Wie man mit Bakterien Stoffe färbt

Das Vienna Textile Lab färbt Textilien mit Farbe, die aus Bakterien gewonnen wird , Bild: Vienna Textile Lab

Ein innovatives Unternehmen aus Wien möchte mehr Nachhaltigkeit in die Textilindustrie bringen: Das Start-Up Vienna Textile Lab färbt Kleidung mit Hilfe von Mikroorganismen.

Als Mikroorganismen oder Mikroben werden winzige Lebewesen bezeichnet, die mit dem freien Auge meist nicht sichtbar sind. Zu ihnen zählen Bakterien, Archaeen (früher auch als Urbakterien bekannt), Protozoa (eukaryotische Einzeller, wie zum Beispiel das Pantoffeltierchen), Pilze und Algen. Die Erde beherbergt in etwa eine Billion unterschiedlicher mikrobieller Arten, die verschiedene Lebensräume besiedeln und mit den unterschiedlichsten Eigenschaften ausgestattet sind [1]. So gibt es auch Bakterien, die Farbe produzieren – eine Fähigkeit, die sie für die Textilindustrie interessant macht.

Bakterienpigmente statt synthetischer Farbe

Die Idee, Bakterien zum Färben von Textilien zu nutzen, kam der Start Up-Gründerin Karin Fleck im Jahr 2017, als sie eine Freundin vom Textile Lab Amsterdam traf. Diese machte sie im Rahmen eines offenen Workshops mit mikrobiellen Färbemitteln vertraut.

Fleck, die an der TU Wien Technische Chemie studiert hatte, war damals in der Energiewirtschaft tätig. Sie kannte die wissenschaftlichen Methoden und hatte das nötige Wissen, um sich selbst an der neuen Art der Textilfarbe zu versuchen. Sie gründete 2017 das Vienna Textile Lab, das 2020 zur GmbH wurde. Zeil des Unternehmens ist es, farbenproduzierende Mikroorganismen industriell zu nutzen und die Modeindustrie umweltfreundlicher zu machen.

Bakterienfarbe: Umweltfreundlicher und gesünder

Wie aus einem EU-Bericht aus dem Jahr 2020 hervorgeht [2], ist die Produktion von Textilien mit einer enormen Umweltbelastung verbunden. Ganze 20 Prozent des verunreinigten Trinkwassers in Flüssen und Seen gehen auf die Textilbranche zurück. Das Textilfärben verbraucht außerdem viel Energie, und Treibhausgase werden freigesetzt. Die Gesundheit der Arbeiter*innen und der Bevölkerung im Umfeld von Textilfabriken wird ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen: Herkömmliche Fertigungstechniken beruhen meist auf synthetischen Chemikalien, die auf Rohöl basieren und gesundheitsgefährdend sind. Und zu guter Letzt sind auch die Konsument*innen betroffen, denn sie sind den Schadstoffen in der Kleidung beim Tragen ausgesetzt.

Bakterien, die Textilfarbe produzieren, stellen hier eine umweltfreundliche und ressourcenschonende Alternative dar. Sie sind lebendige Organismen, die in der Natur vorkommen, und können im Labor gelagert und vermehrt werden. Da dafür kleine Flächen, wenig Wasser und Energie und keine schädlichen Chemikalien benötigt werden, ist Bakterienfarbe nachhaltig und ressourcenschonend.

Auswahl passender Bakterien

Es gibt verschiedenste Arten von Mikroorganismen, deren Stoffwechselprodukte gleichzeitig Farbstoffe sind. Diese sind teilweise mit jenen ident, die aus Pflanzen gewonnen werden. Bakterien erzeugen Farbe meist als Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen, um sich vor Salz- oder Temperaturstress, Licht oder Konkurrenzdruck zu schützen. Bakterielle Farbstoffe können auch noch antibakterielle Substanzen enthalten, was sie noch interessanter macht.

Für die Jungunternehmerin Fleck galt es zu Beginn erst einmal herauszufinden, welche Mikroorganismen überhaupt Farben produzieren und welche Farben das sind. Dabei ergab sich ein absoluter Glücksfall, denn die Chemikerin konnte hier auf die bakteriologische Sammlung von Erich Schopf zurückgreifen. Dieser sammelt bereits seit Jahrzehnten Mikroorganismen und verwendet sie für künstlerische Zwecke. Der „Bacteriograph“ ist auch heute noch Hauptlieferant für das Vienna Textile Lab. Auch von einer Wiener Textilfärberei, die auf das Färben mit umweltfreundlichen Farben spezialisiert ist und von der TU Wien holte sich die Gründerin in ihren Anfängen Unterstützung und zusätzliches Know-How.

Im Laufe der Jahre gelang es Fleck und ihrem kleinen Team, immer mehr farbenproduzierende Bakterien zu identifizieren und nutzbar zu machen. Mit geeigneten Nährmedien werden diese dazu gebracht, möglichst viel Farbe herzustellen. Heute kann das Vienna Textile Lab auf eine große natürliche Farbpalette zurückgreifen.

Palette der natürlichen Bakterienfarben des Unternehmens, Bild: Vienna Textile Lab

Farben und Muster

Zum Färben der Stoffe gibt es zwei Möglichkeiten: Die Farbe kann entweder aus Bakterien extrahiert und so wie herkömmliche synthetische Farbe verwendet werden, da sie ähnliche Eigenschaften hat. Die Bakterien können aber auch direkt mit dem Stoff in Berührung gebracht werden. Hier ist es möglich, durch verschiedene Einflussfaktoren das Wachstum der Bakterien so zu steuern, dass auf den Stoffen verschiedene Muster entstehen. Bakterienfarbe ist somit auch konkurrenzfähig mit anderen Färbe- und Druckverfahren.

Die bakterielle Farbpalette vom Vienna Textile Lab ist heute groß – grelles Gelb, Blau, Rot, aber auch gedeckte Farben, und durch Mischen ist fast alles möglich. Das Jungunternehmen verwendet dafür Mikroorganismen aus dem Boden, dem Meer oder anderen aquatischen Umgebungen. Allerdings eignet sich nicht jede Bakterienfarbe für Textilien, und manche Farbtöne können nicht wirtschaftlich erzeugt werden. Auch kann nicht jede Faser mit jeder Farbe gefärbt werden – all das gilt es zu prüfen.

Ein mit Bakterienfarbe gefärbter Seidenschal, Bild: Capucine Vanbuis

Ausgezeichnete Bakterienfarben

Mit ihrem Jungunternehmen hat Fleck seit der Unternehmensgründung bereits Förderungen erhalten und Preise gewonnen. So etwa erreichte das Vienna Textile Lab 2017 den dritten Platz im großen Finale des Climate Launchpad und 2019 den Start-up-Preis der Universität für Bodenkultur in Wien. Auch zahlreiche Einladungen, wie beispielsweise zum TEDx Canggu in Bali oder zum Pitch bei CLIX auf der Abu Dhabi Sustainability Week 2018 folgten. Die finanzielle Unterstützung kommt aktuell vom Austria Wirtschaftsservice (AWS) und von der österreichischen Förderagentur FFG.

Die Unternehmensidee, mit Hilfe von Bakterien Textilien zu färben, wurde auch von etlichen anderen Start Ups aufgegriffen. Auch wenn diese ökologischen Produktionsverfahren noch in den Kinderschuhen stecken – sie sind im Kommen und werden auf lange Sicht vielleicht die herkömmlichen Prozesse verdrängen.

Großes Interesse der Textilindustrie und Raumfahrt

Derzeit gibt es die nachhaltigen Bakterienfarben noch nicht zu kaufen, und Fleck arbeitet mit ihrem Team auf Hochtouren an der Produktion in größerem Maßstab. Aktuell sind bakteriell gefärbte Stoffe noch Einzelprojekte, doch 2025 sollen die ersten zertifizierten Produkte vom Vienna Textile Lab auf den Markt kommen. Die Textilindustrie jedenfalls zeigt schon jetzt großes Interesse an der innovativen Färbemethode und unterstützt die Arbeit des Start-Ups. Aktuell hat die Jungunternehmerin mehr Projekte, als sie abarbeiten kann. Für die Zukunft träumt Fleck von einer weltweiten Expansion ihres Unternehmens.

Zukünftig bleibt die Nutzung von Mikroorganismen als Produktionssystem vielleicht nicht auf Textilfarben beschränkt. Auch die Raumfahrtagentur ESA hat schon bei Fleck angeklopft und Interesse an den mikrobiellen Farben bekundet. Da diese teilweise auch antivirale oder antimikrobielle Wirkung haben, sind diese für die innerste Schicht von Weltraumanzügen interessant. Mit einer speziellen Innenbeschichtung könnte Weltraumwäsche länger getragen werden.

 

Näheres zum Vienna Textile Lab:

https://www.viennatextilelab.at/

as, 13.10.2022


Quellenangaben

[1] Locey KJ and Lennon JT: Scaling laws predict global microbial diversity(2016). PNAS. 113:5970-5975

[2] Europäisches Parlament: Umweltauswirkungen von Textilproduktion und -abfällen (Infografik) (2020)