Optogenetik - wie Licht Zellen steuern kann

, Bild: Pixabay, CCO

Intensive Forschung auf dem Gebiet der Genetik hat im Laufe der letzten Jahrzehnte zu vielen neuen Erkenntnissen und zur Aufklärung wichtiger molekularer Mechanismen geführt. Neue Entdeckungen eröffnen gleichzeitig auch ein größeres Spektrum möglicher Anwendungen und Methoden. Eines der aktuell vielversprechendsten Fachgebiete der Genetik ist die Optogenetik – eine Verbindung von optischen Technologien und Genetik.

Lichtgesteuertes An- und Ausschalten von Zellaktivität

Das Prinzip der neuen Methode: mit Hilfe von Lichtimpulsen kann die Aktivität von Zellen manipuliert werden, und Eiweißstoffe dienen quasi als Lichtschalter. Dafür werden Zellen zunächst genetisch so verändert, dass sie Proteine herstellen, die mit Licht aktivierbar sind. Je nach Wellenlänge des verwendeten Lichts können diese Zellen dann selektiv und sehr präzise aktiviert oder deaktiviert werden. Optogenetische Schalter in kultivierten Zellen oder im Gehirn lebender Tiere erlauben beispielsweise die Untersuchung komplexer Nerven-Netzwerke. Die Optogenetik wird heute bereits weltweit für verschiedenste Zwecke eingesetzt und besitzt enormes Potential für biomedizinische Anwendungen. Dementsprechend groß sind auch die Erwartungen in diese Methode.

Revolution in Hirnfoschung

Ernst Bamberg, einer der „Väter“ der Optogenetik, vergleicht unser Nervensystem zur Veranschaulichung mit einem sehr komplexen elektrischen Schaltkreis [1]: Jede Nervenzelle enthält in der Zellmembran, die sie umgibt, Ionenkanäle und Ionenpumpen – das sind spezielle Proteine, die den Durchtritt von Ionen steuern können. Im Ruhezustand liegt ein negatives Membranpotential der Zelle vor. Bei Aktivierung durch ein chemisches Signal, wie beispielsweise durch Andocken von Botenstoffen an die Zelloberfläche, strömen positiv geladene Ionen durch die Ionenschleusen ins Zellinnere. Es entsteht ein so genanntes Aktionspotential, das sich ausbreitet. Die Nervenzelle „feuert“, und das elektrische Signal wird im Zellenverbund weitergegeben.

Bevor es die Möglichkeiten der Optogenetik gab, wurden zur Untersuchung von Neuronen die Zellen im Gehirn direkt durch Mikroelektroden stimuliert. Auch Neurotransmitter, freigesetzt durch eine gezielte Aktivierung mit Laser, wurden für Versuche eingesetzt. Dabei entstanden jedoch toxische Photoprodukte.

Mit der Entdeckung von mikrobiellen Kanalproteinen kam dann die Revolution, die Optogenetik war geboren. Diese ermöglicht es, Nervenzellen direkt durch Licht zu steuern, und das spezifisch, nicht invasiv und mit hoher räumlicher Auflösung. Wurde die Optogenetik in ihren Ursprüngen vor allem für die Hirnforschung eingesetzt, so gibt es heute bereits viel breiter gefächerte Anwensungsgebiete.

Kleine Entdeckungsgeschichte: Algenprotein als Grundlage

Die Optogenetik ist ein noch relativ junges Forschungsfeld. Ihre Anfänge gehen auf die Versuche von Gero Miesenböck, einen österreichischen Forscher, der in Oxford arbeitet, und Boris Zemelman in den Jahren 2002 und 2003 zurück. Die beiden Pioniere der Optogenetik waren die ersten, die Licht verwendeten, um gentechnisch veränderte Zellen zu kontrollieren: in ihren Versuchen brachten sie Photorezeptoren und verschiedene Signalproteine der Fruchtfliege in kultivierte Neuronen ein und machten sie selektiv lichtempfindlich [2, 3].

Den wichtigsten Grundstein der Optogenetik legte jedoch ein Forscherteam um Ernst Bamberg und Georg Nagel vom Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt und Peter Hegemann von der Berliner Humboldt-Universität. Sie erforschten in den neunziger Jahren Grünalgen (Chlamydomonas). Diese besitzen eine erstaunliche Fähigkeit: Fangen sie Lichtstrahlen auf, machen sie mit zwei kleinen Geißeln Schwimmbewegungen. Dafür benötigen sie einen speziellen lichtgesteuerten Protonenkanal, das so genannte Channelrhodopsin1 (ChR1, Kanalrhodopsin1) [4]. In den Jahren 2002 und 2003 brachten die Wissenschaftler eine bis dahin noch nicht näher charakterisierte Variante dieses Membranproteins, Channelrhodopsin2 (ChR2, Kanalrhodopsin2), in Eizellen des Krallenfrosches ein. Sie untersuchten anschließend die auftretenden Photoströme und konnten zeigen, dass es sich bei dem Protein um einen direkt durch Licht gesteuerten Protonenkanal handelt [5]. Somit waren die beiden die ersten, die einen lichtaktivierten Protonenkanal beschrieben und diesen in einen anderen Organismus einbauten, wo er den passiven Durchtritt von Ionen durch die Membran erleichterte. Die Algen-Rhodopsine arbeiten ähnlich wie Proteine im Auge, die Licht in Reize für die Nervenzellen übersetzen - die Forscher waren somit auf ein universelles Prinzip gestoßen.

Im Laufe der folgenden Jahre wurde die Technik stetig weiterentwickelt, in verschiedenen Organismen angewandt und erweiterte anfänglich vor allem die Werkzeugkiste der Hirnforscher. Im Jahr 2010 wurde die Optogenetik vom Fachjournal Nature Methods zur „Methode des Jahres 2010“ gewählt [6].

Prinzip der „molekularen Lichtschalter“

Channelrhodopsin1 (ChR1, Kanalrhodopsin1), ursprünglich ein Protein aus der Grünalge, wurde im Jahr 2002 als erstes Protein beschrieben, das gleichzeitig Lichtrezeptor und Ionenkanal ist [4]. Angeregt durch blaues Licht lässt dieses Rhodopsin positiv geladene Kalzium-Ionen in die Zelle einströmen. Seit 2003 weiß man, dass Channelrhodopsin2 (ChR2), eine Variante dieses Proteins, auch in die Zellmembran von Säugetierzellen eingebaut werden kann [5].

Bald darauf wurde Halorhodopsin in einem Archaebakterium entdeckt. Dabei handelt es sich um eine Ionenpumpe, die bei Bestrahlung mit gelbem Licht aktiv negativ geladene Chloridionen in die Nervenzelle pumpt und diese so inaktiviert. Kanalrhodopsin und Halorhodopsin haben somit entgegengesetzte Wirkungen: während Kanalrhodopsine in Neuronen Aktionspotentiale auslösen und die Zellen aktivieren, unterdrücken Halorhodopsine die Aktionspotentiale und deaktivieren die Nervenzellen. Somit lassen sich Ionenströme und das Verhalten der Zellen von außen steuern.

Licht ein, Licht aus – so können heute im Prinzip Zellen gesteuert werden. Hierfür sind allerdings entsprechende genetische und biochemische Manipulationen zur Vorbereitung nötig: Um Zellen gezielt mit Licht steuern zu können, muss zunächst die DNA-Information für die lichtgesteuerten Proteine in die eukaryotischen Zielzellen eingebracht werden, die normalerweise nicht auf Licht reagieren. Durch gezieltes Koppeln der DNA an bestimmte Kontrollregionen können Kanalproteine spezifisch in jenen Zellen hergestellt werden, die untersucht werden sollen. Zum Belichten der Zellen gibt es dann je nach Versuchstier verschiedene Möglichkeiten. Bei Experimenten mit Fadenwürmern beispielsweise werden die durchsichtigen Tiere direkt mit Licht bestrahlt. Dies ist auch bei Zellkulturexperimenten möglich. Wendet man optogenetische Methoden bei Mäusen an – und sind die Versuchstiere somit nicht mehr lichtdurchlässig - werden Glasfaserkabeln in die entsprechenden Regionen des Gehirns eingebracht, die das Licht ins Kopfinnere leiten. Durch ausgeklügelte gentechnische Veränderungen können die Zellen im Mäusegehirn so manipuliert werden, dass diese bei Aktivierung durch eintreffendes Licht auch selbst Licht einer bestimmten Wellenlänge aussenden, das gemessen werden kann.

Aktuelle Entwicklungen der Optogenetik

Die Optogenetik ist auf dem Vormarsch und erobert weltweit die Forschungslabore, so viel steht fest. Aktuell arbeiten ForscherInnen daran, Rhodopsine noch empfindlicher und reaktionsfähiger zu machen und die Lichtquellen zu verbessern, um noch tiefer in das optisch dichte Hirngewebe eindringen zu können. Das neuronale Netzwerk in Echtzeit darstellen zu können – das ist dabei das erklärte Ziel der Neurowissenschaften.

Ursprünglich als Steckenpferd für die Hirnforschung entwickelt und anfangs auch fast ausschließlich dafür angewandt, wird die Optogenetik heute sehr vielseitig eingesetzt: die leistungsstarke Technologie wird mittlerweile auch in der Zellbiologie, für die Analyse der Genexpression oder die Untersuchung von Signalkaskaden und anderen intrazellulären Abläufen verwendet. Die optogenetischen Möglichkeiten werden stetig weiterentwickelt, und in naher Zukunft werden sich hier sicher noch einige neue Forschungs- und Anwendungsfelder auftun.

Mithilfe der Optogenetik konnten im Laufe der letzten Jahre bereits funktionelle Schaltkreise im Gehirn kartiert werden. Auch der neuronale Informationsaustausch konnte exakt visualisiert werden, und der Geruchssinn konnte mithilfe optogenetischer Methoden weiter erforscht werden, um nur einige wenige Errungenschaften zu nennen. Des Weiteren gelang es bereits, das Verhalten von Versuchstieren – meist Fliegen oder Mäusen - zu manipulieren und deren Erinnerungen zu beeinflussen. Beispiele für die Anwendung der Optogenetik gibt es mittlerweile unzählige.

Medizinische Anwendungen der Optogenetik

Angesichts des rasanten Fortschritts steckt auch große Hoffnung für die Erforschung und Behandlung neuronaler Erkrankungen in der Optogenetik. In Tiermodellen wird hier bereits eine mögliche Anwendung bei Parkinson und Epilepsie erprobt. Im Vergleich zur konventionellen Behandlung durch Elektrostimulation gibt es hier einen klaren Vorteil: mittels optogenetischer Schalter können einzelne Zellen gezielt gesteuert werden, ohne Nachbarzellen unspezifisch und großflächig mit zu erregen. Und im Vergleich zu Medikamenten ist die Wirkungsweise der Optogenetik um einiges schneller.

Auch andere medizinische Anwendungsbereiche der Optogenetik wurden bereits getestet. So etwa gelang es schon, blinde Mäuse mithilfe optogenetischer Methoden wieder lichtempfindlich zu machen [7]. Dies ist ein neuer Hoffnungsschimmer für Menschen mit Makuladegeneration oder anderen Sehstörungen. Erste Ansätze gibt es auch schon für die Anwendung optogenetischer Methoden zur Behandlung von Krebs [8]. Bei der Entwicklung von Medikamenten greift die Optogenetik ebenfalls nach den Sternen: es wird aktuell an lichtmodulierten Arzneimitteln getüftelt. Auch bei Screening-Verfahren für neue Medikamente kommen optogenetischeMethoden schon zum Einsatz.

Einen grundlegenden Haken gibt es allerdings noch am großen Hype um die Optogenetik und mögliche Anwendungen: Ob und wie kranke Nervenzellen im menschlichen Gehirn überhaupt behandelt werden können, ist noch nicht gänzlich erforscht.

 

Referenzen:

[1] Webseite der Max-Planck-Gesellschaft, abgerufen am 24.10.2017: https://www.mpg.de/21225/Optogenetik

[2] Zemelman BV, Lee GA, Ng M. and Miesenböck G.: Selective Photostimulation of Genetically ChARGed Neurons (2002). Neuron, Band 33, Nr. 1, 3. January, p. 15–22.

[3] Zemelman BV, Nesnan N., Lee GA and Miesenböck G.: Photochemical gating of heterologous ion channels: Remote control over genetically designated populations of neurons (2003). PNAS, Band 100, Nr. 3, p. 1352–1357.

[4] Nagel G., Ollig D., Fuhrmann M. et al.: Channelrhodopsin-1: A Light-Gated Proton Channel in Green Algae (2002). Science. Band 296, Nr. 5577, 28. June, p. 2395–2398, doi:10.1126/science.1072068

[5] Nagel G., Szellas T., Huhn W. et al.: Channelrhodopsin-2, a directly light-gated cation-selective membrane channel (2003). PNAS, Band 100, Nr. 24, 25. November, p. 13940–13945, doi:10.1073/pnas.1936192100

[6] Method of the Year. Nature Methods (2010). 8, p. 1, doi:10.1038/nmeth.f.321.

[7] Bi A., Cui J., Olshevskaya E. et al.: Ectopic expression of a microbial-type rhodopsin restores visual responses in mice with photoreceptor degeneration (2006). Neuron 50, p. 23–33.

[8] Ingles-Prieto A., Reichhart E., Schelch K. et al.: The optogenetic promise for oncology: Episode I (2014). Mol Cell Oncol,  Oct 29;1(4):e964045. doi: 10.4161/23723548.2014.964045.

Artikel erstellt am 25.10.2017 von AS