ForscherInnen der Veterinärmedizinischen Universität Wien konnten den genetischen Stammbaum europäischer Zuchthengste entschlüsseln. Die väterlichen Vorfahren fast aller moderner Pferderassen sind laut einer kürzlich veröffentlichten Studie orientalischen Ursprungs.
Männliche Tiere vererben ihr Y-Chromosom beinahe unverändert an die männlichen Nachkommen weiter. Das ermöglicht die Rekonstruktion der männlichen Abstammungslinie. Weil die Y-Chromosomen europäischer Hengste nahezu ident sind, war die genetische Bestimmung ihrer Abstammungslinien bisher nicht möglich. Man musste sich ausschließlich auf die Aufzeichnungen in Zuchtbüchern verlassen. Ein Team der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni Vienna) um Barbara Wallner hat kürzlich die Verwandtschaftsbeziehungen der Hengstlinien moderner Pferderassen entschlüsselt und gezeigt, dass die väterlichen Vorfahren fast aller Rassen orientalischen Ursprungs sind.
Barbara Wallner und ihre MitarbeiterInnen vom Institut für Tierzucht und Genetik der Vetmeduni Vienna analysierten mit modernen Sequenzier-Verfahren (Next Generation Sequencing) große Bereiche des Y-Chromosoms von über fünfzig Hengsten aus 21 Rassen. Dadurch konnten die Forschenden einen ersten Y-chromosomalen Stammbaum für die Hengste dieser Rassen erstellen.
Die Verbreitung der Y-chromosomalen Linien in modernen Pferderassen zeigte unter anderem, dass moderne Hengste, bis auf wenige Zuchten in Nordeuropa, väterlicherseits ausschließlich von orientalischen Tieren abstammen. „Die orientalischen Pferde wurden in den letzten Jahrhunderten vermehrt in der Zucht eingesetzt, und damit wurde der Grundstein für die heutigen Pferderassen gelegt. Die importierten orientalischen Tiere haben bestehende männlichen Erbgutlinien offensichtlich komplett verdrängt“, erklärt Wallner. Orientalische Linien können grob gesehen in zwei Gruppen, die Araber und die Turkmenen, eingeteilt werden. Die Gründerhengste des Englischen Vollblutes stammen laut der Studie von der zweiten Gruppe ab.
Der Rückgang in der Variabilität im Y-Chromosom steht in engem Zusammenhang mit dem Import fremder Hengste zur Verbesserung lokaler Herden. Dieser startete in Zentraleuropa bereits im 16. Jahrhundert, als Spanische und Neapolitanische Zuchthengste sehr beliebt waren, und wurde durch die Zuchtstrategien in den letzten drei bis vier Jahrhunderten noch verstärkt. „Die Sequenzierdaten stimmten mit Aufzeichnungen in Zuchtbüchern, die bei manchen Rassen bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, in den meisten Fällen überein“, so Wallner.
Mit dem Verfahren der Forschenden können nun männliche Abstammungslinien in der Pferdezucht genetisch belegt und somit die Herkunft der Hengste unabhängig von Stammbaum-Aufzeichnungen exakt nachvollzogen werden. Y-chromosomale Studien sollen zukünftig helfen, lückenhafte oder unklare Zuchtangaben zu ergänzen. „Darüber hinaus wird gerade in der Pferdezucht, etwa bei Sportpferden, viel Geld investiert. Eine genetische Bestätigung der Abstammung gibt Züchterinnen und Züchtern eine zusätzliche Absicherung bei diesen Investitionen“, erklärt die Studienleiterin.
Quelle:
Presseaussendung der Vetmeduni Vienna
Originalpublikation:
BG, 11.07.2017