RNA „Cherub“ bringt Krebszellen ewige Jugend

Drosophila/Fruchtfliege, Bild: Pixabay (CC0)

WissenschaftlerInnen vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) haben ein RNA-Molekül entdeckt, das Krebszellen jung hält. Die Ergebnisse wurden im wissenschaftlichen Open Access Journal Elife veröffentlicht.

Die Fruchtfliege als Tumormodell

Die Forschungsgruppe um Erstautorin Lisa Landskron und Gruppenleiter Jürgen Knoblich vom IMBA untersuchte im Gehirn von Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) die Entstehungsprozesse bei Krebs. Wie Säugetiere- und somit auch der Mensch- können Fliegen ebenfalls Tumore entwickeln und werden schon seit langem als Modellorganismen in der Tumorbiologie verwendet. Bereits in den 1980er Jahren wurden Tumorsurpressor-Gene bei Fruchtfliegen entdeckt. Die Produkte dieser Tumorsurpressor-Gene verhindern, dass sich Zellen mit beschädigtem Genom unkontrolliert teilen. Tritt aber eine Mutation in diesen Genen auf, so wird die Entstehung von Krebs begünstigt. Forschungen an Drosophila melanogaster haben in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Erkenntnisse für die Krebsforschung geliefert.

Das gefährliche Potenzial der Stammzellen

Im gesunden Organismus werden Wachstum und Zellteilung durch viele verschiedene biologische Signale kontrolliert. Im Gegensatz dazu geht bei Krebszellen die Kontrolle verloren, sie können sich unbegrenzt vermehren und werden „unsterblich“. So entstehen mitunter große Tumore, die meist fatale Folgen für den erkrankten Organismus haben. Außerdem werden in Krebszellen oft Gene aus der Embryonalentwicklung wieder angeschaltet. Diese sind in gesunden, erwachsenen Zellen normalerweise stillgelegt oder nur in bestimmten Gewebetypen aktiv.

Das Besondere an Stammzellen ist, dass sie sich asymmetrisch teilen. Aus einer Stammzelle entstehen im Normalfall eine weitere Stammzelle und eine Tochterzelle, die sich dann weiter spezialisiert. Wenn dieser Prozess aber aus dem Gleichgewicht gerät, beispielsweise durch Mutationen, entstehen anstatt spezialisierter Zellen nur noch Stammzellen, welche unkontrolliert einfach Kopien ihrer selbst erzeugen. Daher bezeichnet man diese Zellen, die auch Tumorstammzellen genannt werden, als unsterblich.

Krebszellen durch „Cherub“ für immer jung

Die Wiener ForscherInnen aus dem Team von Jürgen Knoblich untersuchten in der aktuellen Studie Nerven- Stammzellen in Hirntumoren von Fruchtfliegen. Dabei stießen sie auf einen bisher unbekannten Faktor, der zur Krebsentstehung beiträgt. Die Tumor-Stammzellen wiesen keine zusätzlichen Mutationen im Genom auf, enthielten aber eine große Anzahl ganz bestimmter RNA-Moleküle. Die lange, nicht kodierende RNA „Cherub“ lag in besonders großen Mengen vor.

Lange, nicht kodierende RNAs (long non-coding RNA = lncRNA) werden von der DNA abgelesen, aber nicht wie andere RNAs in Eiweiße/Proteine übersetzt, sondern dienen der Regulation verschiedener Prozesse in der Zelle. Die in Krebszellen im Überfluss gefundene lncRNA mit dem klingenden Namen „Cherub“- besondere Engel- ist in gesunden Nerven- Stammzellen funktionell überflüssig, sie besitzt keine erkennbare Funktion, dürfte bei der Entstehung entarteter Zellen hingegen eine wichtige Rolle einnehmen und ihnen zu ewiger Jugend verhelfen.

Bei gesunden Fruchtfliegen wird „Cherub“ bei der Teilung von Nerven- Stammzellen zwar an die Vorläufer-Zellen weitergegeben, zerfällt dort aber mit der Zeit. In Tumorzellen hingegen ist ein höheres Level an „Cherub“ vorhanden. Anders als bei normalen Nerven-Stammzellen verhindert diese lncRNA dadurch in Tumor-Stammzellen die normale Zellentwicklung, also die Differenzierung in spezialisierte Körperzellen. So bleiben die Krebszellen jung und unreif.

Auf molekularer Ebene vermittelt „Cherub“ die Interaktion zwischen zwei Proteinen in der Zelle: „Syncrip“ ist ein Protein, das für eine ältere, erwachsene Identität verantwortlich ist. Dieses interagiert über die lncRNA mit dem Protein „Staufen“, welches an die Membran bindet. Durch die Vermittlung der Bindung dieser Proteine aneinander kontrolliert "Cherub" die Lokalisation des Komplexes an den Rand der Zelle und bestimmt somit ihr Schicksal. Das zeitliche Programm ("Timing") der Zelle wird verändert und die Differenzierung verhindert- es entsteht eine Tumorstammzelle.

Mutation von „Cherub“ hemmt Wachstum von Krebszellen

Die Wiener ForscherInnen konnten zeigen, dass eine Mutation von „Cherub“ das Wachstum von Krebszellen bremst. Die publizierten Ergebnisse enthüllen somit eine Schlüsselrolle dieser lncRNA bei der Entstehung von Krebs im Hirn von Fruchtfliegen. Sie zeigen, dass das "Timing" der Spezialisierung, das durch die lncRNA-Moleküle verändert wird, wichtig für die kontrollierte Vermehrung von Zellen ist.

Die Frage ist nun, ob dieser Mechanismus auch bei anderen Organismen zu finden ist. Jürgen Knoblich ist bereits auf der Suche nach einem passenden Tumormodell, um diese Fragestellung beim Menschen zu erforschen und hofft, dass die neuen Erkenntnisse langfristig helfen, „eine Basis für vollkommen neue Behandlungsmöglichkeiten“ zu finden.

 

Quellen:

APA OTS, abgerufen am 29.03.2018

APA Science, abgerufen am 30.03.2018

ORF Science, abgerufen am 29.03.2018

 

Originalpublikation:

Landskron L., Steinmann V., Bonnay F. et al.: The asymmetrically segregating lncRNA cherub is required for transforming stem cells into malignant cells. Elife. 2018 Mar 27;7. pii: e31347. doi: 10.7554/eLife.31347.

 

 

JA, 04.04.2018