Britischen ForscherInnen ist es gelungen, Bakterien mit einem vollständig künstlich hergestellten Erbgut zu erschaffen. Ihr Genom umfasst vier Millionen Basenpaare, und sie besitzen einen vereinfachten genetischen Code.
Der genetische Code funktioniert in allen Lebewesen gleich: Die Abfolge der vier Basen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T) in der DNA legt fest, welche Aminosäuren aneinandergereiht werden, um Proteine (Eiweiße) zusammenzusetzen. Dabei bilden immer drei Basenpaare einen sogenannten Triplett-Code, der nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip funktioniert: Das abgelesene Triplett – also eine Abfolge von drei Basenpaaren – auf der DNA bestimmt, welche Aminosäure beim Zusammenbau eines Proteins von der so genannten tRNA für den Einbau in die wachsende Aminosäurekette geliefert wird. Die Natur hat für 20 Aminosäuren insgesamt 64 Codons vorgesehen. Diese codieren bei der Proteinbiosynthese für den Beginn und das Ende der Aminosäurekette und bestimmen auch, welche Aminosäuren eingebaut werden. Da mehrere Tripletts für ein und dieselbe Aminosäure codieren können – im Durchschnitt gibt es etwa drei Tripletts pro Aminosäure, und es existieren auch drei unterschiedliche Schlußzeichen – spricht man von einem “degenerierten” genetischen Code. Verschiedene tRNAs können somit die gleiche Aminosäure liefern.
Die Erschaffung künstlichen Lebens ist an und für sich nichts Neues. Bereits im Jahr 2010 baute Craig Venter, einer der Pioniere der Gentechnik, das Erbgut eines Bakteriums synthetisch nach und schleuste es in lebende Mikroben ein. Auch ganze Chromosomen von Hefezellen wurden bereits künstlich zusammengesetzt. Gänzlich neue künstliche Bakterienarten wurden bereits am Computer erschaffen. Auch Bakterien mit 21 statt 20 Aminosäuren gibt es schon.
Was nun aber eine Forschungsgruppe aus England bewerkstelligte, setzt neue Maßstäbe im Bereich der synthetischen Genetik: Der Biochemiker Jason Chin und sein Team – darunter auch der Österreicher Wolfgang Schmied – ließ die vier Millionen Basenpaare des natürlich vorkommenden Darmbakteriums Escherichia coli mithilfe chemischer Synthetisiermaschinen nachbauen. Diese brachte er unter Zuhilfenahme der CRISPR/Cas Technologie dann Stück für Stück in das Erbgut von E.coli-Bakterien ein, bis deren ursprüngliche DNA komplett durch künstliche ausgetauscht war. Auf diese Weise wurde ein neuer Designer-Organismus mit dem Namen E. coli Syn61 geschaffen. Mit einer Genomgröße von vier Millionen synthetisch hergestellten Basenpaaren (4 Megabasen; MB) bricht dieser den bisherigen Rekord um ein Vielfaches. Dieser lag zuvor mit dem künstlichen Genom des Bakteriums Mycoplasma mycoides bei 1,08 MB – also rund einem Viertel.
E. coli Syn61 besitzt noch eine weitere Besonderheit: Dieser Organismus wurde E. coli zwar nachempfunden, kommt aber mit einem reduzierten genetischen Code aus. Die ForscherInnen verringerten bei ihrem Nachbau die Zahl der in der DNA vorkommenden Tripletts. Sie ersetzten drei redundante Dreiercodes durch Sequenzen, die für die gleiche Aminosäure codieren. So wurden zwei Tripletts für die Aminosäure Serin gar nicht mehr in die DNA eingebaut, und auch auf eines der drei unterschiedlichen Stop-Codons wurde bei der Synthese verzichtet. Insgesamt waren rund 18.000 Veränderungen im Genom notwendig, um die 64 ursprünglich vorkommenden Dreiercodes so auf 61 zu verringern.
Den drei Codons, die die WissenschaftlerInnen so "freispielen" konnten, könnte in Zukunft eine wichtige Bedeutung zukommen: Theoretisch könnte man jene tRNAs, die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip eben diese Sequenzen auf der DNA finden, mit alternativen Substanzen beladen. Die Bakterien könnten so beispielsweise artifizielle Aminosäuren in Proteine einbauen. So könnten völlig neue Biomoleküle geschaffen werden, die als Arzneimittel eingesetzt oder von der chemischen Industrie genutzt werden könnten, so eine Idee.
Einen klitzekleinen Wermutstropfen gab es trotz all der Euphorie bei der neuen Designer-Mikrobe: E.coli Syn61 unterscheidet sich unter dem Mikroskop von den natürlich vorkommenden Darmbakterien. Die Bakterien mit der synthetischen DNA sind etwas länger und vermehren sich langsamer. Das deuten die ForscherInnen so, dass die veränderten Codons vermutlich noch andere Funktionen außer Bauanweisungen haben.
Das neu erschaffene Bakterium E.coli Syn61 hat großes Potential für Forschung und Entwicklung. Doch auch Missbrauch kann nicht ausgeschlossen werden – sowohl für E.coli Syn61 im Speziellen als auch für die Technologie der synthetischen Genetik im allgemeinen, das ist den WissenschaftlerInnen bewusst.