERS-CoV wurde erstmals 2012 in Saudiarabien nachgewiesen und hat seinen Ursprung wahrscheinlich in Dromedaren. MERS-CoV ist schlecht an den Menschen als Wirten angepasst und wird deswegen nur selten zwischen Menschen übertragen. Im Unterschied dazu ist die Übertragungsrate von SARS-CoV-2 sehr hoch, und schnell wurde klar, dass sich der Ausbruch von COVID-19 in eine Epidemie entwickeln wird – einen örtlich und zeitlich begrenzten Ausbruch einer Infektionskrankheit. Was in den ersten Wochen allerdings keiner ahnen konnte war, dass sich die Krankheit schnell in eine Pandemie – einen örtlich unbegrenzten Ausbruch einer Infektionskrankheit – entwickeln würde. Heute ist das Virus in mindestens 185 Ländern der Welt zu finden.
Bei Viren handelt es sich um infektiöse organische Strukturen, die sich außerhalb von Zellen zwar verbreiten können, jedoch geeignete Wirtszellen für ihre Vermehrung benötigen. Coronaviren besitzen tierische Wirte. Bei diesen natürlichen Wirten hat bereits eine Anpassung des Virus an den Wirt und vice versa stattgefunden, und das Virus kann sich ausbreiten, ohne dem Wirt zu schaden.
Viele Coronaviren, wie auch die dem SARS-CoV-2 ähnlichen Viren, sind unter anderem in Fledermäusen weit verbreitet. Kommt es zur Übertragung von einem Tier auf einen Menschen, findet das Virus oft kaum Widerstand vor, da sich das Immunsystem noch nicht an das neue Virus anpassen konnte. Das kann in weiterer Folge in einer vermehrten Ausbreitung des Virus resultieren.
Bei Infektionskrankheiten, die auf natürlichem Weg von Tieren auf den Menschen und umgekehrt übertragen werden können, spricht man von Zoonosen. Diese können durch Mutationen oder die Nähe von Tierarten, die normalerweise keinen Kontakt haben, begünstigt werden. Kommt es zu einer Vermehrung des Virus im neuen Wirt, steigt auch die Anzahl der Mutationen im Erbgut der Viren, was ihre Ausbreitung noch weiter begünstigen kann. Neue Wirte stellen in den meisten Fällen allerdings nur Zwischenwirte dar, da der Wirt durch das Virus erkrankt. Kommt es zu einer Anpassung, kann sich aus einem Zwischenwirt auch ein natürlicher Wirt entwickeln.
Schon sehr früh hat die Suche nach dem tierischen Zwischenwirt von SARS-CoV-2 begonnen. Dafür muss das genetische Material von Coronaviren aus verschiedenen Tierproben extrahiert und sequenziert werden. Danach wird es mit dem Erbgut des menschlichen Virus – seinem Genom – verglichen. Wie schon bei den durch Ebolaviren oder SARS-CoV hervorgerufenen Infektionskrankheiten wurden ForscherInnen sehr schnell bei Fledermäusen fündig.
Coronaviren in Fledermäusen, die SARS-CoV-2 ähneln, zeigten eine Übereinstimmung von 88 bis 96 Prozent mit dem Genom des Virus im Menschen. Weitere Untersuchungen fanden Virengenome mit einer Übereinstimmung von 86 bis 92 Prozent auch in Schuppentieren, die zwischen 2017 und 2019 als Schmuggelware beschlagnahmt worden waren. Schuppentiere sind stark vom Aussterben bedroht und repräsentieren die am häufigsten illegal gehandelten Säugetiere der Welt. Ihr Fleisch wird in weiten Teilen Asiens als Delikatesse beziehungsweise dessen Verzehr als Statussymbol angesehen, und ihren Schuppen werden medizinische Heilkräfte zugesprochen. Obwohl der Handel illegal ist, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Schuppentiere auch auf dem Huanan Seafood Market in Wuhan zu finden waren. Im Unterschied zu Fledermäusen, die bei einer Infektion keine Symptome zeigen, lösen SARS-CoV-2-ähnliche Viren auch bei Schuppentieren Krankheitssymptome aus. Diese zwei Tiergruppen sind weit voneinander entfernte Verwandte und kommen in der freien Natur nicht in ähnlichen Bereichen vor. Dies legt nahe, dass SARS-CoV-2ähnliche Coronaviren schon länger in Säugetieren zu finden sind.
Um die Frage zu beantworten, von welchem Zwischenwirt das Coronavirus letztendlich auf den Menschen übertragen wurde, haben ForscherInnen einen genaueren Blick auf das Genom des Virus geworfen. Verschiedene Bereiche im Virusgenom codieren für Proteine, die unterschiedliche Funktionen besitzen. So etwa sind spezielle Proteine der Virushülle, sogenannte Spikes oder S Proteine wichtig für die Wirtswahl von Coronaviren. S Proteine sind sehr variabel und für die Bindung des Virus an Oberflächenrezeptoren der Wirtszellen verantwortlich.
Ähnlich wie schon SARS-CoV besitzt auch SARS-CoV-2 in seiner Hülle Bindungsstellen, die optimal an das menschliche angiotensin converting enzyme-2 (ACE2) binden. Bei ACE2 handelt es sich um ein Transmembranprotein, das für die Steuerung des menschlichen Volumenshaushalts und die Regulierung des Blutdrucks wichtig ist. ACE2 wird beim Menschen im Herz, in der Lunge, in der Niere, im Endothel sowie im Magen-Darm-Trakt exprimiert. Obwohl das Genom des Coronavirus RaTG13, welches in Fledermäusen nachgewiesen werden konnte, zu 96 Prozent mit dem von SARS-CoV-2 übereinstimmt, gibt es doch wichtige Unterschiede. Einer davon ist die Rezeptorbindungsstelle des Virus in Fledermäusen, die nach ersten Analysen beim Menschen nicht oder nur schlecht an ACE2 bindet. Das legt nahe, dass Fledermäuse zwar natürliche Wirte von Coronaviren sind, die SARS-CoV-2 ähneln, aber nicht dessen direkte Zwischenwirte. Bei Schuppentieren hingegen weisen diese Bindungsstellen der jeweiligen Coronaviren eine deutlich höhere Ähnlichkeit auf, die Aminosäuresequenz ist hier bis zu 99% ident.
Andere Bereiche des Virusgenoms von Schuppentieren weisen allerdings große Unterschiede zum Coronavirus im Menschen auf. Damit SARS-CoV-2 im Menschen aktiviert wird, müssen seine S Proteine zunächst an einer bestimmten Stelle gespalten werden. Dies erfolgt durch ein menschliches Enzym namens Furin, welches in den Lungen, der Leber und im Dünndarm vorkommt. Diese spezifische Aktivierung hat großen Einfluss auf die Infektiosität und die Bandbreite der möglichen Wirte eines Virus. Weder Coronaviren von Fledermäusen noch die von Schuppentieren besitzen jedoch diese Spaltungsstelle in ihren S Proteinen.
Nach heutigem Standpunkt sind somit aufgrund der Unterschiede der viralen S Proteine hinsichtlich ACE2-Bindung und Spaltung durch Furin weder Fledermäuse noch Schuppentiere die wahrscheinlichen direkten Zwischenwirte für SARS-CoV-2. Allerdings wurden erst wenige Tiere getestet – zu wenige, um eindeutige Aussagen treffen zu können.
Täglich haben viele Millionen Menschen Kontakt mit Wildtieren. Zu der Übertragung von zoonotischen Viren, wie manchen Coronaviren, kommt es vor allem bei engem Kontakt zwischen Menschen und Tieren beziehungsweise zwischen verschiedenen Tierarten. Wildtiermärkte, wie sie in Asien und anderen Regionen der Welt vorkommen, zeichnen sich besonders durch die Anzahl an verschiedenen Tierarten und fehlende hygienische Standards aus. Hier kommen viele durch die Behandlung oder den Transport immungeschwächte Tierarten auf engstem Raum zusammen, unter anderem Tierarten, die in der freien Natur nicht gemeinsam vorkommen. Dies bietet eine verstärkte Basis für zoonotische Infektionen und führt zu erhöhten Wahrscheinlichkeiten eines sogenannten „spill-over events“, also der Übertragung von Viren zwischen Tierarten oder zwischen Tier und Mensch. Um zukünftige zoonotische Epidemien oder Pandemien zu vermeiden, muss sich der Umgang mit Tieren vor allem auf diesen Tiermärkten drastisch ändern. Es bedarf strikter Regeln, welche Tierarten verkauft werden dürfen, verstärkter Hygienerichtlinien zur Tierhaltung und regulärer genetischer Untersuchungen von Krankheitserregern in den zum Verkauf stehenden Tierarten. Diese Maßnahmen dienen also sowohl dem Schutz der Tiere als auch dem der Menschen, die auf diesen Märkten arbeiten – und in weiterer Folge von uns allen, wie die Corona-Pandemie von 2020 beweist.
Neue Wirte – Tiere wie auch Menschen– haben Viren oft kaum etwas entgegenzusetzen. Es ist bekannt, dass SARS-CoV-2-ähnliche Viren auch bei Schuppentieren zu Krankheitssymptomen führen können. Auch haben neue Studien nachgewiesen, dass SARS-CoV-2 auf Tiere zurückspringen kann, auf manche besser und auf manche schlechter. So hat sich gezeigt, dass das Virus leichter auf Katzen als auf Hunde übertragbar ist. Für Aufsehen sorgte auch die Meldung einer SARS-CoV-2 Infektion bei einem Tiger im Wildlife Conservation Society Zoo in New York City. Zudem ist mittlerweile bekannt, dass auch Katzen am Huanan Seafood Market in Wuhan wahrscheinlich mit dem Virus infiziert waren.
Da stellt sich natürlich die Frage, warum vor allem Katzen und Menschen davon betroffen waren. Die Antwort findet sich in der Sequenz der Rezeptorbindungsstelle im Spike Protein von SARS-CoV-2. Diese bindet vor allem an Rezeptoren bei Menschen, Katzen, Mardern und Schuppentieren. Es gibt allerdings bisher keine Beweise, dass Haustiere wie Katzen das Virus auch auf den Menschen übertragen können. Sicherheitshalber sollten jedoch strikte Hygienemaßnahmen eingehalten werden und erkrankte Tiere auch auf das Virus getestet werden.
In erster Linie sollte sich für das Schuppentier nichts ändern, da jeglicher Handel und Verzehr schon seit Jahren verboten ist. Allerdings sieht die Realität leider anders aus. Es bleibt zu hoffen, dass der (illegale) Handel mit Schuppentieren aufgrund ihrer Coronaviren jetzt stärker überwacht wird. Zum anderen können sich Aussagen wie “Das Schuppentier war der Zwischenwirt für SARS-CoV-2” auch sehr negativ auswirken, da diese Tiere jetzt aus Angst vor weiteren Ansteckungen vermehrt gejagt und getötet werden.
Über Stefan Prost
Der Genetiker und Wildtierforensiker Stefan Prost studierte Genetik und Mikrobiologie an der Universität Wien und promovierte am Allen Wilson Center for Molecular Ecology and Evolution an der Universität von Otago (Neuseeland) in biologischer Anthropologie. Er absolvierte Forschungsaufenthalte in Schweden, den USA und Deutschland. Seit 2018 ist der Biologe am LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik am Senckenberg Museum in Frankfurt (Deutschland) und dem SANBI National Zoological Garden in Pretoria (Südafrika), und auf dem Gebiet der Naturschutz-Genetik und Wildtierforensik tätig. Der Biologe erforscht die Auswirkungen von Umweltveränderungen und dem Menschen auf die Artenvielfalt unserer Erde und geschützte Tierarten, und setzt sich außerdem dafür ein, dass der illegale Handel mit Wildtieren unterbunden wird.
Stefan Prost zählt zum Pool der ExpertInnen von Open Science. Dieser setzt sich ausForscherInnen und WissenschaftlerInnen zusammen, die mit Open Science in Projekten zusammenarbeiten und/ oder den Verein für spezielle Anfragen und Ähnliches unterstützen.
as, 15.04.2020
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